Wichtige heilkräftige alpine Kräuter
Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
„Auf einer Morgenwanderung über Alpwiesen und Bergkämme fernab vom Autoverkehr begegnen wir womöglich niemandem, und doch fühlen wir uns nicht allein, denn wir sind in guter Gesellschaft, wenn uns die Botanik begeistern vermag. Auf Schritt und Tritt sehen wir irgendeinen Freund aus der Pflanzenwelt“, schrieb einst Alfred Vogel (1902-1996) in seinem Werk „Die Natur als biologischer Wegweiser“.
Auch Walter Hess schätzte die Alpenpflanzen sehr. Im Blog vom 13.09.2008 („Saanenland 3: Brigitte Pulfer, Kräuterfrau vom Meielsgrund“) schrieb er: „Alle Pflanzen sind Meister in Bezug auf Anpassungen und Genügsamkeit und auf die bestimmten örtlichen Verhältnissen (Geologie, Boden/Nährstoffe, Höhenlage, Klima usf.) ausgerichtet.“ Er beschreibt dann den üppig blühenden Alpengarten in 1500 m Höhe, der sich neben dem 300-jährigen Alphüttli von Ruth von Siebenthal Hung befindet. Walter lernte auch die Österreicherin Brigitte Pulfer kennen, die hier seit vielen Jahren jeweils die Sommermonate verbringt und den Garten pflegt. Besonders bewunderte Walter die üppigen Areale der folgenden Pflanzen: Edelweiss, Gelber Enzian, Steppenbeifuss, Muskatellersalbei, Sonnenhut, Wegwarte.
Auch wir erlebten die herrliche Bergwelt mit den alpinen Kräutern in etwa so. Als wir (5 Wanderfreunde und ich) 2012 eine Umrundung der Drei Zinnen in Südtirol unternahmen und auch in andere Regionen der grandiosen Dolomiten wanderten, waren wir besonders von der farbigen Blütenpracht der Alpenblumen begeistert. Wir sahen viele bunte Pflanzenteppiche, blaublütige Enzianarten und herrliche Alpenrosen neben den Wanderwegen, einzelne Gewächse auf Geröllhalden und in Felsspalten. Für uns alle erstaunlich war, wie sich die Pflanzen trotz harter Bedingungen entwickeln können. Sie halten Hitze, Eiseskälte und intensive Höhenstrahlung ohne Schädigungen aus.
Unter den geschätzten 2000 Pflanzenarten in den Alpen gedeihen auch Heilpflanzen. Viele dieser Heilkräuter sammelte die Bergbevölkerung, um daraus Tees, Kräuterschnäpse und Kräuterliköre herzustellen. Alpenkräuter werden heute für die Herstellung von Phytotherapeutika, Homöopathika und Kräuterspezialitäten (Ricola) genutzt. Die Kräuter für diese Spezialitäten stammen aus naturgemässem Anbau aus dem Schweizer Berggebiet.
Walter Hess degustierte anlässlich seines Besuches im Alphüttli den „Wurzelmanndli“-Likör von Brigitte Pulfer. Der Likör wurde aus Pestwurz, Engelwurz, Meisterwurz, Waldmeister, Wacholder, Brennnessel, Apfelbrand, Zucker und Alkohol (30-Volumenprozent) hergestellt. Walter schrieb begeistert im erwähnten Blog: „Wir durften dieses Kraftgetränk degustieren und hatten das Gefühl, eine ganze Heilkräuterapotheke im Mund zu haben und blühten auf.“
Viele Wildkräuter sind geschützt
Aber Achtung! Viele der Wildkräuter sind geschützt und dürfen nicht gesammelt werden. Ausnahmen kann die Naturschutzbehörde erteilen. Es gibt leider Touristen, die sich nicht an das Verbot halten. Sie reissen gedankenlos die herrlichen Alpenblumen heraus oder nehmen sie – wie dies beim Edelweiss der Fall ist – als Souvenir mit. Heinrich Abraham, der früher am Biologischen Landeslabor in Leifers (Südtirol) arbeitete, konnte zum Beispiel Edelweiss in einem 2000 m ü. NN gelegenen Alpengarten aus Samen züchten. Die kräftigen Pflanzen wurden später in Gebiete gebracht, wo das Edelweiss schon ausgerottet oder stark dezimiert war, und dort eingepflanzt.
Für die Arzneizubereitung wurden bisher viele Kräuter aus dem Ausland bezogen. Heute stehen uns auch Heilpflanzen aus Kulturen zur Verfügung.
In Deutschland, Österreich, Italien (Südtirol) und in der Schweiz (im Wallis) gibt es verschiedene Regionen, in denen bestimme Kräuter angebaut werden. Beispiel: In Südtirol gedeihen inzwischen auf Anbauflächen die Edelraute, das Edelweiss, der Gelbe Enzian, die Meisterwurz und die Arnika.
Auf den Salus Bio-Farmen im Süden Chiles werden Heilpflanzen und Gewürzkräuter angebaut. Aber auch bei uns geschützte und vom Aussterben bedrohte Pflanzen wie das Tausendgüldenkraut, die Frühlingsschlüsselblume, die Arnika und der Gelbe Enzian werden kultiviert. Sie werden sich fragen, warum erfolgt der Kräuteranbau in Chile? Das hat verschiedene Gründe. Zum Ersten sind Kräuter und Heilpflanzen nicht immer in ausreichenden Mengen aus ökologischem Anbau und in guter Qualität zu bekommen. Zum Zweiten waren nach der Tschernobyl-Katastrophe 1986 unbelastete Heilpflanzen besonders aus den osteuropäischen Ländern kaum zu erhalten. Was tun? In der unberührten Natur Südchiles (Provinz Araukarien) fanden Mitarbeiter ideale Bedingungen für den Anbau ökologischer Rohstoffe. Wasser, Boden und Luft sind dort schadstofffrei. Am Fusse des Villarrica-Vulkans bewirtschaftet die Firma Salus seit 1991 drei Farmen. Hier werden nach den Prinzipien der EU-Bio-Verordnung mehr als 100 Heilpflanzen und Gewürzkräuter angebaut und kultiviert.
Arnika hilfreich bei Rheuma
Die Arnika mit ihren leuchtend orange-dottergelben Blüten von strahlender Schönheit ist eine unserer wichtigen und vielseitig verwendbaren Heilpflanzen. Die Arnika und der Gelbe Enzian gedeihen auch in Bergregionen des Schwarzwalds (z. B. im Feldberggebiet) prächtig.
Die Arnika erwies sich in Untersuchungen als ein hervorragendes äusseres Mittel mit entzündungshemmender, durchblutungsfördernder und keimtötender Wirkung. Die Tinktur, der Aufguss oder die Salbe werden in Form von Einreibungen, Umschlägen und Kompressen eingesetzt bei Rheuma, Arthritis, Hexenschuss, Gicht, Muskelschmerzen, Muskelkater, Verstauchungen, Quetschungen, Blutergüsse, Prellungen, Schleimbeutel-, Sehnenscheidenentzündungen und Venenentzündungen.
Zur Beachtung: Bei äusserlicher Anwendung reagieren empfindliche Menschen mit Hautreizungen. Wegen der toxischen Nebenwirkungen (Herzklopfen, Schwindel, Durchfall, Magen-Darm-Reizungen, Kollaps) darf die Arnika nicht innerlich angewandt werden. Homöopathische Zubereitungen sind jedoch völlig unbedenklich.
Edelweiss gut für die Altershaut?
Lange rätselten Forscher wie sich das Edelweiss vor der intensiven ultravioletten Höhenstrahlung schützt. Nun gelang es belgischen Physikern, das Rätsel zu lösen. Es ist der Flaum weisser Härchen auf den Blättern, die die UV-Strahlung fast komplett absorbiert. Bisher wurden 40 Wirkstoffe im Edelweiss entdeckt. Darunter befinden sich einige Antioxidantien, die laut Schweizer Forscher, sich für die Prävention von Hautalterung eignen dürften. Zurzeit laufen Anbauversuche in 5 verschiedenen Höhenlagen (zwischen 500 und 2500 m ü. NN), um abzuklären, in welchen Pflanzen die meisten Antioxidantien sind. Die Kosmetikbranche verwendet jetzt schon Auszüge aus gezüchteten Edelweisspflanzen zur Herstellung von Sonnenschutzmitteln und von Anti-Aging Hautpflegeprodukten.
Enzian – Bitteres für den Magen
Der stattliche Gelbe Enzian (Gentiana lutea L.), den Sebastian Kneipp als eines der ersten Magenmittel bezeichnete, blüht erst vom 10. Jahr an und wird bis 60 Jahre alt. Die Wurzel der Pflanze weist eine ganze Reihe Bittermittel auf. Noch in einer Verdünnung von 1:20 000 schmeckt man das Bittere heraus. Zubereitungen mit Enzianwurzel haben sich bewährt bei Magenschwäche mit mangelnder Magensaftbildung, Appetitmangel, Blähungen, Krampf- und Erschlaffungszustände von Magen und Darm; zur Schleimlösung bei Atemwegsinfekten.
Meisterwurz – Königin der Bergkräuter
Die Meisterwurz (Imperatoria ostruthium L.) wird als die „Wurz aller Wurzeln und Königin der Bergkräuter“ bezeichnet. Paracelsus trug die Wurzel als Amulett immer bei sich. Er verordnete Meisterwurz bei Neigung zu Schlaganfall, epileptischen Krämpfen und gegen die Pest. Alpenbewohner schätzen dieses Heilkraut sehr. Sie fehlt dort in keiner Hausapotheke. Johannes Künzle schrieb: „Dort oben weiss sie jeder Hirt und Geissbub zu finden, weiss aber auch, dass die Wurzel wie ein Geizhals am Irdischen hängt, so schwer ist sie nämlich auszugraben.“
Verwendung von Meisterwurz-Wurzel (Tee, Tinktur): Bei chronischem Magenkatarrh, bei Magenverstimmung, Bronchialkatarrh, Verdauungsstörungen, gegen Infekte und zur Stärkung der Abwehrkräfte. In einigen Kräuterbüchern wird die Meisterwurz auch als Aphrodisiakum bezeichnet.
Rosenwurz hilft bei Müdigkeit
Die Rosenwurz (Rhodiola rosea L.) gedeiht in den Gebirgsregionen der europäischen Alpen (z. B. in den Dolomiten), im Felsgestein auf Geröllhalden und auf Bergregionen von Asien, Nordamerika, Sibirien und Skandinavien (Finnland, Schweden). In der alpinen Schweiz und in Südtirol wird die Rosenwurz inzwischen auch angebaut.
In Sibirien wird die Rosenwurz dem Ginseng gleichgestellt, und kommt auch bei Hochzeitsritualen zur Anwendung. Die Wurzel sollte die Fruchtbarkeit fördern. Bei den tatarischen Völkern gilt die Rosenwurz als Aphrodisiakum.
Ein Wurzelextrakt der Rosenwurz (Rhodiola rosea) wird bei Müdigkeit, tiefer Erschöpfung bis zum Burnout-Syndrom, bei leichten Depressionen und als unterstützendes Mittel zur Stärkung und Erhöhung der Widerstandskraft verwendet. Der Extrakt hilft dem Körper, in belasteten Situationen mit Stress besser umgehen zu können, er beruhigt bei Stress, ohne müde zu machen. Er erhöht die natürliche Widerstandskraft, schützt die Zellen vor Zellschäden (wirkt antioxidativ), beugt chronischen Krankheiten und vorzeitiger Alterung vor. Die Rosenwurz erhöht auch die Belastbarkeit bei Prüfungsstress.
Die Rosenwurz zählt wie der Ginseng oder die Taigawurzel zu den adaptogenen Pflanzen. Diese bewirken eine Erleichterung der Anpassung an belastende Situationen.
Es handelt sich hier um verschiedene Gräser und Blumen unserer Wiesen, die nach dem Mähen eine Trocknung erfahren und zu Heu werden. Die beste Wirkung entfalten Heublumen von Almwiesen. Auf intakten Bergwiesen können 150 bis 300 verschiedene Pflanzen gedeihen. Je höher die Alm liegt, umso aromatischer und heilkräftiger sind die Heublumen. Sie eignen sich in Form von Auflagen, Wickel und Bädern als Unterstützungsmittel u. a. bei entzündlichen und degenerativen Gelenkerkrankungen, bei Weichteilrheuma, Hexenschuss, Ischias, Magen-Darm-Krämpfe, bei Hautauschlägen, Müdigkeit, Nervosität.
Wie wir an diesen wenigen Beispielen gesehen haben, besitzen alpine Pflanzen eine grosse Heilkraft bei allerlei Beschwerden und Krankheiten. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn immer mehr Pharmafirmen diese Kräuter in Form von Extrakten für ihre Naturarzneien verwenden. In der Phytotherapie haben die alpinen Pflanzen heute einen beachtlichen Stellenwert.
Bühring, Ursula: „Kuren für Körper und Seele“, Eugen Ulmer Verlag, Stuttgart 2012.
Scholz, Heinz; Hiepe, Frank: „Arnika und Frauenwohl“, Ipa-Verlag, Vaihingen 2013.
Vonarburg, Bruno: „Energetisierte Heilpflanzen“, AT Verlag, Baden und München 2010.
Hinweis auf Blogs mit Bezug zu Alpenkräutern
03.11.2012: Salus: Umweltschutz und Nachhaltigkeit haben Tradition
13.07.2012: Südtirol 1: Weltberühmte Drei Zinnen in den Dolomiten
13.09.2008: Saanenland (3): Brigitte Pulfer, Kräuterfrau vom Meielsgrund
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Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
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