Textatelier
BLOG vom: 28.03.2015

Frühlingsgedanken und Novalis im Zeichen der Romantik

 
Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
 
 
Der tägliche Genuss, den uns der Frühling beschert, ist es wert, näher beachtet zu werden.
 
Noch ist die Winterzeit nicht ganz überstanden-. Es ist nasskalt, nachts manchmal nahe dem Gefrierpunkt;  in höheren Lagen fällt immer noch Schnee. Aber die ersten Anzeichen des Vorfrühlings sind bei genauerer Betrachtung nicht zu übersehen.
 
Die ersten zarten Knospen; die Vögel, die sich langsam umsehen, wo sie denn ihren Nachwuchs sicher zur Welt bringen könnten; die Schneeglöckchen und die schon gelb blühende Forsythie; wenige Tage, an denen die Sonne ihre bereits leicht wärmenden Strahlen auf die Erde sendet: alles Anzeichen dafür, dass die Natur nach dem Winterschlaf aufwacht und sich regt.
 
Immer wieder erfreulich sind die Sonnenuntergänge, zu sehen durch unser Terrassenfenster, rotglühend und besonders schön, wenn sie gepaart sind mit Wolkenbänken, die die Strahlen erst richtig zur Geltung kommen lassen.
 
Und noch etwas: vor einigen Tagen hatte es geregnet und gleich darauf schien die Sonne. Die Tropfen hingen wie auf einer Schnur aufgereiht von den dünnen, noch unbelaubten Zweigen herab, und die Sonne liess sie aufleuchten, manchmal rot oder gelb, kleine Lichtlein unter dem Dunkel der Äste.
 
Beim Frühstück am Tag darauf der Blick durchs Fenster auf einen wolkenlosen, hellblauen Himmel, der sich leider oft nicht hält und grossen Kumuluswolken das weite Feld überlässt.
 
Bin ich romantisch? Bin ich naturalistisch? Naturalistisch bin ich, wenn ich mich als Teil der Natur ansehe und alle diese obigen Gedanken nicht als etwas Übernatürliches, Göttliches ansehe. Romantisch bin ich, weil meine Gedanken „das Leben und die Gesellschaft poetisch machen“ (August Wilhelm Schlegel 1767‒1845).
 
Ein Romantiker war Georg Philipp Friedrich von Hardenberg (1772‒1801), der sich das Pseudonym Novalis gab, einem uralten Beinamen seiner Familie in der Bedeutung „De novali“ – „die Neuland roden“, wie er selber an seinen Freund Schlegel schrieb.
 
Novalis schrieb ein „Frühlingslied“ mit 7 Versen, die bis auf den letzten alle mit dem Refrain enden: 
„Ich wusste nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.“
 
Frühlingslied
Es färbte sich die Wiese grün,
Und um die Hecken sah ich’s blühn;
Tagtäglich sah ich neue Kräuter;
Mild war die Luft, der Himmel heiter: (Refrain)
 
Und immer dunkler ward der Wald,
Auch bunter Sänger Aufenthalt;
Es drang mir bald auf allen Wegen
Ihr Klang in süssem Duft entgegen: (Refrain)
 
Es quoll und trieb nun überall
Mit Leben, Farben, Duft und Schall;
Sie schienen gern sich zu vereinen,
Dass alles möchte lieblich scheinen: (Refrain)
 
So dacht ich: Ist ein Geist erwacht,
Der alles so lebendig macht,
Und der mit tausend schönen Waren
Und Blüten sich will offenbaren? (Refrain)
 
Vielleicht beginnt ein neues Reich;
Der lockre Staub wird zum Gesträuch;
Der Baum nimmt tierische Gebärden;
Das Tier soll gar zum Menschen werden: (Refrain)
 
Wie ich so stand und bei mir sann,
Ein mächt’ger Trieb in mir begann.
Ein freundlich Mädchen kam gegangen
Und nahm mir jeden Sinn gefangen: (Refrain)
 
Uns barg der Wald vor Sonnenschein:
Das ist der Frühling, fiel mir ein;
Und kurz, ich sah, dass jetzt auf Erden
Die Menschen sollten Götter werden.
Nun wusst ich wohl, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah! 
Mit dem letzten Vers hat er erkannt, was der Frühling bedeutet: Das wieder aufblühende Leben nach der stillen Phase mit dem Ziel der Fortpflanzung, und ich füge hinzu, ganz so, wie es die Evolution eingerichtet hat. Novalis wird seinem Namen gerecht: Bedeutet „Neuland roden“ nicht auch der Beginn neuen Lebens?
 
Aber nicht nur dieser Aspekt! Erspüren Sie die Stimmungen, welche die Menschen (und nicht nur sie) an einem sonnigen Frühlingstag an den Tag legen! Die Gesichter hellen sich auf; es wird wieder gelacht, und die Laune hebt sich. Ist es nicht ein Genuss, das erste Eis des Jahres im Freien, der Spaziergang durch ergrünende Wälder und Fluren?
 
Die Sonnenstrahlen regen die Produktion von Vitamin D im Körper an, ohne das unser Immunsystem geschwächt und der Körper anfällig für Krankheiten wäre.
 
Also: wann immer sich die Sonne zeigt, sollten wir heraus aus dem Haus ins Freie gehen, der Aufenthalt in der erwachenden Natur wirkt sich positiv auf unser Wohlbefinden aus. Was wollen wir mehr?
 
Was ist neu an der Romantik? Ein paar Stichworte
Schriftstellerinnen (z.B. Dorothea Schlegel) spielen erstmals eine grosse Rolle im Bereich der Ästhetik und der Literaturkritik (moderne Literaturkritik wäre ohne die Werke von Friedrich und August-Wilhelm Schlegel undenkbar). Die Rolle des Katholizismus (viele Schriftsteller treten zum katholischen Glauben über). Avantgardistischer Prozess gegen die „reale Spiessigkeit“ der Spätaufklärung. Unkonventionelle Lebenspraxis (Geschlechterbeziehungen der Romantiker, mehrfache Beziehungstausche, derartige Haltungen kann man in Friedrich Schlegels Romanen lesen).
 
Junge Protestgeneration, die aber nach einem Jahrhundert zu den Stützen der Metternich´schen Restauration wird (Friedrich von Genz ist ein Bindeglied zu Metternich, Genz war ein Reaktionär, der die Ideen von 1789 aufs heftigste bekämpft hat; Adam Müller war mit Genz befreundet, zu Genz´ Biografie gibt es eine lustige Geschichte über die Liierung mit einer 40 Jahre jüngeren Frau). Zentraler Text aus dem Schlegelschen Fragment Nummer 116 „Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie“ = der Kernsatz der Romantik „das Leben und die Gesellschaft poetisch machen“. Kennzeichen der Klassik „Autonomie der Kunst“. Radikale Trennung und Konzept der Autonomie in Romantik: Kunst und Leben sollen Eins sein.
 
Wichtige Vermittlung: Rezeption der deutschen Romantik in Frankreich. Poetisierung der Totalität der Welt (kaum einlösbarer Anspruch, taucht im 20. Jahrhundert wieder auf; Isabella Braumann – Sommersemester 2013). Literarische Praxis, Begriff der Gattungsmischungen. Lyrisierungen spielen eine Rolle neben dem gestiefelte Kater: „Ponce de Leon“ von Brentano, bei dem die dramatische Sprache lyrisiert wird, dass man es als Drama fast nicht mehr lesen kann; das Stück wurde unter dem Titel Valeria oder Die Vaterlist auf dem Burgtheater aufgeführt; es war gegen Napoleon ausgerichtet. Deswegen wurde es am Burgtheater nie zu Ende gespielt; Form des Fragments (progressive Universalpoesie impliziert auch die Unabschliessbarkeit).
 
Kunsttheorie, Novellistik, Romane und Kritiker sind wichtig für die Romantik: Das erste Zentrum der Frühromantik ist Jena. Dort haben sich 2 Kreise aufgehalten, einer davon ist der „Heidelberger Kreis“, in dem vor allem Brentano, Eichendorff, Achim von Arnim zentral sind. Bei der Spätromantik wird auch Wien ein gewichtiges Zentrum. Im Bereich der Malerei gibt es die Abwendung von der klassizistischen Malerei, hier spielen die Nazarener eine grosse Rolle (deutsche Maler, die sich in Rom zu dem sogenannten Lukas-Bund zusammengeschlossen haben), auch biblische Stoffe und deutsche Landschaften. Die beste Übergangsdarstellung stammt von Heinrich Heine: „Die romantische Schule“.
 
 
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