BLOG vom: 10.11.2014
Fernand Raussers Farben-Buch: Anleitung zum Hinschauen
Autor: Walter Hess, Publizist (Textatelier.com), Biberstein AG/CH
Wenn ich mich anschicke, über das neue „Farben“-Buch von Fernand („Sepp“) Rausser zu berichten, fühle ich mich befangen. Ich durfte nämlich das den einführenden Text über die uns umgebende bunte Welt mit ihren speziellen Wirkungen schreiben. Doch nicht dieses Vorwort ist das wesentliche Ereignisse im druckfrischen Buch, sondern es ist der zentrale Bilderteil aus dem riesigen Archiv von Fernand Rausser, der seinen 88. Geburtstag bereits hinter sich gelassen hat. Er fühlt sich derart vital, dass er seinen eigenen Wegwarte Verlag in Bolligen BE zusammen mit seiner ihn tatkräftig unterstützenden Frau, Ursula Rausser, ständig ausbaut (www.wegwarte.ch).
Wenn ich richtig gezählt habe, sind seit der Verlagsgründung vor rund 11 Jahren 31 Werke erschienen. Denn immer, wenn „Sepp“, wie ihn seine Freunde und Bekannten nennen, eine wichtige Erkenntnis unters Publikum bringen will, wird ein Buch daraus, das ihm dann zugleich auch ermöglicht, seine umfangreiche Dia-Sammlung sozusagen auszubeuten und einen kleinen Teil seiner Bilder aus der Zeit, als die Digitalisierung die Fotografie noch nicht beherrscht hatte, unters Volk zu bringen. Diapositive wurden mit der Leica sowie dem richtigen Blick und dem Sinn für den einmaligen Augenblick geschaffen.
An Autoren, die seine Ideen textlich untermalen, fehlt es ihm nicht, hat er doch einen grossen Bekanntenkreis aus Personen, die seine liebenswürdige, zugängliche und bescheidene Art mögen. Fürs „Farben“-Buch hat er auch Fred Zaugg, ehemaliger Lehrer, Feuilletonredaktor beim „Bund“ und heute freier Publizist, herangezogen. Sein Feuilleton ist berührend: „Dürfen wir Prismalo?“ – „So blau“ ‒ „Rägebogeland“ – „Ich träume schwarz-weiss“ – „Die Farbe Mensch“. Diese Erzählungen und Gedanken runden das Buch wunderbar ab. Ein lustiger Zufall: Die Geburtstage der beiden Buchautoren im Juni 1937 liegen nur 4 Tage auseinander.
Die Rausser-Fotos haben immer eine Botschaft. Auch sie sind Erzählungen, wobei die Aussage durch Gegenüberstellungen häufig erweitert und betont wird. Und eine Fotografie lässt immer auch Rückschlüsse auf den Fotografen, sein Sehen und Erleben, zu. Sepp sieht vor allem Farben, Strukturen, Muster in der Landschaft, die sich oft konkurrenzieren oder aber ergänzen. Er zeigt beispielsweise eine maschinell bewirtschaftete Baumplantage, die in schwungvolle Segmente aufgeteilt ist, neben verstreut stehenden Olivenbäumen auf Kreta, aus der Vogelschau. Solche Bilder erzählen von der Fantasie der Natur einerseits und dem menschlichen Schematismus anderseits. Im Buch finden sich ferner Gegensätze farblicher und gestalterischer Art: So erlebt der Betrachter einen mit bunten Blumen geschmückten, von einer Mauer umgebenen Friedhof im Tessin neben der Trostlosigkeit von rechteckigen Containern und Hochhäusern in New York, vor denen eine Abschrankung mit der Aufschrift „END“ auf gelbem Hintergrund als Blickfang zu sehen ist – der einzige Farbtupfer auf dem Bild, das zeigt, was entsteht, wenn sich die Architekten von der Form des Reissbretts inspirieren liessen. Sodann finden sich Einblicke in ein Kindergartenzimmer in Kenia, in dem die eng nebeneinander sitzenden Kinder mit ihrer dunkelbraunen Haut olivgrüne Trägerröcke als Uniform tragen, und daneben erhält der Betrachter einen Eindruck von einem Kindergarten in Palästina mit farbigem Plastikspielzeug und einer Sonnenschirm-Landschaft als Wandschmuck, welche die Stimmung aufhellt.
Das total 144 Seiten umfassende, von der ADD, Atelier Design + Druck AG, Bern, sorgfältig gestaltete Buch verbindet Skepsis, Kritik und Lebensfrohmut im wortwörtlichen Sinne aufs Schönste. Besonders gelungen ist das mit einem regenbogenfarbigen, geschlossenen Farbenkreis auf schwarzem Hintergrund nachempfundene Titelblatt mit grünen Blättern und farbigen Blüten, wodurch Ästhetik und Farbpsychologie angedeutet werden.
Durch die Reduktion aufs Wesentliche, aufs Starke, bleibt dem angeregten, inspirierten Leser und Schauer beim Durchblättern hinreichend Spatium, um seine eigenen Reaktionen und Gedanken einzubringen und zu testen, wie er selber auf die Botschaften der Farben anspricht. Aus meinem Vorwort: „Ob unbunt oder bunt: Die Farben sind eine gewaltige Macht, lösen Stimmungen und Gefühle aus, steuern unser Verhalten“.
Im neuen Buch bringen das die Bilder deutlich zum Ausdruck. Sie rütteln auf, erfreuen, kontrastieren und harmonisieren.
Bibliographische Angaben
Rausser, Fernand; Hess, Walter und Zaugg, Fred: „Farben. Ansichten mit Worten und Bildern über eine bunte Welt“, Verlag Wegwarte GmbH, Reckholtern 11, CH-3065 Bolligen (E-Mail: wegwarte@solnet.ch) 2014. ISBN: 978-3-9524088-1-0.
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