BLOG vom: 28.08.2014
BVB: Auf dem Perimukweg zum geheimnisvollen Haselhaus
Autor: Walter Hess, Publizist (Textatelier.com), Biberstein AG/CH
Seit Anfang 2011 bin ich ein Bestandteil des Juraparks Aargau, wenn auch nicht gerade ein tragender. In diese Rolle hineingeschlittert bin ich über den von mir mitverantworteten Beschluss der Gemeindeversammlung Biberstein AG vom 24.06.2010. Bei jener Gelegenheit wurde uns Stimmbürgern die Parkidee von Behördenseite schmackhaft gemacht, unter anderem mit der Aussicht auf eine Förderung der typischen Pflanzen- und Tierarten. Wörtlich: „Naturschützer, Förster und Landwirte realisieren im Projekt ,Artenförderung’ Massnahmen für typische Tier- und Pflanzenarten des Aargauer Juras wie den Glögglifrosch (Geburtshelferkröte), die Küchenschelle oder den Gelbringfalter.“ Allein schon wegen des bedrohten Edelfalters musste man Ja sagen. Da ich mich persönlich zu den vom Aussterben bedrohten Raritäten zu zählen wage, erwartete auch ich Förderungsmassnahmen, die bisher allerdings ausgeblieben sind. Im Gegenteil: über meine Steuern muss ich jährlich 5 CHF abliefern, damit Kanton und Bund ihrerseits zusätzlich 20 CHF pro bezahlenden Parkbewohner an den Parkbetrieb beisteuern. Wir verkraften das, freuen uns im Nord-Aargau mit den kalkhaltigen Böden und dem milden Weinbauklima umso mehr an der Küchenschelle und dergleichen Naturwundern.
Der Perimuk als Wegbegleiter
Neben gelegentlichen Begegnungen mit Jurapark-Brot, Jurapark-Käse, dem süss-scharfen Kirschensenf aus dem Fricktal und ähnlichen Lustbarkeiten spürte ich vom Parkleben im Vergleich zu den vorausgegangenen parkfreien Jahren eher wenig. Das hat sich in diesem „Regionalen Naturpark von nationaler Bedeutung“ kürzlich schlagartig geändert. Vor wenigen Wochen stand unverhofft eine Art Dinosaurier in einer Wiese beim Bushäuschen am Oberen Dorfplatz in Biberstein. Das zweidimensionale Wesen in Lindengrüne ist bei leichtfüssigem Schweben leicht vermenschlicht. Es schaut munter in die Landschaft und bildet mit seiner Form, in der man auch eine leicht verzwirbelte Ente erkennen könnte, ziemlich genau den Jurapark-Pertimeter, also die Aussengrenzen des 28 Gemeinden auf 245 Quadratkilometern umfassenden Parkgebiets, ab. Nun hofft man natürlich sehr, dass nicht noch weitere Gemeinden an den Park angegliedert werden, ansonsten der Perimuk seine wohlproportionierten Formen wie wir Männer im höheren Alter verlieren würde. Eine entsprechende Gefahr ist im Moment nicht auszumachen (beim Perimuk).
Der 5.5 km lange Perimukweg, der in etwa zweieinhalb Stunden reiner Wanderzeit abzuschreiten ist, diente der Bürgerlichen Vereinigung Biberstein (BVB, Präsident: Markus Schlienger) als Anlass für eine Sonntagswanderung am 24.08.2014. Bei kühlem, wolkig bis sonnigem Wetter und klarer Sicht, wie sie der BVB entspricht, trafen sich rund 30 Personen am Oberen Dorfplatz. Sie nahmen nach dem Händeschütteln, wie es sogar in der Weltpolitik üblich ist, den direkten Kurs Richtung Jura, vorbei am Wiesenland Heidechile, wie man es tut, wenn man die Gisliflue ersteigen will. Im Ober Berg, wo auf etwa 500 Höhenmetern der Wald beginnt, findet sich ein reiches Waldstrassennetz, das zum Teil durch die heftigen Regengüsse in den letzten Wochen an steileren Stellen ausgewaschen und zu einer Art Bachbett wurde. Man wählt unverdrossen im Prinzip die Direttissima gegen die Krete bis zum Gatter, einem Kreuzungspunkt mehrerer Wanderwege; eine nur teilweise befahrbare Forststrasse führt ins Schenkenbergertal hinunter. Beim gitterfreien Gatter verändert man die Richtung nach Westen und erreicht zwischen den Gebieten mit den Flurnamen „Chaltenbrunnen“ und „Gmeirüti“ auf 600 m ü. M. den Weg zum Haselbrünneli.
Das Haselhaus
Das Haselbrünneli befindet sich in einer grossen Waldlichtung, im oberen Teil einer wunderschönen Magerwiese mit einer derartigen Artenvielfalt, dass sie zum Naturschutzgebiet von kantonal-aargauischer Bedeutung geadelt wurde. Zwischen alten Bäumen befinden sich ein Brunnen, eine Feuerstelle mit Grillrost und Sitzgelegenheiten für Ansammlungen von ruhebedürftigen, durstigen und hungrigen Menschen.
Im oberen, waldnahen Teil der Lichtung steht seit 1932 ein 3-stöckiges, beinahe würfelförmiges, mit dunkel-lilafarbenem bis braunem Eternit verkleidetes Haus mit Flachdach, das Haselhaus. Man wundert sich, solch ein gross dimensioniertes Gebäude in freier Natur, weit entfernt von Bauzonen, anzutreffen. Es geht auf eine Initiative des Oberrichters und späteren Obergerichtspräsidenten Fritz Baumann (SP), zurück, der 1930 den „Jurahaus-Verein Haselmatt“ gegründete und unter diesem Titel das Haus erbauen liess. Es war als Ausflugsort, Ferien- und Ausbildungsort für die Arbeiterschaft gedacht, die sich in ihrer Freizeit besser in der freien Natur denn in Wirtshäusern aufhalten sollte; es ging auch um eine Flucht aus der Stadt. Doch es fanden auch richtige Flüchtlinge dort hinauf: 1934 wurde im Haselhaus eine Gruppe von Flüchtlingen aus Österreich einquartiert, die nach einigen Wochen nach Belgien weiterzogen. Das war eine Folge des gescheiterten Juliputschs, einem nationalsozialistischen Umsturzversuch (viele Putschisten entzogen sich der Verhaftung und Verurteilung durch die Flucht). 1938 quartierten die Behörden rund 50 jüdische Flüchtlinge ein. Diese Männer durften den Gemeindebann von Biberstein nicht verlassen und waren zudem angehalten, während ihres Aufenthalts Notstandsarbeiten auszuführen. So verbesserten sie unter anderem den Wasserfluss der Haselmattquelle, die bisher nur ein kleines Rinnsal gewesen war. Sie wurde dann als hydraulische Pumpe eingesetzt und verstand es als solche, das Wasser aus eigenem Antrieb zum Ferienhaus hinauf zu pumpen. Bei den Grabungsarbeiten wurden übrigens Tonscherben entdeckt, welche eindeutig römischen Ursprungs sind.
Um etwa 1945 ging das Haselhaus in Privatbesitz über, weil die Nachfrage nach Aufenthalten in der Jura-Einsamkeit eingebrochen war. Der Erlös wurde ins Strandbad Tennwil am Hallwilersee investiert. Die letzte Besitzerin war laut dem Bibersteiner Vizeammann Dr. Markus Siegrist die Firma Wälty & Co. AG aus Schöftland im aargauischen Suhrental, welche der Liegenschaft allmählich überdrüssig war. Im November 2012 wurde dem Gemeinderat von ihr mitgeteilt, dass geplant sei, die Liegenschaft zu verkaufen, worauf der Kauf durch den Gemeinderat in aller Heimlichkeit vorbereitet wurde, um nicht andere Kaufinteressenten darauf aufmerksam zu machen, die den Preis vielleicht in die Höhe getrieben hätten. Bis heute ist der ausgehandelte Preis noch nicht amtlich bekannt gegeben worden, ein Amtsgeheimnis, das die nächste Bibersteiner Gemeinderechnungslegung selbstverständlich nicht überleben wird.
Für den Gemeinderat stand angeblich ausser Frage, dass es sich um eine einmalige Chance handelte, dieses grösste bauliche Objekt ausserhalb des Baugebietes zusammen mit 60 Aren Land zu erwerben, und es gelang, die Liegenschaft aus dem bäuerlichen Bodenrecht zu entlassen, so dass für die weitere Nutzung viele Möglichkeiten offenstehen. Man konnte somit sicherstellen, dass die Liegenschaft der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann. Nutzen und Schaden am Objekt gingen bereits auf dem 01.10.2013 an die Gemeinde Biberstein über – beides stellte sich bisher nicht ein.
Der genaue Nutzungszweck und die Nutzungsdetails wurden vom Gemeinderat anlässlich der Klausurtagung im September 2013 festgelegt – Klausur bedeutet Abgeschlossenheit und hat keinen Bezug zu Klaus, zu Kläusen, was im gegebenen Fall den Tatbestand ins Gegenteil verkehren würde. Bei seiner Klausurarbeit und dem damit verbundenen Warten auf Eingebungen kam der Gemeinderat zur Erkenntnis, dass sich das Haselhaus für Schul-, Klassen- und Ferienlagern sowie für gesellige und/oder kulturelle Anlässe bestens eignet, wobei Art und Umfang der Nutzungen in einem Benützungsreglement festgehalten werden sollen. Prisca Bächinger, die den BVB-Anlass mitorganisiert hatte, stellte bereits die Idee für einen abwandelbaren Werbespot zur Verfügung: „Die BVB im Haselhaus – glücklich wie die Haselmaus“. Diese Haselmaus ist ein nachtaktives Tierlein, das im Kinderbuch „Alice im Wunderland“ von Lewis Carroll bei der verrückten Teeparty eine Rolle spielt.
Beim Haselhaus gab es keinen Tee; man beschränkte man sich auf Wasser und Weisswein, begleitet von Sonntagszopf, regionalem, geräuchertem Speck und Dauerwürsten: Fricktaler Chnebel und Flösserwürste aus dem Mettauertal. Der Grill bei der grossen Esche neben dem Haus wurde für weitere Räucherungen angeworfen.
Das eigentliche Wunderland war hier oben das Haselhaus-Innere, das seinen Tag der 3 offenen Eingangstüren hatte und besichtigt werden konnte. Der Bibersteiner Architekt Urs Eggenschwiler, der das Haus im gemeinderätlichen Auftrag auf die Renovationsbedürfnisse hin untersucht, war der fachkundige Begleiter und Kommentator. Im Haus finden 28 Betten (inkl. Kajütenbetten) Platz, und es ist Raum für Essen und Theorieverabreichungen vorhanden, auch für Klausuren geeignet. Ein Mangel besteht bei den Toiletten, die im Moment in ein Senkloch münden, und bei den Duschen; pro Etage wären davon je 2 Stück nötig. Das Hausinnere macht, wie das in älteren Gebäuden üblich ist, wegen des nachgedunkleten Täferholzes und den nach heutigen Massstäben verhältnismässig kleinen Fenstern unterschiedlicher Qualität, die einen Ausblick bis zum Hallwilersee gewähren, einen leicht düsteren Eindruck; aber es ist umso wohnlicher. Die polierten Holzböden sind sehr gepflegt.
Auf dem Fachdach könnte eine Fotovoltaikanlage für elektrischen Strom sorgen, der bisher fehlt. Recht gut ausgerüstet ist die geräumige Küche mit Holz- und Gasherd usw. Und zudem gibt es zuunterst einen Weinkeller und eine kleine Werkstatt, die nicht ausgeräumt worden ist.
Parklandschaften
Nach dem Rundgang schob man vor dem Haus die Holzbänke und -tische zurecht. Wenig weiter unten war ein Bocciabahn-Viereck, das sich selber mit einem dichten Thymian-Wachstum renaturierte. Bei diesem Ausblick in die Nähe und auch jenem in die Ferne der Alpenwelt liess man sich von Urs Waber, dem Gemeindevertreter beim Jurapark mit der permanent guten Laune, und Park-Projektleiterin Anna Bühler, die auch für Bildung und Natur zuständig ist, über das Parkgeschehen in der Schweiz und in Biberstein orientieren.
In der Schweiz gibt es 3 Park-Kategorien. 1 davon belegt der Nationalpark im Oberengadin allein. Sodann existieren 2 Natur-Erlebnispärke (Sihlwald bei Zürich und Schwägalp/Säntis), und hinzu kommen 14 regionale Naturpärke, von denen der Jurapark einer ist. Für diesen sind auf der Geschäftsstelle in Linn 7 Personen (total 400 Stellenprozente) tätig (vormals: dreiklang.ch). Die parkende Expertengruppe bemüht sich um die Verbreitung von mehr Umweltbildung, wozu auch der Perimukweg beitragen soll, der zudem der körperlichen Ertüchtigung ganzer Familien auf die Beine helfen soll. Als sich Anna Bühler dazu äusserte, brach ihre lauffreudig-lebhafte Hündin Maja, ein windhundähnlicher Jagdhund-Mischling der Rasse Podenco in ein lautes, zustimmendes Jaulen aus. Wir haben die Botschaft verstanden.
3 Perimukwege
Perimukwege gibt es auch in Wölflinswil und im Cheisachergebiet, beide im oberen Fricktal, letzterer im Grenzgebiet Gansingen, Laufenburg, Mönthal. Die Wege sind seit Mitte August 2014 neu ausgeschildert – nach den 23 Seiten umfassenden Vorschriften des Bundesamts für Umwelt, und mit informative Hinweistafeln versehen.
Nach dem Verzehr der Grilladen machte man sich, dem Perimukweg mit den versteckten Perimüklein folgend, via Eichhölzli an den Abstieg zur Juraweid. Der Bibersteiner Juraabhang unter dem Homberg schien beseelter denn je zu sein, ohne von seiner Stille eingebüsst zu haben: eine Klause in der freien Natur, wo man sich ziemlich ungestört erholen kann und wo sich Füchse und Hasel gute Nacht sagen.
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