Provenzalische Unzulänglichkeit
Autor: Fred Casadei
Die folgende wahre Geschichte ist so traurig, dass ich sie zusätzlich in die Form eines Märchens gebracht habe, um sie etwas aufzuheitern. Die Teile des Märchens sind kursiv eingestreut.
Unsere Vereinsreise führte uns diesmal nach Ischia, das ich seit über 50 Jahren nicht mehr gesehen hatte. Die Reise teilte sich in die Abschnitte: Le Rayol-Canadel-Nizza mit meinem Auto, Nizza-Rom mit dem Flugzeug, Rom-Pozzuoli mit dem Bus und dann mit dem Schiff nach Ischia. Wir nahmen die beiden Reiseleiter nach Nizza mit und mussten das Auto dann 9 Tage am Flugplatz stehen lassen. Um mir die Parkplatzsuche zu vereinfachen, suchte ich ein paar Tage vor Abreise im Internet nach Informationen über Preise von Langzeit-Parkplätzen, der Möglichkeit im Voraus zu reservieren und über die örtlichen Gegebenheiten.
Damit begann eine Odyssee durch eine Welt, die durch Mangel an Organisationstalent der verantwortlichen Organe bis an die Grenze des Erträglichen verkompliziert wurde und Menschen mit normal entwickeltem Verstand bis nahe an den Wahnsinn treiben kann. Es ist mir öfters schon aufgefallen, dass Entwerfer von öffentlichen Strukturen hier im Süden wenig Sinn für verständliche und einfache Prozessabläufe haben und die Benützer ihrer Kreationen auf harte, zum Teil sehr harte Proben stellen.
Es war einmal vor langer Zeit ein kleines Volk, das an den Gestaden des Mittelmeers lebte und es sich gut gehen liess. Es war lustig und vergnügt und vermehrte sich im Sinne Gottes. Der dem Meer abgerungene Flughafen war deshalb bald einmal zu klein, sodass er vergrössert werden musste. Der Bürgermeister des Volkes war – wie viele seiner Zunft – nicht sehr intelligent und vertrug auch keine Intelligenteren unter sich. So beauftragte er einen hirnamputierten Architekten mit dem Ausbau des Flughafens.
Die WEB-Site des Flughafens Nizza ist wie viele andere auch, vollgestopft mit Reklame, die mit zuckenden, dynamischen Elementen über die Seite verteilt war, sodass einem die Konzentration auf die gesuchten Informationen erschwert wurde. Nach einer Weile war klar, dass mindestens neun (!) verschiedene Parkplatztypen rund um die beiden Terminals zur Verfügung standen. So was macht nirgends auf dieser Welt Sinn, trägt zu unnötiger Verwirrung bei und belegt die hier nachhaltige Schwäche südlicher Organisatoren. Ich suchte nach dem preiswertesten Parkplatz für die Woche und wie ich ihn reservieren konnte. Der Preiswerteste,"P9", fand ich bald, aber wie konnte man ihn reservieren? Alle Versuche, einen solchen zu reservieren, führten immer wieder zum Zweitbilligsten. Es wurde mir nach einiger Zeitvergeudung klar, dass der Billigste nicht reservierbar war. Wie einfach wäre es gewesen, das Sammelsurium von Parkplatz-Eigenschaften in einer übersichtlichen Tabelle zusammenzustellen und beim "P9" in der Kolonne "Reservation" hinzuschreiben "nicht möglich".
Nun der zweitbilligste, "P7", wurde reserviert, kostete stolze 90 Euro, nebst einer Reservierungsgebühr von 8 Euro. Er wurde mir mittels Code-Nummer bestätigt, die ich am Ort mit "enter" einzugeben habe. Ein Shuttle-Bus würde die Parkplätze anfahren und die Passagiere zu den beiden Terminals fahren.
In Nizza angekommen suchte ich mir mit Hilfe meiner Passagiere den Weg zum Abflug im Terminal zwei. Verschiedene Verkehrskreisel machten den Weg dorthin unnötig kompliziert; aber wir fanden ihn schliesslich, sodass ich meine Freunde vor dem Terminal abladen konnte. Nun war ich allein und suchte meinen Weg zum Parkplatz "P7". Dem Schild "Parkings" folgend, umrundete ich das Labyrinth der Kreisel und war nach einiger Zeit wieder am Abflugterminal. Unterwegs hatte ich verschiedene Parkplatzeingänge entdeckt, aber keinen "P7". Nochmals die Runde, jetzt Permutationen suchend, die ich vielleicht verpasst hatte, wieder ca. sechs Einfahrten ins "P6", aber kein "P7"! Weitere Runde. Ich entdeckte eine suspekte, einspurige Strasse, die mit einem Lagereingang ein Einbahnschild so teilte, dass man nicht erkennen konnte, ob damit das Lager oder die Strasse gemeint war. Ich mutig hinein in die Strasse und was ich erst am Ende entdeckte, es war tatsächlich eine Einbahnstrasse, auf der ich in der falschen Richtung unterwegs war. Ein Glück kam mir niemand entgegen. Das Ende war allerdings mit vier Einbahnstrassen so eindeutig gegen mich gerichtet, dass es unvernünftig gewesen wäre, weiter zu fahren. Ich fand über einen Gehsteig eine Möglichkeit, der Gefahr zu entkommen. Nun war ich auf einem sehr grossen, fast leeren Parkplatz, der keinen Eingang oder Ausgang zu haben schien. Ich fuhr kreuz und quer, wie ein frisch eingesperrtes, wildes Tier an alle möglichen Zäune hin, um aus dem Gehege zu entfliehen. Ich überlegte, wie ich ohne Parkschein hier wieder rauskomme. Da fand ich dann doch plötzlich eine kleine Lücke durch eine Baustelle, die mir die Freiheit wieder gab. Ich fand den Weg ins alte Labyrinth wieder und drehte erneut Runden. Kein "P7"! Ich konsultierte meinen Plan und wusste nun, wo er ungefähr zu liegen habe und tatsächlich, ich fand ihn schliesslich. Der Eingang war mit hunderten von weissen Plastikpfosten versehen, die den scharf nach rechts hinten abbiegenden Weg zum Eingang markieren. Von Weitem konnte man dieses Gewirr von weissen Elementen nur als undurchdringliche Wand erkennen. Nur wenn man sehr langsam daran vorbeifährt, den Kopf nicht gerade nach links auf die vielen unübersehbaren Eingänge ins "P6" richtet und den hinten hupenden Südfranzosen nicht beachtet, besteht eine Chance, "P7" zu entdecken.
Der genannte Architekt schuf in der Folge denn auch einige Sonderheiten im neuen Teil des Flughafens. Die Zufahrtswege zum Flugfeld waren so kompliziert und unübersichtlich, dass viele Passagiere ihren Weg zum Flugzeug nicht fanden. So gab es Verkehrskreisel, die zwar einen Eingang, aber keinen Ausgang hatten. Die armen Opfer dieser Sonderheit fuhren bis zu ihrem Tode im Kreise herum und mussten von einer Spezialeinheit evakuiert und begraben werden.
Ich war schon ziemlich fertig mit meinen Nerven, aber ich schaffte die Eingabe mit meinem Code, übersah, dass es kein "enter" gab, sondern nur ein "OK" und war drin. Es war ein L-förmiges Gebäude mit vielen Etagen. Ich nahm die erste und fand keinen leeren Platz, alles belegt, fuhr bis ans Ende des Ganges und erwartete hier eine Auffahrt ins obere Geschoss oder zumindest einen Kehrplatz. Nichts dergleichen! Das Parkdeck war so eng, dass an ein Wenden an Ort nicht zu denken war. Ich musste also den langen Korridor rückwärts an all den parkenden Autos zurückfahren und auf der Aufwärtsspirale soweit kehren, bis ich in die nächste Etage hinauffahren konnte. Diesmal stieg ich soweit hinauf, dass ich von vornherein feststellen konnte, ob ein Platz frei war. Der neu erstellte Parkkomplex verfügt natürlich nicht über die weit verbreiteten rot-grünen Anzeigen, die von weitem freie Plätze signalisieren.
Andere hatten mehr Glück und fanden ein Parkhaus. Dieses hatte allerdings die Eigenschaft, dass man hineinkam aber nie wieder heraus, denn eine Wendemöglichkeit hatte der Architekt vergessen. So kam ein weiterer Teil des Völkleins um und musste begraben werden.
Der Lift nach unten kam nach dreimal Knopf drücken tatsächlich rauf und holte mich ab. Unten suchte man dann allerdings vergeblich nach dem angekündigten Shuttle. Es war nur ein Fussweg zum Terminal 2 markiert, der ziemlich weit durch andere Parkplätze und Strassen führt. Selbstverständlich goss es in Strömen, und der Weg ist nicht gedeckt ... Bei den anderen Reiseteilnehmern angekommen, trösteten mich einige von diesen, dass es ihnen nicht besser ergangen sei. Selbst sie hätten die Einbahnstrasse probiert.
Jenen, denen es gelang, aus dem Parkhaus zu Fuss zu entfliehen, ging es nicht viel besser. Sie warteten und warteten und warten noch heute auf den kleinen Shuttlebus, der gross angekündigt und versprochen war. Sie kamen wegen Hungers um und mussten begraben werden. Das Völklein begann sich langsam zu dezimieren.
Ischia war zwei Tage schön, dann legte mich eine Grippe für den Rest der Woche ins Bett. Der Rückflug führte wiederum über den vermaledeiten Flughafen. Die Ebene der Ankunft ist unter der des Abflugs angeordnet, verfügt dort im Freien so über zirka sechs Spuren Autostrassen, was man leicht schon von der Ankunftshalle aus sehen konnte. Ich wies meine drei Passagiere an, im Freien gut sichtbar auf mich zu warten, ich würde in der Zwischenzeit das Auto holen. Ich fand das Parkhaus "P7" und mein Auto erstaunlich rasch. Kam mit der aufbewahrten Karte auch problemlos wieder aus dem Katastrophenturm raus und machte mich auf den Weg durch die vielen Kreisel Richtung Ankunftsterminal. Fand auch leicht das Abflugterminal über dem Gesuchten, aber keinen Zugang zur Ankunft. Ich suchte überall nach "arrivée", vergeblich. Nochmals die Runde, die mir inzwischen reichlich bekannt war. "Langsam" sagte ich mir, "Kopf einschalten, diesmal wirst Du das alles mit Leichtigkeit schaffen, Du bist doch kein Idiot". Beim dritten Anlauf fuhr ich wirklich langsam am Ort, wo eigentlich die Verzweigung zwischen Ankunft und Abflug sein müsste, vorbei. Die Franzosen hinter mir waren nahe dabei, mich zu lynchen. "Con" war das Freundlichste, was ich hörte. Die Nerven flatterten. Eine weitere Runde. Zum Teufel, hier ist keine Zufahrt zum Ankunftsterminal. Das kann doch nicht sein, wie kamen die Autos, die ich von der Ankunftshalle gesehen habe, da rein? Weitere Runden ... Weitere Fiaskos ... Meine Passagiere warteten, und ich kam nicht zurück. Dann kam mir der unheilvolle Verdacht, dass es tatsächlich keinen Zugang zum Ankunftsterminal gibt, zumindest nicht für gewöhnlich Sterbende.
Am Schlimmsten aber war für das arme Völklein die Rückkehr. Sie landeten zwar noch wohlbehalten in ihrem Flugplatz, mussten aber feststellen, dass der hirnverbrannte Architekt keinen Ausgang gebaut hatte. Es blieb ihnen nur die Wahl, mit einem Flugzeug wieder weiterzufliegen oder am Flugplatz zu bleiben und dort bald hungers zu sterben. Die teuflische Neuanlage hatte also die Eigenschaft einer Einbahnstrasse: man konnte nur wegkommen, aber nie mehr ankommen.
In der Verzweiflung suchte ich die nächstbeste Parkmöglichkeit, um meine Gäste zu orientieren. Ich nahm eine der vielen "P5"-Eingänge und befand mich in einem unseligen Wirrwarr von besetzten Parkplätzen. Jetzt drehte ich die Runden im "P5", bis ich endlich weit weg, unter einer auskragenden Galerie einen letzten Platz fand. Ich stellte mir vor, dass meine Gäste eine Etage über mir warten müssten. Aber wie dorthin kommen? Ich folgte den Zeichen, die man für Idioten wie mich auf den Boden gemalt hatte und kam nach langem Marsch an eine Glasschiebetüre, die ins Terminal führte. Unterwegs merkte ich mir alle möglichen Merkmale, um ja wieder zu meinem Auto zurückzufinden. Da war eine Efeuranke, die statt nach oben nach unten ins Dunkle wuchs, dort eine Absperrung mit weissen Plastikpfosten, die ich schon von wo anders kannte. Eine leere Zigarettenschachtel am Boden war ein weiterer wertvoller Hinweis.
Ich schaute mich im Gebäude um: Totale Leere, kein Mensch, kein Schalter, keine Hinweisschilder. Aber ich fand einen Lift. Der beantwortete meine Bitte, mich nach oben zu transportieren mit drei verdächtigen Pieptönen, kam aber nicht, auch nicht nach dem dritten Versuch. Ich suchte nach einer Treppe, die sich in einiger Entfernung kunstvoll hinter einigen Paravents versteckte. Rauf, oben gleiche Leere. Ich war offenbar im extremen Westen des Gebäudes gelandet, welches noch nicht in Betrieb war. Zwei freundliche Flics halfen mir, die Richtung zum Ankunftsterminal zu finden. Dort erkannte ich sofort die Situation: die sechs Spuren waren ausschliesslich für Taxis und öffentliche Busse reserviert. Ich nahm mir die Zeit und sprach einen wartenden Taxichauffeur an: "Bin ich verrückt oder ist das hier für private Autofahrer tatsächlich gesperrt?" Aus dem Taxi kam die Antwort: "Sie sind nicht verrückt, sondern die Behörden, die so was hier inszeniert haben". Nun wusste ich es aus erster Hand: Der Bereich der Ankunft ist für Private gesperrt. Man kann also seine Angehörigen in Nizza nicht am Terminal abholen! Welch verrückte Idee!
Meine Passagiere warteten am anderen Ende der sechs Strassen. Ich eilte hin und erklärte meine Schwierigkeiten. Sie sollen sich oben beim Abflug auf die Strasse stellen, es dauere aber noch ein Weile bis ich wieder komme ...
Ich ging den Weg zurück zum verlassenen Terminalende, sah dort die beiden Flics wieder. Sie unterhielten sich glänzend. Der eine Flic war eine Frau. Hinein in das Terminal, zur Treppe, Lift links liegen lassend. Teufel, wo ist die Treppe? Ich irrte umher, keine Treppe! Nun halt nochmals zu den Flics. Ich erklärte ihnen, dass ich völlig durcheinander sei und die Treppe nicht mehr finde. Sie führten mich zur Treppe, die sich hinter Reklameständern versteckt hatte. Ich glaube, die denken heute noch, sie hätten's mit einem Verrückten zu tun gehabt.
Unten angekommen, suchte ich panisch nach meinen Weghinweisen. Da der Efeuzweig, gut, da die Zigarettenschachtel, gut, und endlich die weissen Plastikpfosten, besser – und da stand auch mein Auto. Jetzt noch mein Parkgeld bezahlen und nichts wie raus. Wo ist die Kasse? Keine Hinweise! Ein Franzose sagte mir, er bezahle im Abonnement und brauche keine Kasse. Ein Hinweis, der nicht sehr nützlich war. Ich fand die Kasse schliesslich vier Etagen weiter oben mit einer langen Menschenschlange davor. Endlich an der Reihe, steckte ich das Billet in den Automaten. Es kam sofort wieder raus, ohne einen Cent zu verlangen. Ich versuchte es nochmals, bis ein Franzose hinter mir bemerkte, es sei jetzt gut so. Ich machte mich auf den Rückweg zu meinem Wagen und malte mir aus, was wohl passieren wird, wenn ich – zehn Autos hinter mir – nicht aus dem Schrankenbereich rauskam, weil mit dem Billet etwas nicht in Ordnung war. Ich stieg ins Auto, fuhr vier Etagen aufwärts (jeder normale Mensch hätte den Ausgang unten erwartet), fand zehn völlig verlassene Ausgangsmöglichkeiten und war erleichtert. Der Automat akzeptierte mein Ticket und öffnete die Schranke. Aber halt, da war noch eine weitere Schranke und die war zu! Die hinter mir senkte sich und ich wurde mir bewusst, dass ich jetzt gefangen war. Wahrscheinlich wurde vom Automaten die Illegalität meiner Karte erkannt und die Polizei verständigt, die mich in Handschellen abführen wird. Ich schwitzte und zitterte nun. Es ist doch nicht zu glauben, welche Besonderheiten die Provenzalen sich da ausgedacht haben. Nach einer Zeit fand ich auf der vorderen Schranke eine sehr kleine Schrift: man möge langsam bis zu ihr fahren. Und man glaubt es nicht, sie ging auf und entliess mich ohne weitere polizeiliche Folgen.
Mit meinen exzellenten Ortskenntnissen, die ich mir inzwischen angeeignet hatte, fand ich auch bald die Abflugrampe, die in meinem Fall einspurig geführt wurde, sodass alle hinter mir warten mussten, bis wir geladen hatten. Rechts neben uns gab es zwar eine weitere Fahrbahn, die aber mit Betonquadern so verstellt war, dass auch jegliches Parken verunmöglicht war.
Am ganzen Körper zitternd betete ich zu Gott, er möge mich mit meinen Gästen unfallfrei nach Hause bringen, was er freundlicherweise auch tat.
Das arme Völklein am Mittelmeer aber starb auf Grund der Fehlkonstruktionen des Architekten nach kurzer Zeit aus. Heute lebt niemand mehr dort. Es hat sich eine Sandwüste ausgebreitet, das Meer hat sich seinen Anteil zurückgeholt, und die Gegend ist seither menschenleer.
Die Moral von der Geschicht: Gib keinem hirnlosen Architekten keine Aufträge nicht.
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