Textatelier
BLOG vom: 29.08.2016

Bagatellen sind erfreuliche Kleinigkeiten

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London

Als Violinschüler in der Basler Musikschule wählte ich eine Beethoven Bagatelle zum Vorspielen am Elternabend. Das ist das erste und einzige Mal, dass ich mit diesem Instrument Applaus geerntet habe.

Mein Gemüt ist Bagatellen in ihren mannigfaltigen Formen zugeneigt, nicht nur in der Musik. Die niedlichen Veilchen und die bunten Schmetterlinge gehören mit dazu. Mancher Gedanke wird von Bagatellen ausgelöst, und diese sind mir Auftakte und Nährboden für Aphorismen. Ich verdanke ihnen viel Kurzweil. Alle Langeweil ist wie weggeblasen.

Wem die Zeit auf den Magen drückt, widme sich solchen Kleinoden in seiner Reichweite. Sie liegen überall auf. Bertrand Russell hat im ersten Teil seines Buchs “The Conquest of Happiness” die Gründe des Missbehagens durchleuchtet und erläutert. Erst wenn diese soweit als möglich aus dem Weg geräumt sind, gewinnt die Freude nach und nach mehr Platz in unserem Leben. Zugegeben, dies ist ein schwieriges Unterfangen in unserer schnelllebigen Welt voller Schikanen, Schicksalsschläge, Enttäuschungen und Ärgerquellen im beruflichen und privaten Alltag. Unsere Nerven werden fortwährend strapaziert. Leicht reisst unser Geduldfaden über Trivialitäten. Dabei übersehen wir glückliche Umstände.

Viele Menschen suchen unziemliche und schädliche Zerstreuung und Trost im Alkohol und in Drogen. Nicht Zerstreuung, sondern echte Unterhaltung schaffen ein inneres Gleichgewicht. Um dieses zu gewinnen, gehört unabdingbar auch der Umgang mit Leuten, die wir mögen, anerkennen und uns gut gesinnt sind. Je älter wir werden, desto wählerischer sollten wir unseren Kreis von Mitmenschen bestimmen, frei von Neidern und Prahlern. Hoffentlich hat sich dazu unsere Menschenkenntnis nach vierzig oder fünfzig Jahren ausreichend verfeinert.

Wer seiner beruflichen Arbeit Freude abgewinnt, ist weniger auf Bagatellen angewiesen, wiewohl sie auch ihm eine Abwechslung bieten können. Ob reich oder arm ist kein Hindernis gesetzt, seine Liebhabereien zu entdecken. In diesem Sinne gelten sie mehr als Bagatellen. Ausserdem dämmen sie die Monotonie und verscheuchen Grillen (Trübsinn).

Ein handwerkliches Geschick gepflogen ist so gut wie eine intellektuelle Neigung verfolgt. Und ihr Zusammenspiel entfaltet sich wie ein bunter Fächer. Letztes Wochenende hatte ich den beschädigten Einband von “LA DAME AUX CAMELIAS” von Alexandre Dumas Fils ausgebessert. Alle 247 Seiten, mitsamt vielen Illustrationen von A. Lynch, sind tadellos erhalten. Ich war mit meiner Arbeit sehr zufrieden und werde das Werk etappenweise lesen.

So reichen sich die Bagatellen und Liebhabereien die Hand.

 


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