Textatelier
BLOG vom: 19.12.2014

Ottonische Kirche, Gerichtseiche und Wildschweinexpress

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
 
Bei unserer Wanderung vom 10.12.2014 wurde uns einiges geboten. Wir bewunderten eine kunstgeschichtliche Kostbarkeit, sahen eine Gerichtseiche, den Castellberg und einen „Wildschweinexpress“.
 
Unser Wanderleiter Toni von Lörrach war ganz verzweifelt, als er 3 Wetterberichte im Internet studierte. Die Vorhersagen schwankten ganz gehörig. Beim 1. wurde ein 50%iges Regenrisiko ab 14 Uhr, beim 2. bis 18 Uhr Trockenheit und beim 3. ab 16 Uhr Regen vorhergesagt. Frohen Mutes wanderten wir trotzdem, zumal wir einen Regenschutz dabei hatten.
 
Zu fünft starteten wir in Muggardt, dem Ort zwischen Wald und Reben. Die kleine Gemeinde gehört zum Markgräfler Weinort Britzingen und zur Stadt Müllheim (www.muggardt.de). Muggardt mit seinen 73 Einwohnern liegt so versteckt, dass nach einem Gerücht die Schweden im Dreissigjährigen Krieg den Ort nicht fanden. Nun, wir konnten den Ort mit Hilfe des Navis und den Strassenschildern leicht finden. Wir parkierten am Ende des Ortes auf dem Wanderparkplatz am Rand eines Wäldchens.
 
Ein kalter Wind pfiff uns um die Ohren. Dick eingepackt und gut behütet wanderten wir nicht durch den Wald, sondern am Waldrand oberhalb von Laufen auf einer kurzen Strecke des Bettlerpfads entlang in Richtung Sulzburg. Da wir eine Abkürzung über Wiesengelände wählten, machten wir Bekanntschaft mit dem Matsch auf den Grünflächen und teilweise auf den Wegen. Aber wir zähen, älteren Knaben kämpften uns tapfer durch. Unsere Beinkleider und Schuhe waren jedoch völlig verschmutzt. Ab und zu konnten wir die Schuhe am Gras etwas reinigen. Dann wurden wir von einem leichten Graupelschauer und Schneegestöber überrascht. In der Ferne sah ich auf einer Anhöhe die mit Schnee überzuckerten Bäume.
 
Nicht allzu durchnässt erreichten wir Sulzburg (www.sulzburg.de). Dieses gehört zu den ältesten und kleinsten Städten von Deutschland (2700 Einwohner). Diesen Ort lernten wir schon in früheren Wanderungen kennen. In meinem Blog vom 02.05.2009 („Schreckenstat auf Neuenfels: Rittergeschlecht ausgelöscht“) habe ich bereits die markantesten Sehenswürdigkeiten von Sulzburg beschrieben. Hervorzuheben sind die ottonische Kirche St. Cyriak, der jüdische Friedhof, das Landesbergbaumuseum Baden-Württemberg, die Gedenkstätte Ehemalige Synagoge Sulzburg und die im Kurpark befindliche Schlossturm-Ruine.
 
Eine kunstgeschichtliche Kostbarkeit
In Sulzburg wurde der Begründer der optischen Werke in Jena, Ernst Leitz (1871 bis 1956), geboren, ferner der Historiker Johannes Daniel Schöpflin (1694 bis 1771) und der 1. jüdische Professor im Deutschen Reich, Gustav Weil (1808 bis 1889).
 
Da einige Wanderfreunde die ottonische Kirche St. Cyriak noch nicht kannten, statteten wir dieser einen Besuch ab. Diese Kirche ist eine der bedeutendsten kunstgeschichtlichen Kostbarkeiten der Region, wie in dem Buch „Kunst, Thermen, Wein“ nachzulesen ist. Der Kirchturm mit dem typischen Satteldach wurde bereits im 11. Jahrhundert errichtet. Er ist somit der älteste erhaltene Kirchturm in Südwestdeutschland. Teile des Balkenholzes aus der Kirche sollen von einem im Winter 996 gefällten Baum stammen. Dieses Holz ist übrigens in einem Schaukasten links neben der Kirche ausgestellt. In der Kirche sind eine ornamentale Malerei und Reste von Fresken erhalten. Auf einem Wandfresko ist die Läuterung der törichten Jungfrauen abgebildet.
 
Die Krypta, die sich unterhalb des Ostchors befindet, konnten wir wegen Renovierungsarbeiten nicht besichtigen. Das Gewölbe der Krypta ruht nur auf einer Mittelsäule.
 
Man kann es kaum glauben, dass die Kirche in den 1830er-Jahren abgebrochen werden sollte. Das wurde zum Glück verhindert. Die Kirche diente zeitweise als Magazin in Kriegszeiten. Das Bauwerk war dann in einem miserablen Zustand. Die Stadt Sulzburg kaufte es schliesslich. Im 20. Jahrhundert wurde die Kirche behutsam renoviert und erscheint wieder in ihrer herkömmlichen Schlichtheit.
 
Eine besondere Gerichtseiche
Nach diesen kulturhistorischen Einblicken wanderten wir am Castellberg, Ziegelhof und Fohrenberg vorbei in Richtung Staufen-Grunern. Oberhalb von Ballrechten (seit 1971 Ballrechten-Dottingen) beim Wanderparkplatz an der Castellberg-Hütte bestaunten wir die 400 Jahre alte Gerichtseiche. Laut Überlieferung wurden hier Gericht gesprochen und Verbrecher aufgehängt. Von der Gerichtseiche ist nur noch ein 7 m hoher Torso erhalten (Stammumfang: 7 m, Durchmesser: 2 m). Der Freiburger Künstler Thomas Rees wurde gewonnen, um den Stamm künstlerisch zu gestalten. Es wurden ein Rabenvogel, Teufel und Schlange, ein Drache, Apfel und Kelch eingeschnitzt. Auch ein Winzer, der mit der Hand nach Trauben greift, ist zu erkennen.
 
In der Nähe des Baums konnten wir auf einem Schild lesen, dass sich auf einer Länge von 2 m hohlen, unteren Teil des Stamms ein Hornissennest befindet. Da die Hornissen unter Naturschutz stehen, sollte man sie nicht stören. Wir inspizierten den Hohlraum, bemerkten aber keine Hornissen. Wahrscheinlich waren diese ausgeflogen oder sind im Winterschlaf.
 
Als Bernd von Rheinfelden in einen Spalt sah und keine Hornissen entdeckte, sagte er: „Ich sehe nur den Claus.“ Claus blickte nämlich von der anderen Seite in den hohlen Stamm.
 
Thomas Rees hat noch viele andere bemerkenswerte Skulpturen geschaffen. Auf einer Wanderung auf dem Schauinsland bei Freiburg im Breisgau (Blog vom 29.07.2010: „Bergwelt Schauinsland: Pfad der Sinne und ein Waldgeist“) konnten wir diverse Skulpturen bewundern. Er arbeitet mit Vorliebe an Objekten in freier Natur. Besonders haben ihm alte Bäume, die verwachsen, morsch geworden, also nicht mehr zu gebrauchen sind, angetan.
 
Kein Mahl im Schleifsteinhof!
Von diesem beeindruckenden Kunstwerk wanderten wir weiter Richtung Staufen-Grunern und zum Schleifsteinhof. Toni machte uns den Mund wässrig, als er von delikaten Speisen in „Probst´ Straussenwirtschaft Schleifsteinhof“ erzählte. Dort wollten wir unser Mittagsmahl einnehmen. Auf einem Schild konnten wir lesen, dass diese Straussi bis 22.03.2015 geschlossen ist. Was uns blieb, war ein sehr schöner Blick auf Staufen und dem Schlossberg mit seiner Burgruine.
 
Dann wurde überlegt, wo wir unsere hungrigen Mägen sättigen könnten. „Das ‚Gasthaus zum Storchen’ in Ballrechten ist zu empfehlen“, war Tonis Meinung. Frohen Mutes wanderten wir den Fohrenweg entlang nach Ballrechten.
 
„Wildschweinexpress“ und Rosenschnaps
Unweit des Ortseingangs sah ich ein dreirädriges kleines Transportfahrzeug mit der Aufschrift „Wildschweinexpress“ (mit Hinweis auf das Gasthaus „Löwen“ in Heitersheim). Das Gefährt diente zum Transport von „Wild aus der Region“. Besonders reizvoll waren die 2 Aufnahmen von Schweinchen mit den Rüsseln in Grossaufnahme auf den Seiten des Vehikels. Da sich kein Wanderfreund als „Model“ zur Verfügung stellte, war ich bereit, mich neben die bildlichen Wildsäuen zu stellen. Claus machte dann eine originelle Aufnahme. Keine Angst, ich wollte mich nicht als Fahrer bewerben.
 
Von Einheimischen erfuhren wir, dass es im „Gasthaus zum Storchen“ keine einheimische Küche mehr gibt, sondern chinesisches Essen. Das Restaurant heisst jetzt „China Restaurant Lee Garden“. Die Speisen seien gut, wurde uns gesagt. Also suchten wir das in der Nähe der Kirche St. Erasmus befindliche Restaurant auf. In den alten Räumen des ehemaligen „Storchen“ hingen einige Bilder, wie sie in Chinarestaurants üblich sind. Wir nahmen an einem runden Tisch Platz, studierten die umfangreiche Speiskarte und bestellten typische chinesische Gerichte (Pekingsuppe sauer-scharf mit Gemüse, Frühlingsrolle, diverse Nudel- und Reisgerichte). Auch ein chinesischer Rotwein, ein chinesischer Rosenschnaps (manche solcher Schnäpse haben einen Alkoholgehalt von 54 %) und Pflaumenwein wurden degustiert. Claus empfahl uns den Rosenschnaps. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt. Alle waren mit den Getränken und preiswerten Speisen zufrieden.
 
Nach dem ausgiebigen leichten Mittagsmahl verliessen wir die warme Stube des Restaurants und machten uns auf den Weg zum Castellberg. Zum Glück hatte sich das Wetter in der Zwischenzeit gebessert. Es gab keinen Regen bzw. Graupelschauer mehr, aber der Wind piff uns immer noch ins Gesicht. Nur an geschützten Stellen herrschten angenehme Temperaturen so um 7° bis 8° C.
 
Hier eine Zwischenbemerkung: Ballrechten-Dottingen ist eine Gemeinde im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald und befindet sich 20 km südlich von Freiburg im Breisgau. Es ist eine bedeutende Weinbaugemeinde mit etwa 200 ha Rebfläche. In dieser Gemeinde war Christof Nitz Bürgermeister (1993‒2003). Heute ist er Bürgermeister von Schopfheim.
 
Trockenmauern am Castellberg
Nach etwa 30 Minuten erreichten wir den Castellberg (439 m ü. NN). Der oben bewaldete und mit einem Turm versehene Berg hat eine 16 ha umfassende Rebfläche. 10 % befinden sich in einer Steillage, der Rest ist Hanglage. Da wir einen mittleren Weg beschritten, mussten wir viele Stufen steil nach oben zu unserem Wanderweg gehen. Wie ich mir sagen liess, gibt es am Castellberg 3 steile Treppen mit zusammen 900 Stufen. Besonders beeindruckend sind die auf den süd- und südostexponierten Rebanlagen befindlichen historischen Trockenmauern. Durch Witterungseinflüsse waren bis vor kurzem etwa 1/3 der Trockenmauern und die Treppenanlagen schadhaft und nicht mehr standsicher. „Dieser Problematik haben sich der Arbeitskreis für Natur und Umwelt, sowie die Gemeinde in Ballrechten-Dottingen angenommen und konnten umfassende Sanierungsmassnahmen durchführen“, wie in einer Infoschrift der Bezirkskellerei des Ortes zu lesen war.
 
Eine sehr gute Information über das Castellberg-Projekt finden Sie unter dem folgendem Link:
 
Die Rebsorten am Castellberg reichen von Gutedel, über Müller-Thurgau bis hin zu den Burgundersorten und dem Gewürztraminer.
 
Auf unserem Wanderweg sahen wir etliche Infotafeln. Auf einer Trockenmauer blühten einige Schafgarben und an einer Stelle zwischen den Reben eine Beinwellpflanze. Im Monat Dezember sind blühende Pflanzen wohl eine Seltenheit.
 
Nach diesen Eindrücken wanderten wir wieder zurück nach Sulzburg und von dort über den Hohleichweg und Sandweg nach Muggardt.
 
Es war eine sehr interessante 4-stündige Wanderung, die uns allen, trotz der teilweisen widrigen Witterungsverhältnisse, gut tat. Die frische Luft hat unsere Lungen regelreicht „durchgepustet“. Unser Dank gebührt wieder Toni für die Ausarbeitung dieser Tour.
 
Anhang
Viele Wanderungen sind auf der Karte „Auf Schusters Rappen rund um Ballrechten-Dottingen, Heitersheim, Münstertal, Staufen und Sulzburg” aufgeführt. Die Wanderkarte ist erhältlich bei der Tourist-Information Ballrechten-Dottingen, Heitersheim, Münstertal, Staufen und Sulzburg. Die Karte wurde in Zusammenarbeit mit dem Schwarzwaldverrein erstellt.
 
Wer zum Castellberg und auf dem Weinlehrpfad wandern möchte, kann auch in Ballrechten-Dottingen starten. Es gibt auch einen Rundweg von Grunern nach Sulzburg.
 
 
Internet
 
Literatur
Förderverein St. Cyriak Sulzburg e. V. (www.sankt-cyriak.de): Flyer „St. Cyriak – Geschichte, erleben und erhalten“, Ballrechten-Dottingen (mit freundlicher Unterstützung Druckerei Winter, Heitersheim und www.land-in-sicht.de).
Philipp, Dorothee; Grosspietsch, Jost; Herbener, Arno; Rubsamen, Ralf: „Kunst, Thermen, Wein“ (Entdeckungsreisen durch das Markgräflerland), Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg im Allgäu 2009.
 
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