Textatelier
BLOG vom: 21.02.2015

Recherchen 21: Reis als ein Bestandteil bäuerlicher Kost?

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
 
„Von Werner Fasolin habe ich Ihren herrlich interessanten Text mit Informationen zum Speisezettel vor 100 Jahren erhalten. Ich bin an einer Arbeit über das Restaurant Rössli in Gipf-Oberfrick (Aargau/CH). Was mich brennend interessiert, ist: Wann wurde eigentlich Reis zu einem integrierten Bestandteil in der einfachen, bäuerlichen Küche? Wann wurde er im Speisezettel aufgenommen?
Mein Gefühl sagt mir, dass Reis erst Mitte 20. Jahrhundert zu einem verbreiteten und gebräuchlichen Lebensmittel wurde. Vorher Kartoffeln – noch früher Rübe. Feststellen konnte ich, dass Reis über Spanien zu uns gelangte −, doch frage ich mich: zu wem? Wenn Sie mir bei Gelegenheit zu meiner Frage erhellend antworten könnten, ich würde mich sehr freuen.“
Kaspar Lüscher (Autor, Schauspieler, Erzähler, Regisseur im Theater),
CH 5073 Gipf-Oberfrick (www.kasparluescher.ch).
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Für uns Blogger ist es immer erfreulich, wenn ältere Blogs beachtet werden. In diesem Fall war es das Blog Nr. 1456 vom 30.11.2005 „Bäuerliche Kost (1): Von Ankebrot und Schareweihe.“
 
Ernährung vor 200 Jahren
Betrachten wir zunächst einmal, was unsere Landbevölkerung vor über 200 Jahren verspeiste. Die Bauern waren Selbstversorger. Zum Frühstück gab es Hafermus oder eine Mehlsuppe, zum Mittagessen kamen Kürbismus, Rüben, Kraut, Sauerkraut und Speck auf den Tisch, und zum Abendessen wurden Milch-, Mehl- oder Krautsuppe gereicht. Wohl kein feudales Essen für die Landbevölkerung. Kartoffeln wurden vor mehr als 200 Jahren angebaut; sie waren jedoch als Schweinefutter und Armeleuteessen verpönt. Erst nach schlechten Getreideernten und Hungerjahren wurde der Kartoffelanbau forciert, und erst dann kamen Erdäpfel in allen möglichen Variationen auf den Tisch. Die Kartoffel wurde zum Hauptnahrungsmittel. Schon zum Frühstück gab es Rösti oder Bratkartoffeln, zum Mittagessen ein Eintopf aus Äpfeln oder Birnen, Kartoffeln und gelegentlich Speck und zum Abendessen Pellkartoffeln. Ab und zu sorgten Mehlspeisen, Saisongemüse und im Winter Sauerkraut für Abwechslung. Brot wurde wenig gegessen. Fleisch gab es meistens nur sonntags. Wohlhabende Leute assen auch dienstags und donnerstags Fleisch.
 
Um Nahrungsengpässe zu vermeiden, begannen Hausfrauen Gemüse, Obst, Beeren durch Trocknen, Dörren und Einmachen zu konservieren.
 
Quelle: Ausstellung „Eine Archäologie des Essens“ und „leibundleben- Vom Umgang mit dem menschlichen Körper“, Kantonsmuseum Baselland in Liestal und Ausstellungskataloge (2001).
 
Wann stand Reis auf dem Speisezettel?
Wichtige mittelalterliche Ernährungsgewohnheiten waren diese: In Städten bildeten Getreide, Hülsenfrüchte und Reis, der schon damals in erheblichen Mengen importiert wurde, eine wichtige Rolle in der Ernährung. Auch der Buchweizen wurde damals in der Küche verwendet. Der deutsche Milchreis wurde schon in einem Klosterkochbuch von 1350 beschrieben.
 
Reis wurde, wie Sri Owen in seinem Werk „Rice Book“ berichtete, auf der iberischen Halbinsel seit der Dynastie der Omaijaden im Jahre 755, als sie Teile Spaniens eroberten, angebaut. Gegen Ende des Mittelalters wurde Reis auch in Norditalien zur Kulturpflanze. Im erwähnten Buch wird geschrieben, dass in englischen Haushaltsbüchern der Reis zum ersten Mal im Jahre 1234 erwähnt wurde. Reis war zu diesem Zeitpunkt noch deutlich teurer als Honig. Er wurde vor allem für Puddinge und Süssspeisen verwendet.
 
Gläubige mussten an Fastentagen, wie Jean-Francoise Revel berichtete, die Anzahl der Mahlzeiten oder die Portionen deutlich einschränken. Das galt natürlich nicht immer für die Fürsten. Beispielsweise lud Ludwig IX. im 13. Jahrhundert die Mönche eines Klosters in Sens zu einem üppigen Festmahl ein. „Wir hatten zuerst Kirschen, dann sehr weisses Brot, dazu kredenzte man uns vom besten Wein in Hülle und Fülle … Danach reichte man uns junge, in Milch gekochte Saubohnen, Fische und Krebse, Aalpasteten, zimtbestreuten Reis mit Mandelmilch, dann gebratenen Aal in einer sehr guten Sauce, Rundbrot und Quark und zum Schluss eine Menge Früchte“, schrieb einer der Teilnehmer an diesem opulenten Mahl. Die stets hungrigen Klosterbrüder konnten sich einmal so richtig satt essen.
 
Reis als Volksnahrungsmittel
Im „Appetit-Lexikon“ von 1894 (Nachdruck 1997) wurde ich fündig und damit konnte die Anfrage in etwa beantwortet werden.
 
„Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich der Reis immer entschiedener den Volksnahrungsmitteln zugestellt und machte mehr und mehr den Graupen Konkurrenz, ohne jedoch seinen Charakter als Luxusspeise gänzlich zu verleugnen, denn noch immer fällt der grösste Reisverbrauch in die Perioden des wirtschaftlichen Aufschwungs, in Frankreich in die Jahre 1866 bis 1870, in Deutschland in die Jahre 1871 bis 1874.“
 
Die Autoren des erwähnten Lexikons bemerkten noch, dass Reisgerichte wie Reiskugeln, Reisstrudeln, Reiscroquetten, Reispuddings, Reisaufläufe und Reiscremes in guten Jahren vermehrt auf die Tische kamen. Zu den Reisgerichten mit einem höheren Ansehen gehörten „italienische Reisbirnen, Reiscroquette-Masse mit getrüffelten Gansleberfüllsel, in Birnenform gebracht, gebacken und mit italienischem Salat serviert, und vor allem das italienische Curry, gespicktes Huhn mit Knochenmarkfüllsel, in Wein gedämpft, auf Reis gebettet und mit Parmesanreibsel bestreut, ein Gericht
 
‚Wie die Palme voll von Anmut
Eine Zierde der Natur’ –
 
nur leider nicht besonders verdaulich und daher mit geziemender Zurückhaltung zu geniessen.“
 
Schon damals wurde Reismehl und Reisgriess für Suppeneinlagen verwendet. Der Griess wurde vielfach in Brauereien als Malzersatz gebraucht. Der Reis diente aber auch zur Herstellung geistiger Getränke.
 
Reis wurde lange Zeit in der bäuerlichen Küche kaum für Gerichte verwendet. Dazu einige Beispiele: Im Buch „Schwarzwaldleben anno dazumal“ gab es um 1860 bei festlichen Anlässen, Familienfeiern oder beim Schlachtfest beispielsweise das folgende Menü:
 
Kesselbrühsuppe,
Schweinefleisch mit Brot,
Sauerkraut und Schweinefleisch,
gekochte Birnenschnitze mit Schweinefleisch,
Reisbrei,
süsse oder gestandene Milch, zuweilen auch Zieger.
 
Bei Taufen bestand das Mahl aus Sauerkraut mit Schweinefleisch, Reissuppe mit Ochsenfleisch, und zum Schluss gab es Fasnachtsküchlein und Kaffee.
 
1896 war die Küche in der Kleinstadt reichhaltiger. Hauptlehrer Joseph Walter aus Hausach im Kinzigtal erwähnte folgende Speisen: Nudel-, Knöpfle-, Kartoffel-, Reis-, Gerste-, Milch-, Rübele-, Griess-, Erbsen- und eingebrannte Mehlsuppe.
 
J. H. Rauser publizierte in seinem Dörzbacher Heimatbuch den Küchenzettel eines Bauernhofs von 1939. Da gab es keine Zubereitungen mit Reis. Dafür Nudelsuppe, Schweinebraten und Kartoffelsalat (an Sonntagen), dann Mitte der Woche Salzkartoffeln, Bohnen und Rindfleisch. Die anderen Tage waren fleischlos.
 
Bei meinen Eltern, die in Bayern wohnten, war Reis bis in den 1960er-Jahren eine Rarität. Als Beilagen zu den Mittagessen wurden Knödel, Nudeln, Kartoffelsalat, Salzkartoffeln, Pellkartoffeln, Kartoffelbrei und Bratkartoffeln mit Kümmel gereicht. Reis tauchte auf dem Speisezettel nur als Milchreis und als Reissuppe auf.
 
Anhang
Reis als Medizin
Im Kräuterbuch von Ferdinand Höchstätter (1882) wird eine Abkochung von Reis als einhüllendes, reizminderndes, stopfendes Mittel bei Durchfällen, dann als Getränk auch bei hitzigen Fiebern gebraucht. „Gegen hartnäckigen Durchfall, Ruhr usw. empfiehlt sich gerösteter Reis, löffelweise genommen.“
 
Ein Dr. Schröder beschrieb in seinem Werk „Archiv für Hygiene“ 1895 die Diät eines Kinderheimes (zitiert in Mikkel Hindhedes Buch). An 2 Tagen der Woche gab es Reis (Donnerstag: Reis, Kartoffeln, Fett; am Samstag Reis, Fleisch, Kartoffeln, Fett).
 
Heute ist Reis auch Bestandteil der Krankenkost. Reis ist nämlich leicht verdaulich und laut Emma Graf ein erprobtes Heilmittel bei Magen-Darm-Reizungen, Durchfällen und eine gute Aufbaunahrung für Rekonvaleszente oder nach einer Säftekur.
 
Es gibt auch eine Reisdiät, die von Dr. Walter Kempner am amerikanischen Duke-Universitäts-Krankenhaus entwickelt wurde. Die Diät wird Bluthochdruckkranken und Diabetikern empfohlen.
 
Früher erhielten wir Kinder bei Erkältungskrankheiten eine Hühner- oder Gemüsebrühe mit Reiseinlage. Das tat uns gut.
 
Abspeckwillige schwören auf die Reis-Diät. Diese wird in der Reis-Diätklinik („Rice House“) im amerikanischen Durham Nc unter medizinischer Kontrolle durch Ärzte, Ernährungsexperten, Psychologen, Sport-Therapeuten durchgeführt. Es ist ein ganzheitliches Lifestyle-Programm.
 
Achtung! Bei dieser Diät kann es zu einem Nährstoffmangel kommen. Besser ist eine Reis-Diät mit Obst, Gemüse, fettarmen Milchprodukten und Salat. Bei der Diät kommt es zu einer Gewichtsreduzierung infolge hohen Wasserverlustes. Die Reis-Diät sollte man nicht auf Dauer durchführen.
 
Infos über die Reis-Diät unter:
http://www.abnehmen.net/diaeten/diaet-kategorien/diaetbuecher-/-konzepte/reis-diaet#field_1
http://www.paradisi.de/Health_und_Ernaehrung/Diaeten/Reis-Diaet/
 
Internet
www.schule-bw.de (Die Geschichte unserer Ernährung)
http://www.textatelier.com/index.php?id=3&link=423 (Diäten, die mehr schaden als nützen)
 
Literatur
Habs, Robert; Rosner, Leopold: „Appetit-Lexikon“, 1894, Nachdruck 1997, Oase Verlag, Badenweiler.
Graf, Emma: „Der Reis träumt von Mond und Wasser“, „Natürlich“, 1994/09.
Hindhede, Mikkel: Gesundheit durch richtige und einfache Ernährung“, Johann Ambrosius Barth Verlag, Leipzig 1935.
Höchstätter, Ferdinand; Martin u. a. (Herausgeber). „Grosses illustriertes Kräuterbuch“, Rudolph´sche Verlagsbuchhandlung, Dresden 1882.
Oeschger, Bernhard; Weeger, Edmund: „Schwarzwaldleben anno dazumal“, DRW-Verlag, Stuttgart 1989.
Owen, Sri: „The Rice Book“, Frances Lincoln Limited, London 2003 (siehe Wikipedia).
Revel, Jean-Francoise: „Erlesene Mahlzeiten”, Ullstein Verlag, Frankfurt a. M. 1979 (siehe Wikipedia).
Stiglmair, Anton: „Tiere und Pflanzen im alten Dorf“ = Kataloge und Begleitbücher des Hohenloher Freilandmuseums Nr. 5, Schwäbisch Hall-Wackershofen, 1988.
 
Hinweis auf die vorangegangenen Recherche-Blogs
 
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