BLOG vom: 31.12.2014
Kein Rückblick und kein Ausblick an der Jahreswende 14/15
Autor: Walter Hess, Publizist (Textatelier.com), Biberstein AG/CH
„Mir bleibt nichts übrig,
als morgen auf der Vergangenheit zu stehn,
die ich mir heute schaffe.“
(Manfred Hinrich, deutscher Philosoph, gefunden bei „Zitante“)
Jahresrückblicke langweilen mich zutiefst. Sie tischen Bekanntes in chronologischer Reihenfolge oder in thematischer Ordnung auf. Ladenhüter-Verwertung. Und Ausblicke sind überflüssig, weil ja ohnehin niemand in die Zukunft blicken kann, abgesehen von fantasievollen Propheten, die der Belustigung dienen und nicht einmal selber glauben, was sie von sich geben.
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Es ist wie es ist, und es kommt, wie es muss. Und meistens kommt es anders. Diese unwiderlegbare Weisheit hat mir mein Vater mit auf den Lebensweg gegeben. Er hat sich immer wieder mit einem Spässchen über den Alltag mit seinen Freuden und Leiden hinweggetröstet und sich mit aufheiternden Sprüchen, die ihre Würze aus einer betonten Banalität bezogen, über die Gebresten, die er im 2. Weltkrieg in feuchten Bunkern bei der Rhein-Einmündung in den Bodensee (Altenrhein) und in lärmigen Webereien, umgeben von elektrostatisch aufgeladener Atmosphäre, aufgelesen hatte. Ein gewisser Fatalismus war dabei schon inbegriffen, herausgewachsen aus dem Bewusstsein, dass ein Einzelner diese verrückte Welt, die niemals zur Ruhe kommt, ja wohl kaum entscheidend verändern kann. Die Dinge nehmen ihren Lauf. Eine synthetische Kulisse verdrängt die Natur in Etappen, und wir basteln mit. Der Weltenlauf ergibt sich aus dem Zusammenspiel der bereits anthropogen markant beeinflussten Naturkräfte, eine Art von Evolution, von Entwicklung, wobei jeder Mensch ein kleiner Evolutionsfaktor ist und das Geschehen durch sein Verhalten kaum merklich mitbestimmt, ohne sich dessen bewusst zu sein. Sein Einfluss ist klein, wird aber grösser, wenn er an eine Machtposition gelangt, von der aus er auf Tausende, vielleicht Millionen von Menschen Einfluss nahmen kann, die mittrotten, manchmal mittrotten müssen und sich ihrer Möglichkeiten, gestaltend einzugreifen, nicht bewusst sind.
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Der Kosmos, die Erde und die darauf vegetierenden oder residierenden Lebewesen haben sich immer verändert, sich aufwärts, horizontal oder abwärts entwickelt. Forscher und Historiker haben sich beim Versuch, einen Überblick zu gewinnen, bemüht, den Ablauf der Geschehnisse in abgegrenzte Phasen oder Zeitalter aufzuteilen, was natürlich nur annähernd gelungen ist. Man kann nicht sagen, ab dem 01.01.1250 beginne das Spätmittelalter, das bis zum 31.12.1500 dauere und um Mitternacht beim Übergang zum 01.01.1501 in die Renaissance als frühe Neuzeit einmünde. Solche klar definierten Zäsuren gibt es nur in den Menschenhirnen (bestenfalls noch im Verlauf eines Musikstücks). In Wirklichkeit sind die Prozesse kontinuierlich, haben fliessende Übergänge und mögen wir noch so sehr einschneidende Ereignisse wie den Beginn oder das Ende von Weltkriegen, sodann Katastrophen und zerstörerische andere Ereignisse als Übergänge empfinden. Sie beeinflussen zwar den laufenden Prozess, aber nicht von einer Stunde zur anderen. Den Kriegen geht die Vorkriegszeit, genährt von Verleumdungen, Lügen und Sanktionen, voraus, und ihnen folgt die Nachkriegszeit, die ebenfalls nicht genau abgegrenzt werden kann. Die Geschichte quält sich auf ungeahnten Pfaden fort. Alles mäandriert und fliesst.
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Kein Ereignis steht allein im Raum, denn nichts und niemand kann sich dem Netz aus Wechselwirkungen entziehen. Jedes Lebewesen ist an seinem Ort oder in seinem Rayon in ein Gespinst aus Einwirkungen eingebunden, aus dem je nach dem eigenen Verhalten beliebige Resultate entstehen können. Wir sind in solchen Knäueln gefangen, einem Kokon ähnlich, mit dem verschiedene Insekten ihre Eier umhüllen und in das sie sich bei der Verpuppung selber einspinnen. Auf irgendeine Weise spinnen wir ja auch.
Viele Menschen, die dasselbe Schicksal erleiden, finden die Kraft nicht, sich von der beengenden Hülle zu befreien; sie verharren in übermässigen verwandtschaftlichen Einbindungen, vereinnahmenden Vereinigungen, Religionen, politischen Parteien, lassen überbordende Verarztungen über sich ergehen – bis hin zu einer Patientenkarriere und zur Psychiatrisierung und anderen gesellschaftlichen Zwängen wie die überhand nehmende Elektronik bzw. Digitalisierung und Kommunikation, wobei auch die Werbung eine verführerische Rolle spielt. In einem solchen, vereinnahmenden Umfeld fühlen sie sich von Erstickungsanfällen bedroht, japsen nach Luft und Freiheit, wagen es in ihrer Angepasstheit ans Herdenverhalten aber nicht, abseits zu stehen und ein eigenes, auf die persönlichen Bedürfnisse abgestimmtes Verhaltensmuster zu entwickeln. Das wohl ausgeprägteste Beispiel eines hirnlosen Herdenverhaltens findet innerhalb der Finanzmärkte (besonders an Börsen) statt. Die Angst vor der Ausgrenzung ist übermächtig, auch die Befürchtung des Einzelgängers, dass ihm in der Not der Herdenschutz nicht mehr zusteht. Und gleichwohl müssen sie Verluste selber tragen.
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Innerhalb der internationalen, US-gesteuerten Gleichmachung, die den verharmlosenden Namen Globalisierung trägt und eine neue Weltordnung im Hollywood-Primitivstil ist, neigt das überbordete Herdenverhalten zu Übertreibungen in beliebigen Richtungen. Aus Bagatellen werden Dramen oder aus Dramen Bagatellen, je nachdem, wie es dem Herdenführer gerade dient, wie er es befiehlt.
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Selbstverständlich birgt auch die Demokratie (die Herrschaft oder mehr oder weniger einschneidende Mitbestimmung des Volks) herdentriebhafte Elemente in sich. Mit allen verfügbaren Mitteln wie falschen Versprechungen, untermauert von einem Werbetrommelfeuer, werden die Stimmberechtigten beeinflusst. Besonders verhängnisvoll ist das in jungen, demokratie-ähnlichen Gebilden, in denen die Menschen noch kaum eine politische Erfahrung haben können. In traditionellen Demokratien wie der Schweiz werden Manipulationen eher durchschaut, und dann können sie ins Gegenteil dessen umschlagen, was die Drahtzieher bewirken wollten. Werden Manipulationsversuche übermächtig, sagt man vorsichtshalber nein. Der Schweizer Satiriker Andreas Thiel sagte kürzlich, wenn er nicht wisse, was er stimmen solle, lese er das Abstimmungsheftchen und lege ein Nein in die Urne, wenn ein Ja empfohlen werde – und umgekehrt.
Am Ende stellt sich die entscheidende Frage, ob die Volksmehrheit (beziehungsweise die grösste Masse) immer Recht habe. Zweifellos ist das nicht der Fall; auch die politischen Repräsentanten bieten keine Gewähr für sinnvolle Entscheide. Nur: In der Demokratie gilt unbedingt das, was die Volksmehrheit beschlossen hat, worin allerdings gewisse Gefahren liegen. Diesen müsste durch eine möglichst gute Bildung und Anregungen zu kritischem Denken soweit als immer möglich vorgebeugt werden. Doch die Lehrplanrevisionen stimmen wenig zuversichtlich. Der Bildungszerfall ist eine Folge der Amerikanisierung des Alltags.
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Massnahmen zur Nivellierung auf der untersten Stufe sind in der Globalisierungsphase, einem schleichenden Prozess, der wie ein Krake die verborgenen Winkel erreicht, das Merkmal dieser Zeit. Wenn die Geschichte uns eine nutzbringende Einsicht hinterlassen hat, dann diese: Auf Bewegungen folgen Gegen- oder Ausweichbewegungen. Etwas salopp ausgedrückt: Hat man von einem Zustand die Nase voll, wird man sich davon abwenden und sich Neuem zuwenden, wobei die etablierten Kommandozentralen zusammenbrechen.
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Wollte man sich aus einem missionarischen Drang heraus für eine in kleine, lebendige Einheiten zusammengeschusterte Gesellschaft mit individualisiertem Lebensraum und seinen Selbstregulationsmechanismen stark machen, müsste man von den heutigen Menschen ein auf Fakten basiertes Entscheidungstraining fordern, das den Aufstieg zur Eigenständigkeit ebnet und Konformität und Kadavergehorsam überwindet. Natürlich findet diese Art von Freiheit und Unabhängigkeit ihre Grenzen dort, wo die Biosphäre und andere Lebewesen in Mitleidenschaft gezogen würden. Für andere, die in Not sind, da zu sein und ihnen zum aufrechten Gang zu verhelfen und die uns anvertraute Natur zu bewahren statt im biblischen Unsinn und Geist untertan zu machen, sind ehrenwerte Notwendigkeiten.
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Die Verwirrungen als Merkmale der Moderne (zu ihrer Zeit war jede Zeit eine Moderne) begründen sich im Wesentlichen auf dem Dilettantismus: das heisst, viele Leute bekleiden wichtige Posten, ohne das Rüstzeug dafür mitzubringen. Es waren politische Gründe oder irgendwelche günstige persönliche Verstrickungen, die ihnen den Aufstieg ermöglicht haben. Die vor allem als Begleiterscheinungen zu Feminismus und Genderismus („Gender Mainstreaming“) mit der damit verbundenen Einebnung von Rollenbildern und Geschlechtern grassierenden Quotenregelungen verstärken die desolate Lage noch. Das Geschlecht geht vor Eignung. Dabei wird grosszügig übersehen, dass für gewisse Aufgaben Frauen die besseren Voraussetzungen haben – und für andere eben die Männer. Das Beispiel aus der eigenen Familie: Meine Frau leitet das interfamiliäre Besorgungswesen – und ich die Abteilung Entsorgung.
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Zu allen Zeiten hat es weise, durch ihre vorausschauende geistige Haltung auffallende Persönlichkeiten gegeben, die sich in entscheidenden Phasen zum Wort meldeten, mit aufrüttelnden Reden oder Schriftstücken Grundsätze in Erinnerungen riefen und durch Aufrufe zum Widerstand gesellschaftliche Fehlentwicklungen verhindern konnten. Solche markante, dem Landeswohl verpflichtete Mahner – Staatsleute, Wirtschafts- und Armeeführer, Gelehrte, Wissenschaftler, Kulturschaffende usf. – sind heute selten geworden und werden von den medialen Lautsprechern, die sich von der Vermassung vereinnahmen liessen, nicht mehr erkannt und gar heruntergemacht, wenn sie sich dem Zeitgeist entgegenstellen. Der Wille zur politischen Selbstverwaltung wird oft mit Verachtung abgestraft.
Das war nicht immer so. Man erinnert sich in diesem Zusammenhang an Namen wie Niklaus von Flüe, Huldrych Zwingli, Albrecht von Haller, Jean-Jacques Rousseau, Heinrich Pestalozzi, Konrad Gessner und viele andere bis zu Conrad Ferdinand Meyer, Eugen Huber (Zivilgesetzbuch-Schöpfer) und General Henri Guisan. Die Bedeutung von Christoph Blocher, der uns vor dem EWR und damit vor der EU bewahrt hat, wird wohl erst in Jahrzehnten richtig erfasst werden können. Sie hatten recht starke Wirkungsmöglichkeiten, sagten zur gegebenen Zeit das Richtige. Viele heutige Experten aber werden nach Parteifarbe und nicht nach Weitsicht ausgewählt, und viele Denker, die Zusammenhänge nicht aus dem Augen verloren haben, wollen sich nicht dem gleichgeschalteten Massengeschmack aussetzen und ziehen sich zurück, entziehen sich dadurch ihren staatsbürgerlichen Pflichten. Infantilisierte Medien tragen dazu bei.
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Die Resignation ist allüberall gross, und Berufsaufwiegler lancieren Streiks und Demonstrationen mit Zerstörungspotential unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit, ähnlich wie Staatsideologien sich auf die Glaubensfreiheit berufen. Die Geistesverwirrungen sind gewaltig und schlagen auch auf den Privatbereich durch. Er beeinflusst uns direkt. Aus dieser eingeengten Sicht heraus beurteilen wir ein Jahr, wenn wir Bilanz ziehen, ein Jeder auf seine Weise. Wahrscheinlich kann man sich auf den gemeinsamen Nenner einigen, dass dieses 2014 ein turbulentes Jahr der Verunsicherungen war.
Bei den berufsaktiven Generationen standen die Verunsicherungen im Vordergrund. Traditionsunternehmen, die während Jahrhunderten oder Jahrzehnten stabil waren, sind zu Handelsobjekten wie Gebrauchtwagen geworden, die ihr wirtschaftliches Glück vor allem im Wegrationalisieren von Arbeitsplätzen sehen. Das führt zu grossen Verunsicherungen. Die Arbeitsmärkte sind in Aufruhr, und das hängt unter anderem auch mit den Millionen von Flüchtlingen und damit mit dem Elend zusammen, welche das traurige Resultat von immer neuen Kriegen sind, welche die Vereinigten Staaten von Amerika möglichst weit von ihrem eigenen Territorium entfernt anzetteln. Sie zwingen einfältige, zur Unterwürfigkeit neigende Regierungen, die zerstörerischen, blutigen Arbeiten zu erledigen, wo immer von Barack Obama höchstpersönlich befohlene Drohnenmorde aus dem Hinterhalt nicht ausreichen. Wer sich dem US-Eroberungsdrang, der auch wirtschaftliche Bereiche einbezieht, in den Weg stellt, wird mit Sanktionen oder anderen existenzvernichtenden Strafmassnahmen belegt. Selbst Russland, das seit über 25 Jahren eine vorbildliche, friedliche Politik verfolgt, aber sich den USA, EU, NATO und dergleichen Macht- beziehungsweise Kriegsbündnissen nicht unterwirft, muss das jetzt gerade schmerzlich erfahren.
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Wir Alten, beruflich Ausrangierten, die unsere Vorsorgeleistungen zurückerhalten und davon sowie von dem leben, was wir uns in Jahrzehnten vom Maul abgespart haben, sind besser als jüngere Generationen dran. Vieles, was an falschen Weichenstellungen geschieht (zunehmende Anbindung an die EU, undurchdachte, folgenschwere Energiewende, Zerfall von regionalen und nationalen Eigenarten, Gleichmachungen von Ungleichem, Frühsexualisierung von Kindern bei einem allgemeinen Bildungszerfall, markante und filigrane Folgen des politischen Dilettantismus und so weiter, verwirrte, aufs Seichte kaprizierte Medien) wird uns Gestrige kaum mehr mit voller Wucht betreffen. Infolgedessen könnten wir uns zurücklehnen und zusehen, wie die Sintflut heranbrandet.
Aber nach meinem persönlichen Dafürhalten müssen wir unsere wirtschaftliche und gesellschaftliche Unabhängigkeit nutzen, uns einschalten, den Mahnfinger erheben und unser angesammeltes Wissen in Verbindung mit unseren Erfahrungen einbringen, ohne eine Gerontokratie, eine Herrschaft der Alten, aufzubauen. Wir sehen die Welt aus unserer Sicht, und möglicherweise engt sich das Gesichtsfeld mit zunehmendem Alter ein. Doch immerhin können daraus einige Bremsaktionen hinsichtlich des Ungestümen, schlecht Vorbereiteten ergeben ... was einen Zeitgewinn bedeutet, der nötig ist, um mit mehr Bedacht an Anpassungen und Veränderungen, die Verbesserungen sein sollten, heranzugehen.
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Wir müssen daran mitarbeiten, damit es kommt, wie es muss, damit es kommt, wie es sinnvollerweise kommen müsste.
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Ein neues Jahr steht an: Wir wünschen Ihnen eine glückliche Zeit, die Sie durch Ihr eigenes Zutun nach Ihren Bedürfnissen gestaltet mögen. Wir werden uns weiterhin nach demokratischen Prinzipien einsetzen, in der Hoffnung, verhindern zu helfen, dass alles aus dem Ruder läuft.
Für Impulse sind wir immer empfänglich.
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