Textatelier
BLOG vom: 01.09.2015

Religion: Sündig und schuldig ist man immer

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Deutschland

 

Als ich ein Baby war, taufte man mich, denn meine Eltern waren auch getauft. Die Taufe sollte mich von der Erbsünde befreien und den Teufel austreiben, die und der  sich schon im Mutterleib in mir breit gemacht hätten. Das war mit ein wenig geweihtem Wasser, das durch einen sogenannten Geistlichen auf meinen Kopf geschüttet wurde und einer feierlich gesprochenen Formel möglich, so hatten es die Eltern gelernt.

Meine Mutter kam aus einem streng katholischen Elternhaus. Sie war das Nesthäkchen in der Familie, wenig geliebt und früh dazu verurteilt, im halbbäuerlichen Betrieb mitzuarbeiten. Katholisch sein wurde nicht als Verpflichtung angesehen, seine Mitmenschen zu lieben, sondern untertan zu sein, den biblischen und kirchlichen Geboten zu folgen, denn sonst machte man sich schuldig, was dazu führen würde, nach dem Tod im Fegefeuer oder in der Hölle zu schmoren.

Auch wir Kinder machten uns schuldig, wenn wir nicht gehorchten. Schon wenige Jahre nach der Einschulung gingen wir zur „1. heiligen Kommunion“ und assen in Form eines pappig schmeckenden runden Stück Esspapiers, so wurde uns eingebläut, den Leib Christi. Es klebte am Gaumen, durfte aber nicht mit den Fingern berührt werden, damit machte man sich auch schuldig. Wir wurden also festlich initialisiert, Kannibalismus zu betreiben. Es war beileibe kein fröhlicher Kannibalismus, sondern wurde vorbereitet durch den Zwang, seine Sünden dem Pfarrer zu beichten, dadurch, dass man mindestens 3 Stunden vor dem sogenannten Empfang der Hostie hungern musste und natürlich sich zwischen der Zeit der Beichte und dem Gottesdienst nichts zu Schulden kommen lassen durfte. Sünde und Schuld, sie wurden für mich die wichtigsten Begriffe des christlichen Glaubens.

Überhaupt, es war kaum möglich, sich nicht schuldig zu machen, wenn man sich nicht alles gefallen lassen wollte, sowohl von den Eltern, den Geschwistern, den Mitschülern und anderen. Ja, sogar der eigene Körper machte schuldig, denn bestimmte Stellen durfte man sich nicht anschauen, möglichst nur zum Urinieren berühren und schon gar nicht daran denken, dass es Wege geben müsse, dass überhaupt Menschen geboren werden.

Zu dieser Zeit versteckten werdende Mütter ihren wachsenden Bauch unter wallenden Kleidern, vermieden es so weit wie möglich, unter Leute zu gehen, denn sie hatten „es“ gemacht, etwas, was „Geschlechtsverkehr“ genannt wurde und mit diesen Organen zu tun hatte, die schuldig machten, sogar schon, wenn man nur daran dachte, denn es hiess im Sündenbekenntnis: „in Gedanken, Worten und Werken“.

Nachts sollten wir als Kinder die Hände über der Bettdecke halten, um ja nicht „in Versuchung“ zu kommen, denn so hiess es in dem Gebet, das „Gott uns selbst gelehrt hat“ mit der Bitte, uns nicht dorthin zu führen, sondern uns „von allem Übel zu erlösen“.

Man hatte sich seines Körpers zu schämen, denn das stand schon in der biblischen Geschichte über Adam und Eva.

Unaufhörlich wurde uns beigebracht, dass alle anderen Glaubensrichtungen, sogar auch der ganz ähnliche evangelische Glauben, falsch seien, von denen man sich nicht einfangen lassen durfte, wollte man nicht Höllenqualen nach seinem Tod riskieren.

Sich über die christlichen Inhalte zu mokieren, war ebenso eine schwere Sünde. Sich etwas einfallen zu lassen, weil man entweder dem Pfarrer in der Beichte nicht erzählen wollte, dass man mit Weihwasser herumgespritzt oder seine 5 Jahre ältere Schwester beim Baden durchs Schlüsselloch der Tür beobachtet hatte, alles war Sünde!

Überhaupt, wenn man das Leben so betrachtete, das Verhalten der Erwachsenen, die Veränderungen, die das körperliche Wachstum, die Triebe und das Interesse am anderen Geschlecht so mit sich brachten und vieles andere einerseits und die völlig lebensfeindliche Welt der Kirche andererseits, so empfand ich schon schnell, dass da etwas nicht stimmen konnte. Darüber zu sprechen war tabu, ja Gotteslästerung und auch wieder Sünde. Und sonntags hatte man in die Messe zu gehen, wenn man es nicht tat, war das eine schwere Sünde. Sünden wurden nämlich unterteilt in leichte, wie etwa, wenn man verbotenerweise naschte und schwere, wie Ungehorsam gegenüber die oft als unmenschlich empfundenen Forderungen der Eltern oder eben das Schwänzen des Gottesdienstes.

Schwere Sünden strafe Gott sofort, so wurde uns beigebracht, denn es war eine Strafe des Himmels, wenn wir mit dem Fahrrad einen Sturz machten. Ich musste damals schwer gesündigt haben, denn mit 12 Jahren war es bei meiner so geliebten Baumkletterei, die mir natürlich von meinen Eltern verboten worden war, zu einem Unfall gekommen, als in 6 m Höhe der Ast der Pappel abbrach und ich so unsanft auf dem Boden landete, dass ich für 14 Stunden ins Koma fiel. Meine Eltern waren natürlich froh darüber, als ich wieder aufwachte, aber am liebsten hätten sie mich schwer bestraft, weil ich ungehorsam gegen die elterlichen Verbote und die christlichen Gebote verstossen hatte.

Dass ich wieder wach wurde und nach 8 Wochen auch wieder gesund war, hätte ich auch nicht den Heilungskräften meines Körpers zu verdanken, sondern meinem Schutzengel oder direkt der göttlichen Vorsehung, so wurde mir gesagt.

Überhaupt, Gott warf angeblich Tag und Nacht ein Auge (oder beide?) auf uns Menschen, und wenn wir krank oder gar sterben würden, so sei es Gottes Wille, der schon wissen würde, was gut für uns sei. Als ob Krankheit und Tod etwas Gutes im Leben der Menschen sein könnte!

Zweifel daran war übrigens auch eine Sünde, denn für das christliche Denken waren die kirchlichen Würdenträger da, uns Kindern würde die rechte Einsicht noch fehlen und Erwachsenen fehlte das theologische Studium. Was man unter Würde verstand, darauf konnte ich mir keinen Reim machen und dass man Würden tragen konnte, schon gar nicht. Dass die Pfarrer, Pastöre, Kapläne, Bischöfe und der Papst mit Röcken wie Frauen herumliefen und mit goldverzierten Kostümen in der Kirche ihre Arbeit machten, erinnerte mich des Öfteren an die Maskeraden zu Karneval. Da war es sogar erlaubt, sich auch so etwas anzuziehen.

Diese Männer durften nicht heiraten, hatten aber alle Frauen, die für sie die Hausarbeit machten. Diese mussten aber zu ihnen hinauf sehen, denn schliesslich waren die Schwarzröcke für Gott geweiht.

Als ich dann von einem Weihbischof zur Konfirmation noch eine leichte Ohrfeige bekam, hatte der anfänglich uns durch die Erwachsenen aufgedrängte Glauben langsam aber sicher ausgedient. Ich sah immer stärker die Widersprüche, las über die Grausamkeiten der Kirche in der Bibel und über die Jahrhunderte hinweg, besonders  im Mittelalter, über den überhaupt nicht vorhandenen Vorbildcharakter für gute Werke und Barmherzigkeit vieler in dieser Institution arbeitenden Menschen und erkannte, dass das alles mit gesundem Menschenverstand und Logik überhaupt nichts zu tun hatte.

So begann ich, immer häufiger den sonntäglichen Gottesdienst, den uns die Eltern zu besuchen zwangen, zu schwänzen. Ja, dann kam ich auf die Idee, aus diesem Zwang etwas für mich selbst zu machen und meldete mich beim Pastor an, die Lesung vor den Kirchenbesuchern in der Messe vorzutragen. Ich übte mich in selbstsicherem Auftreten vor einer grösseren Zahl von Menschen. Dabei achtete ich nicht darauf, ob das, was ich da vorzutragen hatte, für mich einen Sinn ergab oder nicht, sondern empfand das als eine gute Gelegenheit, eine neue Erfahrung zu machen.

Durch diesen Druck, der sowohl durch die Eltern als auch durch die Kirche mehr als ein Jahrzehnt auf mich ausgeübt worden war, war ich unsicher, zaghaft und weinerlich  geworden, fühlte aber in der Zeit meiner Pubertät, dass das nicht gut für mich war. Dieses Auftreten in der Kirche half mir über die Unsicherheit ein wenig hinweg, war jedenfalls ein guter Anfang dazu.

So nahm ich zwar am Gottesdienst teil, entfernte mich aber gleichzeitig vom Glaubenssystem. Ich stellte immer mehr fest, dass es sich angenehmer leben liess, alle diese Schuldgefühle abzuschütteln, und ganz ohne Kirche zu leben. Das war möglich, als ich einen Beruf ergriff und nach meiner Volljährigkeit das Elternhaus verliess.

Ich habe es schrittweise geschafft, mich von diesem Machtanspruch, der durch die Institution Kirche auf die Gläubigen und so auch auf mich ausgeübt wurde, ganz zu lösen. Der endgültige, dann sich logisch ergebende Schritt war der Austritt aus der Kirche.

Die Erfahrung „Kirche“ war dennoch lehrhaft, habe ich doch dadurch ein feines Gespür dafür entwickelt, ob und wann Macht ausgeübt wird, der man sich wenn irgend möglich entziehen sollte oder gar nicht erst aussetzen muss. Das gilt nicht nur in Glaubensdingen, sondern überhaupt im täglichen Leben. Denn es handelt sich fast immer um Macht, wenn jemand etwas von einem will. Die Kirche stellt Gott ja auch als einen Herrscher dar, der über ein „himmlisches Reich“ gebiete, und über das Leben aller Menschen. Seine angeblichen Mitarbeiter auf Erden fühlen sich als sein verlängerter Arm und üben Macht aus.

Die Widersprüche in der christlichen und überhaupt in allen Glaubenslehren sind jedenfalls unübersehbar. Bedenkenswert fand ich auch die Eingangsworte zu einem religionskritischen Blog eines englisch schreibenden Autors:

"You believe that a cosmic Jewish Zombie who was his own father can make you live forever if you symbolically eat his flesh and telepathically tell him you accept him as your master, so he can remove an evil force from your soul that is present in humanity because a woman made from a rib was convinced by a talking snake to eat from a magical tree. - And you don't understand why I have doubts?"

Die Zahl derer, die ähnlich oder in gleicher Weise denken, wächst, jedenfalls in Europa. Und dass sogar der buddhistische Religionsführer Dalai Lama in einem „Appell an die Welt“ schreibt: „Ich denke an manchen Tagen, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten.“ finde ich sehr bemerkenswert. Vielleicht fängt er ja damit in seinem eigenen Heimatland damit an!

 

Quelle:
Rivero, Michael, “From those wunderful folks who brought you the inquisition”, in:
 

 


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