Textatelier
BLOG vom: 31.03.2016

FODMAP-Konzept bei Reizdarm: Fragen an die Autorin

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D

 

In einem gesonderten Blog stellte ich „Das FODMAP-Konzept“ (Leichte Küche bei Reizdarm) vor. Die Autorin Carine Buhmann hat sich bereit erklärt, einige Fragen zum Thema Reizdarm zu beantworten.

Warum leiden immer mehr Menschen unter Verdauungsproblemen, Lebensmittelunverträglichkeiten und häufig auch unter einem Reizdarm-Syndrom (RDS)? Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es heute?

Carine Buhmann: Mit den heutigen veränderten Lebens- und Essgewohnheiten ist der Konsum an Fertigprodukten stark gestiegen. Verarbeitete Produkte enthalten häufig zusätzlich Fruktose, Laktose oder Gluten. Damit nimmt man auch mehr dieser Stoffe auf. Dazu kommen Stress, wenig Zeit fürs Kochen und Essen. Bei Beschwerden ist eine genaue Abklärung beim Arzt in jedem Fall ratsam. Das Reizdarm-Syndrom ist eine multifaktorielle Krankheit, deshalb existieren mehrere Behandlungsansätze. Dazu zählen neben allgemeinen Empfehlungen einer ausgewogenen Ernährung und eines gesundes Lebensstils auch Medikamente gegen Krämpfe, Durchfall oder Verstopfung, Probiotika-Präparate, komplementär-medizinische Therapien und seit einigen Jahren das FODMAP-Konzept als wirksame Ernährungstherapie.

 

Die Mikroorganismen (Mikrobiota) des Darmes stellen ein komplexes Ökosystem dar. Diese Vielzahl von Darmbakterien beeinflusst unsere Gesundheit. Inwiefern helfen Probiotika beim RDS?

Carine Buhmann: Bei Probiotika handelt es sich hauptsächlich um spezifische Stämme der Milchsäurebakterien (Laktobazillen) oder Bifidusbakterien, die robuster und deshalb wirksamer sind als jene, die üblicherweise in Joghurts vorhanden sind. Studien zeigen den gesundheitlichen Nutzen der Probiotika im Dickdarm. Einige Untersuchungen belegen auch bei Reizdarm-Betroffenen eine positive Wirkung. Die Datenlage ist jedoch noch ungenügend, denn es ist unklar, welcher der verschiedenen Probiotika-Stämme bei Reizdarm-Syndrom am wirksamsten ist.

 

Neu gibt es für Reizdarm-Betroffene eine auf wissenschaftlicher Basis entwickelte Ernährungstherapie, das FODMAP-Konzept. Würden Sie uns kurz erklären, wie dieses Konzept funktioniert und wie erfolgreich es ist?

Carine Buhmann: Der Begriff „FODMAP“ ist die englische Abkürzung für „Fermentierbare Oligosaccharide, Disaccharide, Monosaccharide und (And) Polyole“. Dahinter verbergen sich bestimmte natürliche Zuckerarten, die der Körper schlecht oder gar nicht aufnehmen kann und die von den Darmbakterien vergärt (fermentiert) werden. FODMAPs sind nicht schädlich, im Gegenteil, sie haben positive gesundheitliche Wirkungen auf den Darm. Nur reagiert ein Grossteil der Reizdarm-Betroffenen mit unterschiedlich starken Beschwerden auf Lebensmittel, die einen hohen Gehalt dieser FODMAP’s enthalten. Eine gezielt FODMAP-arme Ernährung bringt bei rund 75% der Reizdarm-Betroffenen eine deutliche Verbesserung der Beschwerden. Das FODMAP-Ernährungskonzept basiert auf einem 3-Stufen-Modell, nämlich der Eliminations-, Toleranzphase und der Langzeiternährung.

 

Was muss man sich unter der Eliminations- und der Toleranzfindungsphase vorstellen?

Carine Buhmann: In der Eliminationsphase ernähren sich Reizdarm-Betroffene ausschliesslich FODMAP-arm. Sie lassen also alle FODMAP-reichen Nahrungsmittel weg. Diese eher strenge Phase sollte max. 4 bis 6 Wochen dauern. In dieser Phase gilt es herauszufinden, ob die Beschwerden besser werden und die Ernährung somit eine wesentliche Rolle spielt. Diese Phase ist jedoch keine Langzeiternährung. Denn sobald sich die Beschwerden deutlich verbessert haben, führen Reizdarm-Patienten die weggelassenen Lebensmittel schrittweise und in kleinen Mengen wieder ein. Dies ist die Toleranzfindungsphase, auch Testphase genannt. Geringe Mengen an FODMAP-reichen Lebensmitteln werden oft gut toleriert. Das Austesten einzelner Lebensmittel ist entscheidend, da es grosse Unterschiede in der individuellen Verträglichkeit gibt. Teilweise müssen Reizdarm-Betroffene auf bestimmte FODMAP-reiche Lebensmittel ganz verzichten, andere Betroffene vertragen davon kleine Mengen. Langfristiges Ziel ist in jedem Fall eine ausgewogene FODMAP-reduzierte Ernährung, die möglichst wenig oder keine Beschwerden verursacht.

 

Im Buch finden sich farbige Lebensmitteltabellen nach dem bewährten Ampelsystem, also eine grüne Spalte für Lebensmittel mit geringem FODMAP-Gehalt, eine orangefarbene Spalte für mittleren FODMAP-Gehalt und eine rote Spalte für hohen FODMAP-Gehalt. Würden Sie einige Beispiele nennen? Woher wurden die Angaben abgeleitet?

Carine Buhmann: Die Angaben sind von den Empfehlungen der weltweit sehr renommierten Monash Universität in Australien abgeleitet. Dort haben Fachleute eines Forschungsteams dieses Ernährungskonzept entwickelt und wissenschaftlich geprüft. FODMAP-arm sind z.B. die Gemüsesorten Tomaten, Karotten, Knollensellerie und Gurken, bei den Früchten beispielsweise Erdbeeren, Banane, Ananas und Rhabarber. Als stärkehaltige Lebensmittel sind Reis, Kartoffeln, Mais, Hirse, Quinoa unproblematisch, ebenso die eiweisshaltigen Beilagen wie Fleisch, Fisch, Eier, Tofu und Eier. Milchprodukte sind erlaubt, sofern keine Laktoseintoleranz vorliegt, ansonsten können Reizdarm-Betroffene auf laktosefreie Produkte ausweichen. FODMAP-reich dagegen sind z.B. Zwiebeln, Knoblauch, Randen (Rote Bete), Blumenkohl, Spargel, Pilze sowie Apfel, Birne, Pflaumen, Aprikosen, Kirschen, Mango. Die Getreidesorten Weizen, Roggen, Gerste sind aufgrund ihres hohen Anteils an Fruktanen nicht empfehlenswert und nicht wegen ihres Glutengehalts. Bei den Nüssen und Kernen sind zum Beispiel Pekannüsse und Kürbiskerne FODMAP-arm, während Mandeln und Pistazien einen hohen FODMAP-Gehalt besitzen. Daneben gibt es viele Nahrungsmittel, die in reduzierten Mengen in der Testphase möglich sind. Wieviel davon müssen Betroffene selber austesten. So können z.B. 75 Gramm Brokkoli pro Person als Beilage gut verträglich sein, während eine grössere Portion als Hauptmahlzeit (z.B. Brokkoliwähe) Beschwerden verursachen kann. Dies gilt es individuell auszuprobieren.

 

Ist das nicht sehr kompliziert für die Betroffenen und wie können sie den Überblick behalten, welche Lebensmittel verträglich sind und welche nicht?

Carine Buhmann: Ja, zu Beginn scheint diese Ernährungsmethode komplex und nicht ganz einfach umzusetzen. Deshalb ist eine begleitende Beratung bei einer auf FODMAP-Konzept spezialisierten Ernährungsberaterin empfehlenswert. Für den Laien stellt die Ernährungsumstellung eine gewisse Herausforderung dar und es ist beim Einkauf etwas schwierig, den Überblick im grossen Nahrungsmittelangebot zu behalten. Letztlich geht es aber darum herauszufinden, welche Lebensmittel Reizdarm-Patienten in welchen Mengen oder Kombinationen essen können, ohne Beschwerden zu haben. Bei der Umstellung auf eine FODMAP-arme Ernährung sind darauf ausgerichtete Rezepte, aber auch Tabellen und Listen der geeigneten und ungeeigneten Lebensmittel hilfreich, so wie sie im Buch einfach und verständlich dargestellt sind. Mit der nötigen Erfahrung können Betroffene langfristig ihre Mahlzeiten ohne Listen zusammenstellen und wieder zu einem „normalen“ und beschwerdearmen/-freien Essalltag zurückfinden, der ihnen auch wieder neue Lebensfreude bringt. In der Beratungspraxis von FODMAP-spezialisierten Fachpersonen zeigt sich immer wieder, dass Reizdarm-Betroffene äusserst motiviert sind, ihre Ernährung umzustellen und so anzupassen, um beschwerdearm leben zu können.

 

Eignet sich das FODMAP-Konzept auch bei allgemeinen Verdauungsbeschwerden und bei Zöliakie (Glutenintoleranz)?

Carine Buhmann: Nein, dieses Ernährungskonzept empfiehlt sich vor allem bei Reizdarm-Patienten und benötigt vorgängig eine sorgfältige ärztliche Abklärung mit Diagnosestellung. Unverträglichkeiten auf Milchzucker (Laktose), Fruchtzucker (Fruktose) oder glutenhaltiges Getreide (Zöliakie) können sich mit den gleichen oder ähnlichen Beschwerden wie beim Reizdarm-Syndrom zeigen. Das FODMAP-Ernährungskonzept schränkt unter anderem Laktose, Fruktose, Polyole und Weizen (Fruktane) stark ein. Diese Ernährungsform ist zwar glutenarm, aber nicht glutenfrei. Deshalb ist es wichtig, dass eine Zöliakie ausgeschlossen wird, bevor man mit dem FODMAP-Konzept beginnt. Bei einer diagnostizierten Zöliakie müssen sich Betroffene lebenslang strikt glutenfrei ernähren. Bei einer Laktose-Intoleranz oder Fruktose-Malabsorption genügt es meist, grössere Mengen laktose- und fruktosehaltiger Lebensmittel zu meiden.

 

Frau Buhmann, Sie haben für das Buch über 170 Rezepte entwickelt, die für die Reizdarm-Betroffenen geeignet sind. Was mussten Sie bei den Rezepten besonders beachten?

Carine Buhmann: Auch ich musste mich zuerst intensiv mit Lebensmittel-Listen auseinandersetzen. Welche Gemüse- und Obstsorten sind z.B. FODMAP-arm, die ich in den Rezepten problemlos verwenden durfte? Wie sieht es mit Getreide, Kartoffeln, Hülsenfrüchten, Fleisch, Milch/-produkten aus? Was ist grundsätzlich gut verträglich, was in begrenzter Menge und in welcher Kombination? Welche Lebensmittel muss ich meiden? Gleichzeitig waren mir ausgewogene, gesunde Mahlzeiten wichtig. Dazu berücksichtigte ich die Empfehlungen der Lebensmittelpyramide, aber auch das so genannte Tellermodell, also die jeweiligen Portionsgrössen von Gemüse, Eiweiss- und Stärkebeilagen. Deshalb sind im Buch – wenn es sich nicht um eine vollständige Mahlzeit wie z.B. eine Mais-Gemüse-Pizza mit Salat handelt - jeweils Beilagen oder dazu passende Rezeptvorschläge konkret ergänzt. Ebenso sollten Fleischliebhaber und Vegetarier genügend Rezeptideen erhalten. Gut erhältliche Zutaten sowie leicht umsetzbare gelingsichere Zubereitungsarten waren natürlich auch wichtige Kriterien. Die Rezepte sollten unkompliziert sein und keine grossen Kocherfahrungen voraussetzen. Varianten, Tricks und Tipps, z.B. zur Restenverwertung und zum Mitnehmen für unterwegs, durften ebenfalls nicht fehlen. Alles in allem war dieses Kochbuch für mich eine Herausforderung, um alle Kriterien unter einen Hut zu bringen.


Sind die Rezepte speziell gekennzeichnet oder wie wissen Reizdarm-Betroffene, welche Rezepte sich für die strenge Anfangsphase und welche sich für die Testphase eignen?

Carine Buhmann: Das nützliche farbige Ampelsystem zieht sich auch durch den Rezeptteil hindurch. Dies erkennt man sofort an der Titelfarbe des Rezeptes: grün steht für FODMAP-arm (Eliminationsphase) und orangefarben zeichnet die FODMAP-reduzierten Rezepte aus (Toleranzfindungsphase). So findet man sich schnell zurecht und kann auch später einzelne Lebensmittel mit einem hohen FODMAP-Gehalt in kleinen Mengen aufgrund der persönlichen Verträglichkeit in den Rezepten ergänzen oder austauschen. Langfristig soll der Menüplan ausgewogen sein, ohne Beschwerden zu verursachen. Als Einstieg ins FODMAP-Konzept finden sich zusätzliche Wochenpläne, die bei der Umsetzung zu Beginn helfen.

 

Knoblauch und Zwiebeln enthalten viele FODMAP’s und sollten Betroffene besser meiden. Haben Sie in den Rezepten ganz darauf verzichtet oder wie haben Sie diese „heiklen“ Zutaten ersetzt?

Carine Buhmann: Da FODMAP’s wasser-, aber nicht fettlöslich sind, kann man sich mit einem selbst gemachten Zwiebel- und Knoblauchöl behelfen. Knoblauchzehen lassen sich auch in Öl in einer Pfanne andünsten, entfernen und danach z.B. das Fleisch im so aromatisierten Öl anbraten. Eine andere Alternative ist das Grün von Frühlings- bzw. Bundzwiebeln. Die grünen Stängel sind nämlich FODMAP-arm, das Weisse der Zwiebel jedoch nicht. Ebenso verleiht Schnittlauch den Rezepten ein zwiebelähnliches Aroma. Aufpassen muss man bei (Gemüse-)Bouillons und Streuwürzen, denn darin verstecken sich häufig FODMAP’s. Deshalb kamen in den Rezepten Salz, Pfeffer, Muskatnuss und viele frische Kräuter zum Einsatz.

Ein herzliches Dankeschön an Carine Buhmann für das Interview.

Buchtipp: Das FODMAP-Konzept – leichte Küche bei Reizdarm. Ein praktischer Ratgeber mit 170 Rezepten, Carine Buhmann/Caroline Kiss, AT Verlag Aarau und München. ISBN: 978-3-03800.909.2
CHF 35.90; Euro 29.95

Internet 
www.carinebuhmann.ch
www.fodmap-konzept.ch 
www.at-verlag.ch

 

Hinweis auf einen Blog zum Thema
27.03.2016: Das FODMAP-Konzept – leichte Küche bei Reizdarm

 


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