Textatelier
BLOG vom: 17.05.2015

Apotheke Natur: Arzneipflanzengarten und Rhododendrental

 
Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
 
Paracelsus‘ Wort „Alle Wiesen und Matten, alle Berge und Hügel sind Apotheke“ fanden 23 Teilnehmer des Vereins KAB (Katholischer Arbeiter- und Angestelltenverein) St. Christophorus aus Kleinhüningen am 09.05.2015 im Arzneipflanzengarten in Basel-Brüglingen bei einer Führung von Frank Hiepe, Apotheker aus Zell im Wiesental, rundum bestätigt. Initiator der Veranstaltung war René Allemann. Er berichtete mir, dieser Anlass des Vereins sei immer die traditionelle Mütterfeier, welche mit einer Führung durch den Garten und einem Nachtessen verbunden ist.
 
Hiepe kam nach der Begrüssung auf die Signaturlehre zu sprechen. Bevor man die Wirkstoffe in den Pflanzen analysieren konnte, ging man nach dieser Lehre in der Therapielehre vor. So wurden etwa rote Früchte des Weissdorns bei Herzbeschwerden und Pflanzen mit gelben Blüten und gelbem Milchsaft (z. B. Löwenzahn, Schöllkraut) bei Leber-Galle-Erkrankungen verwendet. Auch die äussere Form von Pflanzenteilen spielte eine Rolle. Man verwendete beispielsweise das Frauenmantelblatt bei Frauenbeschwerden. Die Anwendungen sind heute noch aktuell und die Wirkungen medizinisch bestätigt. Nach den Einführungen wies Hiepe noch auf unser gemeinsam verfasstes Buch „Arnika und Frauenwohl“ hin.
 
Den Arzneipflanzengarten kannte ich schon von einigen Besuchen aus vergangenen Zeiten. Er wurde vor einigen Jahren komplett umgestaltet. Der ursprüngliche Garten entstand 1980 für die Gartenausstellung „Grün 80“. Er wurde damals auf Initiative des Schweizerischen Drogistenverbands angelegt und dem Botanischen Garten der Universität Basel am 29.04.1981 als Geschenk übergeben. Auf einem grossen Areal sind die Heilpflanzen nach Hauptindikationen übersichtlich angeordnet.
 
Auf den Kopfseiten der Beete sind schwarze Tafeln mit den Infos in weisser Schrift zu lesen. Die Beete sind eingeteilt in „Gemüse als Heilpflanzen“, „Kräuter gegen Schmerzen“, „Pflanzen für Duft und Geschmack“, „Kräuter für Schlaf und Gemüt“, „Kräuter für Herz und Kreislauf“, „Kräuter für Magen und Darm“, Kräuter speziell für Frauen“, „Pflanzen der traditionellen Chinesischen Medizin“, „Kräuter für Nieren und Blase“ usw. Einige der von Hiepe näher erläuterten Heilpflanzen werde ich anschliessend erwähnen und dazu passende Geschichten präsentieren.
 
Im Beet „Hortulus – Das Gärtchen“ wachsen fast alle Pflanzen, die der Mönch Walafrid Strabo 827 in seinem Gedicht „Hortulus“ erwähnt hat. Das Gedicht beschreibt die Pflanzen im Klostergarten zu Reichenau, deren Pflege und Anwendung.
 
Im Beet „Pflanzen für Duft und Geschmack“ befinden sich einige Kräuter mit einem höheren Gehalt an ätherischen Ölen. Sie spielen in der Naturheilkunde, aber auch in der Küche, Kosmetik- und Parfümindustrie eine wichtige Rolle.
 
Sokrates und der Schierlingsbecher
Von einigen Giftpflanzen wusste Frank Hiepe Besonderheiten zu berichten. So erfuhren die Gäste Fakten zum Gefleckten Schierling (Conium maculatum). Dieser ist leicht von anderen ähnlich aussehenden Pflanzen wie Wiesenkerbel oder Kümmel zu unterscheiden. Beim Schierling ist der Stängel gefleckt; die Pflanze riecht nach Mäuseharn. Die Pflanze zählt zu den giftigsten Arten der Doldengewächse. Im Altertum wurden Verurteilte mit Schierling hingerichtet. Auch der griechische Philosoph Sokrates musste 399 v. u. Z. den Schierlingsbecher austrinken.
 
Die zu den Nachtschattengewächsen zählende Tollkirsche (Atropa belladonna) ist ebenfalls giftig. Sie enthält Alkaloide, wie z. B. Hyoscyamin, Scopolamin, Atropin. In verdünnter Form wird das Atropin u. a. in der Augenheilkunde zur Erweiterung der Pupillen verwendet. Dadurch kann der Augenarzt das Augeninnere genau beobachten.
 
Das Frühlings-Adonisröschen (Adonis vernalis) war leider nicht zu sehen, dafür einige Schilder, die lose in einem Beet lagen. Ein schalkhafter Teilnehmer der Führung suchte sich das Schild „Frühlings-Adonis“ heraus und hielt sich dieses vor seine stolz geschwellte Brust. Er lächelte dabei, da er sich für einen Adonis (schöner Jüngling der griechischen Sage) hielt. Als ich ein Foto machen wollte, wiegelte er ab. Vielleicht wollte er das Foto nicht im Internet sehen oder doch nicht als Adonis in die Geschichte eingehen.
 
Die Blätter der Herbstzeitlose und das blühende Maiglöckchen waren vorhanden. Hiepe wies auf die Verwechslungsgefahr von Bärlauch mit den Blättern des Maiglöckchens und der Herbstzeitlose hin. In der Vergangenheit gab es  mehrere Todesfälle.
 
Am Rande eines Gatters war auch das Schöllkraut auszumachen. Im gelblichen Milchsaft befinden sich einige giftige Alkaloide, die bei längerer Anwendung Magen-Darmstörungen verursachen können. Der Milchsaft wird bei Warzen und Voll- und Teilbädern zur Linderung der Schuppenflechte angewandt. Der Tee oder eine Tinktur helfen bei Magen-, Darm- und Gallebeschwerden. In der Homöopathie zählt „Chelidonium“ zu den wirksamsten Galle- und Lebermitteln. Es wird aber auch bei Grippe, Bronchitis, Neuralgien und Muskelrheumatismus verordnet (D1-D6).
 
Die „Schlotterhose“
Einige schöne Exemplare der Akelei sahen wir in einem Beet. Die Akelei hat in der Schweiz die Volksnamen „Tauberl“, „Fünf Vögel“ (wegen der Blattform). In St. Gallen wird die Pflanze „Schlotterhose“ genannt. Im Mittelalter stand sie für „Heiliger Geist“, „Maria“, „Bescheidenheit“, „Demut“, aber auch für „Liebeskraft“. Die Akelei war Bestandteil von Liebestränken. Aber Vorsicht: So manche Romanze wurde im Keim erstickt. Da die Akelei leicht giftig ist, wurde so mancher Liebende, der vielleicht zu viel konsumierte, mit Erbrechen, Durchfall und Herzbeschwerden geplagt. In der Homöopathie wird die Akelei heute bei Herzbeschwerden eingesetzt (Wirkungsumkehr!).
 
Baldrian beruhigt
In einem Beet waren Kräuter für Schlaf und Gemüt vereint. Hiepe erwähnte den Baldrian, Hopfen, Lavendel, die Passionsblume und das Johanniskraut (auch bei leichten Depressionen wirksam).
 
Eine Teilnehmerin erzählte mir, sie habe ein gutes Beruhigungsmittel. Sie reibt eine Mischung von Lavendelöl und Jojobaöl auf die Innenseite des Handgelenks ein und atmet das ätherische Öl ein. Sie erwähnte auch, dass sie den am Abend eingeweichten Bockshornklee am nächsten Morgen gegen ihre Hüftarthrose mit Erfolg einnimmt.
 
Als ein Teilnehmer von der beruhigenden und schlaffördernden Wirkung diverser Kräuter hörte, flüsterte er mir ins Ohr: „Ich weiss auch ein gutes Mittel, nämlich den Holzhammer.“ Dann erzählte ich 2 Episoden über Baldrian:
 
Katzen sind Baldrian-Liebhaber
Gewusst wie: Kommt ein Katzenfeind in eine südbadische Apotheke und verlangt nach Baldrian für die streunenden Katzen in seinem Garten. „Sie wissen doch sicherlich, Baldrian vertreibt keine Katzen, er zieht sie an“, sagte der Apotheker. „Das weiss ich“, entgegnete der Kunde und fuhr fort: „Die Baldriantropfen sind für des Nachbars Garten.“ Durch diesen Trick blieb von nun an sein Garten katzenfrei.
 
Als ein von Durchfall geplagter Zeitgenosse in eine Apotheke kam und ein probates Mittel verlangte, bekam er vom Auszubildenden aus Versehen Baldrian-Tropfen. Als der Apotheker von der Verwechslung erfuhr, war er natürlich ausser sich. Zum Glück kam der Kunde in den nächsten Tagen wieder in die Apotheke. Der Apotheker wollte gern wissen, wie das Mittel denn bei ihm angeschlagen hat. Darauf antwortete der Geplagte: „Sehr gut, nun rege ich mich wegen des Durchfalls nicht mehr auf.“
 
Ein Teilnehmer wusste ebenfalls eine Anekdote. Eine Katze wurde immer unruhig, wenn in einem benachbarten Basler Betrieb Baldrianextrakt hergestellt wurde. Die Katze wanderte dann immer in Richtung der Duftwolke bis zur Firma. An geruchsfreien Tagen war die Katze nicht zu sehen.
 
Die Teilnehmer erfuhren noch vieles über weitere Heilpflanzen. Frank Hiepe verstand es wieder ausgezeichnet, das Wissen über Heilpflanzen zu vermitteln.
 
Nach 1.5 Stunden wurden die Gäste verabschiedet. Als kleines „Muttertagsgeschenk“ überreichte ich dem Vorsitzenden René Allemann meine Broschüre „Heilkräuter der Natur“.
 
Im Rhododendrontal
Nach der Führung besuchten wir das Rhododendrental. Auch dieses wurde für die Gartenausstellung „Grün 80“ angelegt. Möglich wurde dies durch eine Schenkung einer privaten Sammlung von grossen und seltenen Rhododendren.
 
Das Tal befindet sich in der äussersten Ecke des Englischen Gartens. Da wir noch nie dort waren, suchten wir und fanden es erst mithilfe von einigen Besuchern der Gärten. Nun sahen wir die in vielen Farben leuchtenden Rhododendren. Ein phantastischer Anblick bot sich uns. Auf schmalen Wegen lustwandelten wir an der farbenprächtigen Blütenlandschaft vorbei. Man hatte das Gefühl, durch einen Märchenwald zu schweben.
 
Gegenwärtig sind 365 Rhododendren zu sehen. 214 sind bestimmt, darunter befinden sich 46 Wildarten. Manche wachsen zu regelrechen Bäumen heran.
 
„Damit die Pflanzen hier überhaupt wachsen können, wurden die Beete aufwendig bearbeitet, denn Rhododendren bevorzugen einen sauren und gleichmässig feuchten, aber durchlässigen Boden“, las ich auf einer Info-Tafel.
 
Der „Märchenwald“ ist in voller Pracht jeweils im April und Mai zu sehen. Nichts wie hin, bevor alles verblüht ist!
 
 
Internet
 
Literatur
„Brüglinger Mosaik 2015“ (Feunde des Botanischen Gartens in Brüglingen; Vereinsmitgliedschaft unter vereinfreunde@gmail.com)
Scholz, Heinz; Hiepe, Frank: „Arnika und Frauenwohl“, Ipa-Verlag, Vaihingen 2013.
Scholz, Heinz: „Heilkräuter der Natur“, Hübner, Ehrenkirchen 2014.
 
 
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