BLOG vom: 26.07.2014
Wie der Aargau das Emme-Hochwasser locker verdaut hat
Autor: Walter Hess, Publizist (Textatelier.com), Biberstein AG/CH
Das normale Regen- und Schmelzwasser und das viele Wasser von heftigen Niederschlägen gelangen grösstenteils früher oder später in den Aargau, sammeln sich im Rhein und fliessen als Wasserstrasse der Nordsee zu. Der Aargau gilt deshalb als Wasserkanton; denn er ist der wasserreichste Kanton der Schweiz. Das ist darauf zurückzuführen, dass mit Ausnahme von Rhone und Tessin (Ticino), diesem linken Nebenfluss des Po, alle grossen schweizerischen Flüsse durch Aargauer Täler fliessen: Aare, Reuss, Limmat und (als Grenzfluss, ganz unten) der Rhein. Zum sogenannten Wasserschloss unterhalb von Brugg steuern mit Ausnahme der Kantone Basel-Stadt, Jura und Genf alle Schweizer Regionen ihren Wasserbeitrag bei. Viel Wasser kommt von den Alpen, allerdings nicht alles. Die grösseren Fliessgewässer Wigger, Suhre, Wyna, Aabach, Bünz, Surb und Sissle kommen ohne Alpenwasser aus.
Aargau – wo alles fliesst
Im „Naturatlas Aargau“, 1994 von der Abteilung Landschaft und Gewässer des Aargauer Baudepartements herausgegeben, kann man nachlesen, dass die 4 Hauptflüsse im Aargau (Aare, Reuss, Limmat und Rhein) zusammen fast 200 km lang sind und annähernd ¾ des gesamten Schweizer Oberflächenwassers durch den Aargau führen; hinzu kommen noch fast 3000 km Bäche. Und unter dem Boden fliesst ein enormer Grundwasserreichtum als unsichtbarer Strom; die Schotterablagerungen sind Grundwasserleiter und Filter zugleich. Ein Motiv für besondere Umweltschutz-Anstrengungen auf der Erdoberfläche.
Der Aargau hat – den natürlichen Voraussetzungen sei Dank – eine riesige Erfahrung im Umgang mit dem Wasser, das in wechselnden Mengen herbei-, durch- und aus ihm abfliesst. In diesem Kanton, der auch über ausgezeichnete Bildungsstätten verfügte und diese in der herkömmlichen Güte hoffentlich trotz amerikanisierten Strukturen noch immer hat, wird das Wasser nicht als Bedrohung, sondern als Reichtum empfunden. Es ist die erstrangige Lebensgrundlage für alle Lebewesen, und neben der Vitalisierung spendete es Energie, und auch zu Kernkraftwerk-Kühlzwecken kann man es gebrauchen. Die Landschaft wurde durch eben dieses Wasser wunderschön modelliert, auch wenn Hangrutschungen weniger gefragt sind. Die Erosion geht in Richtung Einebnung weiter, ein normaler Naturprozess, schmerzlich für die Betroffenen.
Auen mit Mehrfachnutzen
Die Aargauer verstehen es in vorbildlicher Weise, das Wasser zu bändigen und zu bewirtschaften. Dazu gehört die Wiederherstellung eines Teils der Auenlandschaften, die durch Fluss-Kanalisierungen weitestgehend verloren gingen. Diese Flussauen sind Hochwasser-begeistert, denen nichts Angenehmeres als eine Überschwemmung passieren kann. Sie hindern einen Teil des grossen Wasseranfalls am sofortigen Abfliessen und tragen somit zur Verminderung der Hochwassergefahr dort bei, wo die Flut Zerstörungen anrichten würde, bei Überbauungen und Infrastrukturanlagen nämlich. Zudem schaffen sie höchstwertige, wandelbare Lebensräume für Pflanzen und Tiere sonder Zahl: Tümpel, Weiher, Feuchtgebiete, Sandbänke. Das Wasser transportiert nach dem Unterspülen von Bäumen Fallholz, auch nährenden Schlamm, Geröll für Nischen und Sand von einem Ort zum anderen und sorgt für wechselnde Anordnungen, Inseln, Steinhaufen, Sandufer. Es schafft und unterhält Dynamik, ein unbegrenzter Einfallsreichtum. Die Vegetation und die Tierwelt passen sich an; Weiden zum Beispiel nehmen gern ein kürzeres oder länger dauerndes Fussbad. Auen sind eine natürliche Landschaftskosmetik, tragen zur weitgehend unbekannten Schönheit des Aargaus bei. Nur Geistesschwachen gelingt es, den Aargau mit Verachtung zu strafen.
Die Wasserwalze aus dem Emmental
Einen Hochwasser-Härtetest hat der Aargau am 24.07.2014 einmal mehr glänzend bestanden, als im Bernischen der Aare-Nebenfluss (Grosse) Emme wegen ausserordentlich heftiger Regenfälle im Emmental ausser Rand und Band geriet. Sie entspringt auf etwa 1500 m ü. M. zwischen dem Hohgant und dem Augstmatthorn und erreicht bei Solothurn die Aare und verschwindet darin. Es hat nichts mit einer verkappten Reklame für den herrlichen Emmentalerkäse zu tun, wenn sich die Emme im jugendlichen Übermut auf ihrer Reise ins abgeklärtere Dahinfliessen gelegentlich aufrafft, nach heftigen, gewittermässigen Regenfällen als bedrohliche Flutwelle daher zu brausen, sozusagen ein alpiner Tsunami, der alles mitreisst, was sich zu nahe an den Wildbach herangewagt hatte: Brücken, Bäume, und auch Häuser werden nicht verschont. Schon Jeremias Gottelf alias Albert Bitzius (1797–1854) schrieb 1838 nach einer Überschwemmung wortgewaltig über „Die Wassernoth im Emmental“, bezogen auf das Hochwasser vom 13.08.1837. Er schuf eine kraftvolle, eindrückliche Erzählung, die im Anhang zu diesem Blog auszugsweise wiedergegeben ist.
Verhängnisvolle Korsett-Lösungen
Oft waren die Hochwasserschutzmassnahmen verkehrt, verhängnisvoll, so auch im Emmental: Bäche und Flüsse wurden verbaut, kanalisiert, dadurch das Wasser beschleunigt abgeleitet. Überschwemmungen wurden künstlich bachab verlagert, wo sie bei der erstbesten Gelegenheit umso verheerender auftraten. Statt das Wasser ins Korsett zu pferchen, müsste man ihm Auslauf, Platz gewähren, Überschwemmungszonen bereitstellen, wie das einst beispielsweise mit den Wässermatten geschah oder es sich von Natur aus ergeben hatte. Die Menschen beklagten sich über Stechmücken, palaverten gar von Malariagefahren.
Das Wasser braucht seinen Platz, was aber im technischen Zeitalter übersehen wurde. Die Auen wurden bis auf 0.3 Prozent der Landesfläche zurückgedrängt (90 % von ihnen sind innerhalb von 150 Jahren verschwunden), obschon hier 40 % der einheimischen Pflanzen ideale Grundlagen finden würden. Der Aargau hat seit 1993 in einer gewaltigen Anstrengung gemäss dem Verfassungsauftrag mindestens 1 % der Kantonsfläche zu einer Auenlandschaft zurückverwandelt und dadurch auch einen zweckmässigen, aktiven und erfolgreichen Beitrag zum Hochwasserschutz geleistet.
Und so konnte dem Aargau das als Wasserwalze aufgetretene Emme-Hochwasser vom 24.07. nichts anhaben, wozu selbstverständlich auch beitrug, dass die Jurarandseen-Regulation mit der Aareschleuse bei Biel-Nidau dafür sorgte, dass das Emme-Wasser seinen Platz im Aarebett fand. Der Abfluss aus den 3 Seen wurde etwas gebremst.
Exkursion an der Aare im Aargau
Am Nachmittag jenes Tages habe ich eine kleine Aare-Exkursion von Biberstein aus flussabwärts unternommen. Der Aare-Stausee des Kraftwerks Rupperwil-Auenstein, der wenige Meter weiter unten beginnt, zeigte wohl einen stattlichen Wasserdurchfluss, hatte sich aber gegenüber den regen- und gewitterreichen Vortagen kaum sichtbar verändert. Das angeblich 350-jährige Emme-Hochwasser (als ob so etwas mit einer bestimmten Regelmässigkeit eintreffen würde ... das Hochwasser von 1837 wütete verheerender als das neueste) war bereits in der Aare aufgegangen, währenddem in Schangnau, Bumbach BE und Umgebung noch Keller leer gepumpt, Schlamm aus Wohnungen entfernt und Verkehrswege instand gestellt wurden, auch mit Notbrücken. Die vorangegangenen, jüngsten Hochwasser hatten sich im Emmental 2007, 2008 und 2012 eingestellt, erreichten aber nicht die Bedeutung des jetzigen mit seinen bis zu 100 Litern Niederschlag pro Quadratmeter; laut AZ sieht so die Sintflut aus. Auch Interlaken, Grindelwald, Brienz und Meiringen waren stark geduscht worden, wenn auch nicht im Emmentaler Ausmass.
Meinen Augenschein setzte ich im Wasserschloss bei der Vogelsanger Brücke fort, wo die 1996 gegründete Vereinigung pro Wasserschloss VPW (www.prowasserschloss.ch) einen empfehlenswerten Lehrpfad eingerichtet hat. Auf dieser Webseite wird der bekannte Biologe Heiner Keller, Oberzeihen AG, zitiert, der das Wasserschloss u. a. wie folgt beschrieb: „Das Wasserschloss ist mehr als die geomorphologisch bedingte Tatsache des Zusammenfliessens dreier grosser Flüsse. Diese bilden lediglich das lebendige, aderartige Gerippe der Landschaft. Erst das geordnete Mosaik von grossräumigen Geländeformen, Lebensräumen mit aussergewöhnlichen Standortbedingungen, die besonders auffälligen oder seltenen Pflanzen und Tiere und die unübersehbaren menschlichen Aktivitäten ergeben die ganze Landschaft. Diese vermittelt in ihrer Gesamtheit einen einmaligen Einblick ins eiszeitliche und nacheiszeitliche Geschehen, in die Entstehung der heutigen Oberfläche.“
In einem abgeernteten Getreidefeld auf der Lauffohrer Seite waren einige seichte Pfützen auszumachen; doch sonst deutete nichts auf Grüsse auf dem Emmental hin; auch der oberliegende Kanton Solothurn war beinahe unbehelligt davongekommen. Das Wasserschloss fühlte sich nicht überfordert, wusste mit der herbeiströmenden Flüssigkeit etwas anzufangen, sog sich voll ... im Hinblick auf trockenere Zeiten, die wieder anders gelagerte Chancen bringen. Auf meiner ganzen Aargauer Tour sah ich keinen einzigen Feuerwehrmann, keine mit Sperren beschäftigte Polizei. Das Leben und die Gewässer nahmen ihre Läufe.
Auf der massiven, leicht bombierten Vogelsanger Brücke zwischen Brugg/Lauffohr und Vogelsang/Turgi hatte ich in einer verkehrsarmen Minute das Gefühl, das Rauschen des Aarewassers zu hören. Doch es war die in der Nähe vorbei fahrende Eisenbahn Brugg‒Baden.
Wer Zeit hat, kann das Wasserschloss vom Bruggerberg aus überblicken und sich darüber freuen, dass der Aargau seine Gewässer dadurch ehrt, dass er ihnen Platz zur Verfügung stellt. Das beweist: Er hat den Überblick.
Anhang
Auszug aus Jeremias Gotthelf:
„Die Wassernot im Emmental“.
Kapitel 3 (betrifft: Eggiwyl).
Am Morgen des 13. Augusts erhob sich die Sonne bleich über ihrem lieben Ländchen. Der Mensch glaubte, der Schreck von gestern, als sie so schnell von dem wilden Heere überzogen ward, weile noch auf ihren blassen Wangen. Der arme Mensch dachte nicht, dass das Grauen vor dem auf der lieben Sonne Antlitz war, dessen Zeugin sie sein sollte am selbigen Tage. Es war der Tag des Herrn, und von Tal zu Tal klangen feierlich die Glocken, sie klangen über alle Eggen in alle Gräben hinein und stiegen dann in immer weicheren Klängen zum Himmel auf. Und von allen Eggen und aus allen Gräben strömte die andächtige Menge dem Hause des Herrn zu. Dort stimmte in feierlichen Klängen die Orgel feierlich der Menschen Seelen, es redete tief aus dem Herzen herauf der Pfarrer tief in die Herzen hinein, und aus manchem Herzen stiegen gen Himmel Wölkchen christlichen Weihrauchs – das Sehnen, dass der Herr einziehen möge in sein himmlisches Jerusalem – in des frommen Beters geheiligtes Herz. Vom hohen Himmel herab hörte das wüste Wolkenheer das feierliche Klingen, das sehnsüchtige Beten. Es ward ihm weh im frommen Lande. Es wollte dem Lande wieder zu, wo wohl die Glocken feierlich läuten, wo wohl viel die Menschen beten, wo aber in den Herzen wenig Sehnen nach dem Himmel ist, sondern das Sehnen nach Liebesgenuss und des Leibes Behagen. Und auf des Windes Flügeln durch Windessausen wurde allen Nebelscharen und allen Wolkenheeren entboten, sich zu erheben aus den Tälern, sich loszureissen von allen Höhen der Honegg zu, um dort, zu grauenvoller Masse geballt, durchzubrechen in das Thunertal und von diesem lüsternen Städtchen weg einen leichteren Weg zu finden aus dem frömmern Land ins sinnlichere Land. Sie gehorchten dem Ruf. Schar um Schar, Heer um Heer wälzte dem Sammelplatz sich zu. Von Minute zu Minute wurde dichter und grauenvoller der ungeheure dunkle Wolkenknäuel, der an die Wände der Honegg sich legte und deren Gipfel zu beugen suchte zu leichterem Durchgang für die schwer beladene Wolkenmasse. Aber der alte Bernerberg wankte nicht, beugte sich nicht, wie ungeheuer der Andrang auch war, wie klug ein kleines Beugen auch scheinen mochte. Als die Wolkenheere, in tausend Stimmen heulend, tausendmal fürchterlicher als tausend Hunnenheere, heranstürmten, lag schweigend der Berg da in trotziger Majestät und sperrte kühn den Weg nach alter Schweizer Weise, die den Feind hineinliessen ins Land, aber nicht wieder hinaus. Da hob höher und höher der Knäuel sich, aber durch die eigene Schwere immer wieder niedergedrückt, ergrimmte er zu fürchterlicher Wut und schleuderte aus seinem feurigen Schosse zwanzig züngelnde Blitzesstrahlen auf des Berges Gipfel nieder, und mit des gewaltigsten Donners Getose versuchte er zu erschüttern des Berges Grund und Seiten. Aber der alte Bernerberg wankte nicht, umtoset von den grimmigsten Wettern, beugte sein kühnes Haupt nicht vor den zornerglühten Blitzesstrahlen.
Unten im Tale stund lautlos die bleiche Menge rings um die Häuser, im Hause hatte niemand Ruhe mehr; vor dem Hause stund neben dem blassen Mann das bebende Weib und schauten hinauf in den grässlichen Wolkenkampf an des Berges Firne. Schwarz und immer schwärzer wie ein ungeheures Leichentuch, mit feurigen Blitzen durchwirkt, senkte sich das Wolkenheer über die dunkel werdende Erde, und auch durch das Tal hinab fing es an zu blitzen und zu donnern. Ein langer Wolkenschweif, die Nachhut des grossen Heeres, dehnte sich das lange Tal hinab, und am trotzigen Berge zurückgeprallte Wolkenmassen eilten blitzend und donnernd, geschlagenen Heeressäulen gleich, über die Häupter der Zitternden. Schwer seufzte der Mann aus tiefer Brust; ein „Das walt Gott!“ nach dem andern betete in dem bebenden Herzen das bebende Weib. Da zerriss im wütenden Kampfe der ungeheure Wolkenschoss; losgelassen wurden die Wassermassen in ihren luftigen Kammern, Wassermeere stürzten über die trotzigen Berge her; was dem Feuer nicht gelang, sollte nun im grimmen Verein mit den Wassern versucht werden. Es brüllte in hundertfachem Widerhall der Donner, tausend Lawinen donnerten aus den zerrissenen Seiten der Berge nieder ins Tal; aber, wie kleiner Kinder Gewimmer verhallt in der mächtigen Stimme des Mannes, so kam plötzlich aus den Klüften der Honegg und der Schyneggschwand über der Donner und der Lawinen Schall eine andere Stimme wie Trompetengeschmetter über Flötengelispel. Waren es Seufzer versinkender Berge? War es das Ächzen zusammengedrückter Täler? Oder war es des Herrn selbsteigene Stimme, die dem Donner und den Lawinen gebot? Lautlos, bleich, versteinert stund die Menge; sie kannte den Mund nicht, der so donnernd wie tausend Donner sprach durchs Tal hinab.
Aber in einsamer Bergeshütte sank auf die Kniee ein uralter, weissbärtiger Greis und hob die sonst so kräftigen Hände zitternd und betend zum Himmel auf. „Herrgott, erbarme dich unser!“ betete er. „Die Emmenschlange ist losgebrochen, gebrochen durch die steinernen Wände, wohin du sie gebannt tief in der Berge Schoss seit anno 64. Sie stürzt riesenhaft durch den Röthenbach ihrer alten Emme zu, vom grünen Zwerglein geleitet. Ach Herrgott, erbarme dich unser!“ Er allein da oben hatte die Sage von der Emmenschlange noch nicht vergessen: wie nämlich der zu besonderer Grösse anschwellenden Emme eine ungeheure Schlange voran sich winde, auf ihrer Stirne ein grün Zwerglein tragend, welches mit mächtigem Tannenbaum ihren Lauf regiere; wie Schlange und Zwerglein nur von Unschuldigen gesehen würden, von dem sündigen erwachsenen Geschlecht aber nichts als Fluss und Tannenbaum. Diese Schlange soll von Gott gefangen gehalten werden in mächtiger Berge tiefem Bauche, bis in ungeheuren Ungewittern gespaltete Bergwände ihren Kerker öffnen; dann bricht sie los, jauchzend wie eine ganze Hölle, und bahnt den Wassern den Weg durch die Täler nieder. Es war die Emmenschlange, deren Stimme den Donner überwand und der Lawinen Tosen. Grau und grausig aufgeschwollen durch hundert abgeleckte Bergwände, stürzte sie aus den Bergesklüften unter dem schwarzen Leichentuche hervor, und in grimmem Spiele tanzten auf ihrer Stirne hundertjährige Tannenbäume und hundertzentnerige Felsenstücke, moosicht und ergraut.
In den freundlichen Boden, wo die Oberei liegt, stürzte sie sich grausenvoll, Wälder mit sich tragend, Matten verschlingend, und suchte sich da ihre ersten Opfer. Bei der dortigen Sägemühle spielte auf hohem Trämelhaufen ein liebliches Mädchen, als die Wasser einbrachen hinter dem Schallenberg hervor. Um Hülfe rief es den Vater; auf der Säge sich zu sichern, rief ihm derselbe zu vom gegenüberstehenden Hause. Es gehorchte dem Vater, da wurde rasch die Säge entwurzelt und fortgespült wie ein klein Drucklein. Das arme Mädchen hob zum Vater die Hände auf, aber der arme Vater konnte nicht helfen, konnte es nur versinken sehen ins wilde Flutengrab. Aber als ob die Sägeträmel dem Kinde hätten treu bleiben wollen, fassten sie es in ihre Mitte, wölbten ihm ein Totenkämmerlein und türmten sich unterhalb Röthenbach zu einem gewaltigen Grabmale über ihm auf. Sie wollten nicht, dass die Schlange es entführe dem heimischen Boden; sie hüteten es in ihren treuen Armen, bis nach Wochen die Eltern es fanden und es bringen konnten an den Ort der Ruhe, wo sein arm, zerschellt Leibchen ein kühles Plätzlein fand, gesichert vor den bösen Fliegen, die es im Tode nicht ruhig, liessen, aber auch sein Kämmerlein den Suchenden verrieten.
Einen armen Köhler jagten die Wasser in seine Hütte, zertrümmerten ihm diese Hütte und wollten ihn weisswaschen, den schwarzen armen Mann, bis er weiss zum Tode geworden wäre; aber auf einen Trämel, der ihm durch die Hütte fuhr, setzte er sich und ritt nun ein halsbrechend Rennen mit tausend Tannen, bis er Boden unter seinen Füssen fühlte und an dem Berge hinauf sich retten konnte. Der arme Mann weiss nichts mehr zu sagen von seiner Todesangst und Todesnot; aber, dass der Bach ihm seine Effekten weggenommen, aufs wenigste einundachtzig Batzen wert, und darunter zwei Paar Schuhe, von denen die einen ganz neue Absätze gehabt, das vergisst er nicht zu erzählen und wird es auch im Tode nicht vergessen.
Die Kühe in der Riedmatt hatten am Morgen ihre Meisterleute ungern gehen sehen an die Kindstaufe in der Grabenmatt, hatten ihre Häupter bedenklich ihnen nachgeschüttelt; als nun der Donner brüllte und die Wasser brausten, da retteten sie sich in eine Hütte und schauten von da wehmütig übers Wasser nach der Grabenmatt, ob der Meister nicht kommen wolle ihnen zu Rat und Hülfe. Als die Wasser die Hütte zerstiessen, da riefen sie gar wehlich nach dem Meister, und vom Wasser fortgerissen, wandten sie ihre stattlichen Häupter immer noch dem erwarteten Meister entgegen, doch umsonst. Es wusstens die Kühe, wie tief ihr Elend dem Meister ins Herz schnitt, der eine der geretteten, aber schwer verletzten Kühe nicht zu schlachten vermochte, weil sie ihm zu lieb war.
Während in der Weid die Kühe verlorengingen, stunden im Hause die zurückgebliebene Magd und ein Knabe Todesnot aus. Auf den Brückstock hatten sie sich gerettet und der Knabe das Fragenbuch, in dem er in der Stube gelernt hatte, mitgenommen. Auf dem Brückstock lernte derselbe nun fort und fort in Todesangst und Todesschweiss, bis die Not vorüber war, im Fragenbuch. Das war ein heisses Lernen! Der Knabe nennt es Beten – und wird dasselbe ebensowenig vergessen als der Köhler seine alten Schuhe mit den neuen Absätzen.
Die tiefe Furt wurde dem Bach zu enge immer mehr; er riss die Ufer immer weiter auseinander zur Rechten und zur Linken, stieg hoch hinauf zu beiden Seiten, warf schwere Steine in hohe Matten, bespülte den Fuss des höher gelegenen Dorfes Röthenbach, und gewaltige Tannen bäumten hoch sich auf, den Menschen, die sie nicht erreichen konnten, wenigstens zu drohen. Unterhalb dem Dorfe zerriss er die dortige Sägemühle und stürzte sich nun das liebliche Tälchen hinab.
Um ihre Hütten stunden dort schon lange die armen Bewohner schauernd in dem Feuer des Himmels, welches das Tal erfüllte, die Menschen blendete, Menschen und Hütten zu verzehren drohte. Da drang das furchtbare Tosen zu ihnen heran; ihm nach alsobald stürzte schwarz die ungeheure Flut, hochauf ganze Bäume werfend, radweis schwere Trämel überschlagend vor sich her. Ein Stück des Bodens, der sie vom Bache trennte, nach dem andern verschwand. Die Flut wühlte sich um ihre Füsse, untergrub des Hauses Seiten, warf Tannen durch die Fenster, erschütterte mit Trämeln den ganzen Bau, alles in wenig Augenblicken. Da wards den armen Leuten, als ob die Tage der Sündflut wiederkehrten; es floh, wer fliehen konnte, nach allen Seiten der hohen Bergwand oder hohen Bäumen zu.
Mütter ergriffen ihre Kinder, Söhne trugen ihre Väter, arme Witwen führten ihre Ziegen, andere flohen in Angst mit dem, was ihren Händen am nächsten lag, mit einem Hausgerät oder gar mit einem Stück Holz oder Laden.
Aber wer steht dort unter der Tür der Hütte, die im Wasser wankt, wankend und blass, winkend mit den Händen, da ihr Jammergeschrei im Rollen des Donners, im Toben der Flut, im Krachen der fortgerissenen Holzmasse ungehört verhallt? Eine arme Kindbetterin ists, die vor einer Stunde ein Kind geboren, aufgeschreckt worden ist aus ihrer ohnmächtigen Schwäche durch das Brüllen der Wogen und, das Kind im Fürtuch tragend, bis an des Hauses Schwelle sich schleppte, aber die Kraft nicht hatte, durch die sie umringenden Wasser sich zu wagen mit dem wimmernden Kindlein. Schon glaubte sie, zu fühlen, wie der Tod kalt ans Herz ihr trete; vor den Augen flimmerte es ihr, auf den Wellen getragen wähnte sie sich; da zeigte Gott einem wackern Manne das arme winkende Weib. Der zauderte nicht, folgte dem Winke, setzte das eigene Leben ein und rettete kühn die Mutter und ihr Kind. Wohl, es gibt noch getreue Schweizerherzen!
Die Grosse und die Kleine Emme
Als geografischen Begriff gibt es nur ein Emmental, aber 2 verschiedene Flüsse, die den Namen Emme tragen: Die Kleine und die Grosse Emme.
-- Die Kleine Emme ist ein rund 60 km langer Nebenfluss der Reuss. Der Ort ihrer Entstehung ist beim sogenannten Emmesprung am Brienzer Rothorn im Kanton Obwalden. Der Bach fliesst dann durch das Mariental nach Flühli und Schüpfheim. Bis dahin trägt sie den Namen Waldemme, bis sie sich mit der von Escholzmatt (Entlebuch LU) heranfliessenden Weissemme zur Kleinen Emme zusammenschliesst. In Entlebuch kommt die am Feuerstein entspringende Entlen als markantester Zufluss hinzu. Bei Doppleschwand im unteren Entlebuch gibt’s noch mehr Zuwachs: die Kleine und Grosse Fontanne, welche den Napf entwässern. Doppleschwand grenzt an die Gemeinde Entlebuch, von wo die Kleine Emme nach Wolhusen LU weiterfliesst, und bei Emmenbrücke vereinigt sie sich mit der Reuss und schlägt den Weg in Richtung Aargau/Aare ein.
-- Die Grosse Emme ihrerseits ist mit ihren 81 km Länge tatsächlich etwas grösser. Sie entspringt im Hohgantgebiet im Norden des Thunersees und durchquert das hügelige, weitgehend von der Emme modulierte Emmental im Berner Mittelland, dem sie den Namen verliehen hat. Am 24.07.2014 hat die Grosse Emme durch ein Jahrhundert-Hochwasser Aufmerksamkeit erregt, zumal sie nach heftigen, andauernden Niederschlägen eine Flutwelle vor sich hin geschoben hat. Besonders betroffen waren Bumbach und Schangnau, wo sogar die historische Rosegg-Brücke weggeschwemmt wurde. Schon 2008 und 2012 hatte diese Emme heftige Überflutungen verursacht. Auch Eggiwil war neuestens wieder betroffen (dort hatte sich das Unwetter 1837 ereignet, das Jeremias Gotthelf in seiner grossen Sprachkraft beschrieben hat; die Erzählung ist oben auszugsweise nachgedruckt: „Die Wassernot im Emmental“).
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