Textatelier
BLOG vom: 24.10.2014

Fasnachtsstreich: Gott schütze uns vor dem Weltkulturerbe!

Autor: Pirmin Meier, Historischer Schriftsteller, Beromünster LU/CH
 
 
Wie man es macht, ist es falsch. Soweit sich der Bund mit Kultur befasst, wird schnell kritisiert, es würden Filme unterstützt, die niemand sehen wolle, abseitige Musik, unverständliche provokative Kunst usw. Wo bleibt denn da das Volkstümliche? Dieses behält, nicht nur als Alibi, seinen Stellenwert. Die Kulturhoheit der Kantone ist mehr als nur ein Vorwand. Eine Einheitskultur gilt als unschweizerisch. Bemühungen in diese Richtung, so durch den aus Deutschland zugewanderten helvetischen Kommissar Heinrich Zschokke (Luzern 1799) sind grandios gescheitert. Damals herrschten Visionen wie nie zuvor und nachher. Aber der erste gesamtschweizerische Kulturbeauftragte arbeitete mangels Staatsfinanzen ohne Lohn.
 
Mit der Helvetik (1798–1802) hat die heutige Kulturpolitik gemeinsam, dass sie in der Schweiz etwas bewegen will. In Sachen Bildung machte der helvetische Minister Stapfer ein wertvolles Inventar. In der Gegenwart wird nun, national und international, die Kultur inventarisiert. Stichwort: Unesco-Weltkulturerbe. Vorläufig haben es die Basler Fasnacht, der Jodel, die Alpabfahrten und, klar als Ränderbewirtschaftung beim gebeutelten Tessin, eine Prozession in Mendrisio geschafft. Nicht aber zum Beispiel die 500-jährigen Luzerner Auffahrtsumritte (Beromünster, Altishofen, Hitzkirch). Nicht die bei Renward Cysat schon vor 1600 beschriebene Luzerner Fasnacht, doppelt so alt und dreimal so lustig wie die Baslerische, auch klar lauter und beinahe südländisch-orgiastisch. Eigentlich sollten wir aufbegehren. Denen in Bern und bei der Unesco den Tarif erklären! Kurt H. Illi selig würde sich im Grab umdrehen.
 
Es bleibt eine Ermessensfrage, welche Bräuche und Anlässe es auf eine Liste von 167 schützenswerten Traditionen in der Schweiz bringen und welche zuletzt der Unesco quasi als Rosinen im Festkuchen vorgeschlagen werden. Unter Berücksichtigung der Landesteile. Das wurde den Kulturprofis eingebläut.
 
Ich bin dankbar, dass die Wendelins-Chilbi in Krumbach LU (20. Oktober) beim Bund hoffentlich unbekannt bleibt. Erst recht der mit nichts vergleichbare Alpgottesdienst jeweils am 15. August auf der Alp Brüdern im Entlebuch, veranstaltet von einer Bergbauernfamilie, die seit 1590 dort „sitzt“. Am 16. Oktober 1467 kam mutmasslich Bruder Klaus bei den dort lebenden Gottesfreunden vorbei. Heutzutage wird an jenem Gottesdienst von Lisbeth und Ruedi Bieri Jahr für Jahr auf spirituellem Niveau gejodelt. Unbezahlbar.
 
Erst letzte Woche war die Luzerner Fasnacht Gegenstand einer voll belegten Vorlesung an der hiesigen Senioren-Universität. Dabei wurde der Unterschied zwischen der Dienstpflicht, der Feuerwehrpflicht und der Fasnachtspflicht herausgearbeitet. Wie zur Zeit von Bruder Klaus in Ob- und Nidwalden eine Dienstpflicht völlig unnötig war, erwies sich eine „Fasnachtspflicht“ in Luzern auch langfristig als überflüssig. Weil dem Bedürfnis nach Fasnacht bis heute in eidgenössischer Vollfreiheit nachgelebt wird. Der Referent warnte vor einem Fasnachtsgesetz. Es widerspräche dem anarchischen Charakter unserer Fasnacht, obwohl diese nach gewissen Regeln ablaufen müsse. Beispielsweise gebe es drei klar definierte Fasnachtstage, und eine Dauerfasnacht vom 11. November (Martini ist kein Fasnachtsanlass) bis zur Alten Fasnacht sei im Prinzip unluzernisch. Dem Missbrauch der Fasnacht, wie dem Missbrauch des Weihnachtsbaums, kann weder durch Eintrag unseres Brauchtums beim Bund noch bei der Unesco gewehrt werden.
 
Daneben bliebe aus der Sicht der Volkskunde, auch nach der Darstellung von Kenner Hanspeter Niederberger (1952–2000), die Festschreibung des Alpsegens zum nationalen oder internationalen Kulturerbe. Der Alpsegen ist nämlich ein mystisches Gebet. Der Betruf gehört weder in eine Festhütte noch muss er asiatischen Touristen demonstriert werden. Ebenso gut könnte man das Vaterunser zum Weltkulturerbe erheben. Letzteres hätte zwar den Vorteil, dass die Zahl der Kinder, die dieses Gebet nicht mehr „können“, vielleicht langsamer abnehmen würde.
 
Echte Volkskultur, wie die Fasnacht, muss weder national noch international unter Denkmalschutz gestellt werden. Sinnvoller als die Basler Fasnacht würde man den durch stabile Rituale gekennzeichneten Ständerat, eine politische Spezialität unseres Landes, zum Weltkulturerbe erheben. Ebenso ernsthaft, aber nur ein Bruchteil so lustig wie die Fasnacht. Im Ernst: Volksrechte als Bestandteil unserer politischen Kultur sind heute gefährdeter als Fasnacht und Jodlerfeste.
 
 
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