BLOG vom: 28.12.2014
Das Schreiben und das Lesen: Ein unzertrennliches Paar
Autor: Walter Hess, Publizist (Textatelier.com), Biberstein AG/CH
Über das Schreiben ist schon viel geschrieben worden. Für viele Menschen ist es eine Qual; man spricht dann von Legasthenie, einer Schreib- und Leseschwäche, die meistens wie Siamesische Zwillinge miteinander verbunden sind. Sogar das Lesen und das Schreiben sind ein unzertrennliches Paar: Wer keine Bücher liest und sich nicht von guter, anspruchsvoller Literatur inspirieren lässt, wird kaum je über die erzählerische Qualität eines Schüleraufsatzes hinauskommen. Er wird einfach die gesprochene Sprache in eine Art Schriftdeutsch umsetzen; das ist in allen deutschsprachigen Ländern zu beobachten. Einige Unzulänglichkeiten ergeben sich daraus.
Die Sprechsprache findet in einem vorgegeben Umfeld statt. Sie ist von Betonungen, Gestik und Mimik begleitet, von Interjektionen (Rückmeldungen) mitbestimmt. Und je nach den Gesprächspartnern genügt ein Antönen bekannter Dinge. Das sogenannte Nonverbale spielt mit.
An sich ist gegen eine einfache, gut verständliche Sprache nichts einzuwenden, die eine Kunstform für sich ist. Doch niemals darf es so weit gehen, dass der Leser erahnen muss, was mit einem geschriebenen Text gemeint sein könnte; er muss gerundet sein, Erklärungen enthalten, das Vorstellungsvermögen des Lesers befruchten.
Ein Unverständnis kann sich auch bei wissenschaftlichen Abhandlungen einstellen. Manch ein Autor verabschiedet sich von der Allgemeinverständlichkeit durch eine Anhäufung von seltenen Fachbegriffen, um zu zeigen, wie unendlich gescheit er sei. Vielfach ist das in medizinischer Literatur der Fall. Die katholische Kirche entzog sich dem Verständnis durch den Einsatz der lateinischen Sprache. Das Gegenteil findet man beim anbiedernden Journalismus, der mit einem geringen, banalen Wortschatz und ständig wiederkehrenden Floskeln agiert. Gerade bei Fernseh-Ansagern sind schablonenhafte, ständig wiederkehrende, hirnlose Formulierungen üblich („Danke für diese Einschätzungen“), und im Studio aufgebaute Applaudierkulissen werden mit Sätzen wie „Begrüssen Sie XY“ in Aktion versetzt. Überall spielt sich dasselbe Prozedere ab.
Das Schreiben sollte ungekünstelt und dem Gegenstand und dem mutmasslichen Publikum angemessen sein, zugleich aber auch einen individuellen Stil des Schreibers erkennen lassen, der Rückschlüsse auf seine Persönlichkeit zulässt. Wer schreibt, entblösst sich also durch seine Gedanken und dadurch, wie er sie präsentiert. Wenn ein Koch schluderig gekochte Speisen chaotisch präsentiert, wird der Gast dadurch den Pfuscher erkennen, welcher offenbar keinen Geschmack in jeder Bedeutung des Worts hat. Der Gast wird sich hüten, solch einem liederlich arbeitenden Menschen erneut in die Quere zu kommen. Dementsprechend können auch Autorennamen eine abschreckende Wirkung ausüben.
Die Art der Darstellung (Stil) ist das Eine, der Inhalt das Andere. Selbst der beste Stilist wird kein Publikum finden, wenn er nichts auszusagen hat. Für jedes schön präsentierte Gericht sind erstklassige Zutaten die Voraussetzung. Zwar ist es noch möglich, einige bescheidene Grundmaterialien etwas aufzupeppen. Irgendwo sind jedoch die Grenzen erreicht, und der Leser erwartet Substanz, die ihn sättigt und kräftigt. Aus einer Leere heraus kann nur eine gähnende Leere kommen, das Nichts, etwas Nichtiges. Damit mögen sich bestenfalls Philosophen wie Platon herumschlagen, wobei damit aber die Metaphysik nicht mit Verachtung abgestraft werden soll; es ist ja durchaus erlaubt, sich mit den letzten Fragen zu befassen. Die Literatur kennt keine Grenzen.
Wenn ein Text nicht auf eine bestimmte Anzahl Buchstaben beschränkt werden muss, sondern sozusagen ein offenes Ende haben kann, wie das im nunmehr 10 Jahre alt gewordenen Blogatelier (der Blog-Abteilung des Textatelier.com) der Fall ist, erhält der Schreibprozess eine Eigendynamik, die jeden Autor in ihren Bann zieht, mitreisst. Während des Schreibens finde ich keine Zeit für Pausen. Der Texter bringt seine Gedanken in Form und stösst unwillkürlich in neue, unbekannte Gefilde vor. Sie erzwingen von ihm frische Gedanken, wahrscheinlich auch neue Recherchen. Dadurch wird sich auch der Schreiber intellektuell weiterentwickeln, und seine Leser können, wenn auch mit einer Verzögerung, daran teilhaben.
Daraus entsteht mein Rat: Lesen Sie, denken Sie nach, setzen Sie sich hin und verfassen Sie ein Schriftstück. Eine Beschreibung eines Gefühls, eines Gegenstands, einer Landschaft, und dergleichen mehr, was Ihnen gefällt, was Ihnen einfällt. Eine exakte Darstellung ist sehr anspruchsvoll, zwingt Sie zur Verbreiterung Ihres Wortschatzes. Und wenn Sie dieses Meisterstück noch mit eigenen Gedanken, Erkenntnissen garnieren, fehlt Ihnen nur noch etwas: die Leserschaft. Die Sozialmedien stellen Ihnen keine Hürden in den Weg. Und sonst sammeln Sie Ihre Texte und ergötzen sich später immer wieder daran. Sie sind zu einem Stück von Ihnen geworden, ein Teil Ihrer Lebensgeschichte.
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