Bad Zurzach und die Wunder der „Wassergeschichte“
Autor: Pirmin Meier, Historiker und Schriftsteller, Beromünster LU/CH
Red. Erstmals fand in Bad Zurzach eine wissenschaftliche Tagung statt zur historischen Einordnung der örtlichen Bädertradition. Ökologische und kulturgeschichtliche Themen kamen von einheimischen als auch von weit hergereisten Fachleuten zur Sprache. Das Bäderwesen erwies sich dabei als eine Schatzkammer im Verhältnis des Menschen zu Natur und Kultur.
Trotz Winzerfest-Wochenende konnte Mitinitiant und Gastgeber Andreas Edelmann am Samstag eine stattliche Anzahl Bäder-Interessierter begrüssen, darunter auch eine Delegation der Historischen Vereinigung des Bezirks Zurzach. Die Idee zu einer Tagung zur Bädergeschichte war im Vorjahr aus Anlass des Quellenjubiläums entstanden.
Hauptveranstalter war die 1942 gegründete Schweizer Paracelsus-Gesellschaft mit dem Kirchenhistoriker Prof. Markus Ries (Luzern) und der Zürcher Germanistin Pia Holenstein als Co-Präsidenten. Andreas Edelmann würdigte einleitend Zurzach von seiner Bedeutung für die oberrheinische Wirtschaftsgeschichte und die Verhältnisse zur Zeit der Reformation, als Paracelsus auf seinen Reisen dem Rhein entlang mutmasslich auch in die einstige Hochburg der Bader und Scherer gekommen sein dürfte. An der Tagung vertreten war mit mehreren Mitgliedern die Bombastus-Gesellschaft Dresden. Die Vereinigung kümmert sich seit 25 Jahren um das Andenken von Paracelsus im östlichen Deutschland.
Im einleitenden Vortrag gab der letztjährige Festredner Pirmin Meier einen Überblick über die oberrheinische Bädergeschichte. Dazu gehören Pfäfers (Bad Ragaz), die deutschen Bäder Niederbaden (Baden-Baden), Bad Liebenzell sowie das Bad Plombières in den Vogesen. Wie Baden im Aargäu wurden diese Bäder um 1525 von Paracelsus beschrieben.
Paracelsus und die Temperatur des Weissweins
Der Einsiedeln 1493 geborene Arzt und Alchemist stellte eine Theorie über die Entstehung der Heilwasser auf: Als die beiden Hauptwärmequellen nannte er die Sonne und das Erdinnere, ferner die Energie des Kalkes und anderer Mineralien. Am Ursprung der Schöpfung habe ungeschiedene Materie existiert. Bei der Scheidung von Kälte und Wärme ging der Gelehrte aber nicht vom Gefrierpunkt des Wassers aus, sondern von einer mittleren Kellertemperatur von umgerechnet annähernd zehn Grad Celsius, von ihm „Temperatum“ genannt, zur Zeit der Erfindung des Thermometers im 18. Jahrhundert das „Tempéré“. Dabei spielte zum Beispiel die menschliche Körpertemperatur wie auch die genannte Kellertemperatur noch eine Rolle. Der Referent sprach in diesem Zusammenhang auch von einer idealen „Weissweintemperatur“, mit Kritik an der heutigen Praxis, Weissweine in Kühlschranktemperatur zu trinken.
Internationale und globale Perspektiven
Unter den samstäglichen Referaten erläuterte Dr. Gunhild Pörksen (Freiburg im Breisgau) die Philosophie des Wassers auf hohem Niveau. Dabei steht in der älteren Lehre der Bezug zum Menschen immer im Vordergrund. Der Pharmaziehistoriker Michael Brysch (Heidelberg) stellte mit den Bädern Wolkenstein (bei Freiberg in Sachsen) und Hornhausen mit „Heilbronnen“ zwei sächsische Badeorte aus der Sicht des Paracelsisten August Hauptmann aus dem 17. Jahrhundert vor. Bea Lundt, eine „Genderforscherin“, verglich die Paracelsische Lehre von den Wassergeistern mit Tradition in Benin (Afrika). Witalij Morosow, 29jährig, Wissenschaftshistoriker aus St. Petersburg, hat 2004 Paracelus u.a. durch die russische Übersetzung des Buches von Pirmin Meier kennengelernt. Seine Ausführungen über Paracelsus in der russischen Aufklärung erwähnten auch den Schweiz-Reisenden Karamsin und vermittelten Geheimtipps über die Wirkung des Paracelsus auf Russland, auch Hinweise auf handschriftliche Überlieferung
Wem gehört das Wasser?
Ein aktueller Vortrag hatte in der oberen Kirche schon am Freitagabend stattgefunden. Prof. René Schwarzenbach, Umweltchemiker aus Erlenbach ZH, stellte die Frage „Wem gehört das Wasser?“ Er skizzierte das Wasser im Zusammenhang mit dem Klimawandel als ein grosses Politikum der Gegenwart und der Zukunft. Das Wasser, ein ererbtes Gut, drohe als wichtigste Ressource der Menschheit zu einem fragwürdigen Geschäft zu werden. Zu bedenken gab der Chemiker, dass die Auswirkungen von mehr als 90% der Chemikalien auf das Wasser nicht genügend erforscht seien.
Die Tagung schloss am Sonntag mit einer schönen Lesung der Dichterin Claudia Storz (Aarau) mit Wassermotiven. Der Zusammenfluss von Aare, Reuss und Limmat wurde ebenso sehr Poesie wie Perspektiven aus Japan und dem Rio de la Plata. Mitglieder der Paracelsus-Gesellschaft liessen es sich nicht nehmen, die Fähre zwischen Rietheim und Kadelburg zu nutzen, um auf diese Weise den Fluss Rhein und das nahe Auen-Naturschutzgebiet kennenzulernen, auch die Barzmühle. Dabei war zu vernehmen, dass der jetzt gebändigte Rhein vor 250 Jahren von Zurzach bis Mannheim insgesamt 80 Kilometer länger war. Das Bäderwesen und der Rhein dürften auch in Zukunft im Zurzibiet Gegenstand der Erwachsenenbildung werden, wenn möglich auch der Jugendbildung. Es wurde an das bevorstehende 200-Jahr-Jubiläum der Bezirksschule Zurzach erinnert.
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