BLOG vom: 02.12.2014
November-Tagebuch. Von der Busfahrt bis zur Pilgerfahrt
Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich -Altstetten
Mein Anfahrtsweg in die Zürcher Innenstadt beginnt öfters mit einem Fussmarsch hinunter zum Farbhof (Busstation und Tram-Endstation.)
An diesem Tag, von dem ich erzählen will, war alles anders. Es stand kein wartendes Tram an der Station, das den Blick auf die Mitte der Schleife hätte abdecken können. Die Sicht auf den mächtigen Tulpenbaum war frei. Hei! dachte ich, wie schön du bist, auch mit deinem durchlässig gewordenen Kleid. Und am Boden, dir zu Füssen, das rostrote Blättermeer. Der Anblick: bühnenreif. In Gedanken dankte ich „Grün Stadt Zürich", dass diese Farbenpracht nicht in einem Übereifer gleich weggeblasen worden ist.
Der Fotoapparat lag in der Tasche. Ich konnte das schöne Bild, das ich da sah, gleich einfangen. Aber erst zu Hause entdeckte ich, dass mich aus dem Stamm ein weibliches Gesicht anblickte. Aus einer quer verlaufenen Verletzung entstand in der Rinde der Mund, aus abgeschnittenen Ästen schauten die Augen. Über ihnen, ebenfalls von überwuchernder Rinde gebildet, könnte eine Schutzbrille gesehen werden.
Wer je eine Ausstellung der Künstlerin Margaretha Dubach gesehen hat, wird verstehen, wer mich die Magie in den Dingen erkennen lehrte.
Später, als mich der Bus ins Stadtinnere und über die Bahnhofbrücke führte, wunderte ich mich, dass die Beleuchtung der Weihnachtsdekoration am Limmatquai eingeschaltet war. 2 Stunden nach Sonnenaufgang? Vielleicht zur Probe.
Mit dieser künstlichen Baumallee sind wir vertraut. Sie erfreut uns seit Jahren. Sie pflegt die Tradition. Sie kann Erinnerungen an vergangene Weihnachtsfeste wecken und das Weihnachtsgefühl aufkommen lassen. Erst seit gestern nehme ich an, dass sie viel robuster gebaut worden ist als ihr Vorgänger.
Aus einem Zeitungsausschnitt vom Dezember 1977 habe ich nämlich erfahren, dass die damaligen 42 Metallchristbäume grosse finanzielle Sorgen bereiteten. Winterstürme müssen ihnen zugesetzt haben. Pro Sturm seien von den 2184 Glühbirnen jeweils 250 beschädigt worden. Weiter wurde informiert, dass zusätzlicher Schaden von offenbar akrobatisch begabten Glühbirnen- und Christbaumkugel-Dieben verursacht worden sei.
Am Central angekommen, verliess ich den Bus und eilte ans Limmatufer, wolle mich vergewissern, ob die Lichter an den Bäumen noch brannten. Ja! Sie standen für eine Foto bereit.
Danach führte mein Weg auf der rechten Limmattalseite weiter. Die Höhenmeter, die ich von zu Hause nach dem Farbhof abwärts ging, mögen jenen, die ich jetzt noch aufwärts gehen musste, ungefähr entsprechen. Ich kam aber an keinem Ort vorbei, der mir die entsprechende Übersicht hätte schenken können.
Ich war auf dem Weg nach Liebfrauen. Freute mich auf das letzte Referat der diesjährigen Vortragsreihe Geistesblitze „Das Ganz Andere“.
Diese Veranstaltungen sind Angebote der Kirchgemeinde zu Predigern, im Auftrag der reformierten Altstadtkirchen und der katholischen Kirchgemeinde Liebfrauen. Solchen Einladungen folge ich gern. Darum empfinde ich den Monat November lichterfüllt, auch wenn ihn andere oft als grau beschreiben.
Die unkomplizierten Kontakte zwischen Reformierten und Katholiken erweitern an solchen Veranstaltungen noch zusätzlich den Horizont. Sie haben auch schon Freundschaften geschaffen.
Als eindrücklichstes November-Erlebnis werte ich jetzt aber die Ranft-Wallfahrt zu Bruder Klaus. Unserem jungen Pfarrer gelang es, eine zeitgemässe Form für sie zu finden. Eine Reise in die Nacht. Im Bus unterwegs.
Während der Fahrt durch den Autobahntunnel entstand für mich eine wohltuende Abgeschiedenheit. Wie in einer Kirche. Die Welt liessen wir draussen. Der Pfarrer hatte eine schlichte Andacht vorbereitet, und wir sangen das Bruder-Klaus-Lied. Ich staunte über uns alle, dass wir es noch singen können. Es hat seinen Sinn und seine Kraft immer noch in sich.
Während dieser Tunnelfahrt war die Sonne untergegangen. Wir fuhren in die dunkle Nacht hinein. Von meinem Sitzplatz aus zeigte sich mir der Verkehr. Seine Ordnungen, sein Lauf, die Beleuchtungen für den Strassenverkehr. Die Farben. Weiss strahlten Autos aus, die auf uns zukamen, rot jene, denen wir nachfolgten. Das ganze Bild: ein ruhig dahin fliessender Strom. Ohne Hektik. Alle, die ein Auto lenkten, kannten ihren Weg. Mit den Abzweigungen. Mit dem persönlichen Ziel und der Ordnung, es zu erreichen.
Ab Sachseln empfand ich die Landschaft geheimnisvoll, die Strassenbeleuchtung stark eingeschränkt. Aber wie vorher auf der Autobahn führten uns Wegweiser problemlos ans Ziel.
Zur unteren Ranftkapelle, wo wir gemeinsam für den Frieden beten wollten, führt ein schlangenförmiger Fussweg ungefähr 90 Meter in die Tiefe. Er ist nicht erleuchtet, doch die Augen haben sich sofort an die natürliche Dunkelheit gewöhnt. Stockdunkle Nacht empfing uns. Im oberen Drittel dieses Wegs begleiteten uns die Sterne. Im unteren Bereich hatte sich der Nebel festgesetzt. Er verzauberte das einzige Licht aus einer kugelförmigen Strassenlampe an der letzten Wegbiegung und warf seine Schatten an die Kapellenfront. Zusammen mit jenen der Eingangsüberdachung, der Kirchentüre und dem kreisrunden Oblichtfenster entstand von weitem der Eindruck, hier trete eine überirdische Person aus der Kapelle heraus und weise den Weg. Ob dieses Zusammenspiel an der Kapellenfront Komposition oder Zufall ist, erscheint mir nicht wichtig. Die Stimmung aber, die sie verbreitet, liess alles vergessen, was uns vor ein paar Stunden noch bewegt hatte. Mitbeteiligt an ihr auch das Gebet um Frieden und die schlichte Eucharistiefeier.
Der Pilgerseelsorger im Flüeli-Ranft, übrigens früherer Pfarrer in Zürich-Altstetten, informierte noch, dass Jugendliche aus der Schweiz immer ab Mitte November und im Dezember in der Art einer Stafetten-Wallfahrt hierher kämen, um für den Weltfrieden zu beten.
Auf dem Rückweg zu Fuss durften wir dem goldenen Sternenhaufen am schwarzen Himmel nochmals begegnen. Es war ein aussergewöhnliches Erlebnis.
Hinweise zu Niklaus von Flüe 1417‒1487
Wir nennen ihn Bruder Klaus. Er gilt als Schutzpatron der Schweiz. Sein Leben als Eremit, seine Spiritualität, seine Urvisionen, wie sie C. G. Jung nennt, beschäftigen uns immer noch.
Buchhinweis: Meier, Pirmin: „Ich Niklaus von Flüe", Unionsverlag Zürich 2014.
Im Internet sind verschiedene Informationen mit dem Stichwort Bruder Klaus, Niklaus von Flüe und Flüeli-Ranft zu finden.
Hinweis auf weitere Beschreibungen der Vorweihnachtsszeit
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