Sprachunterricht auf La Palma/Kanarische Insel
Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Deutschland
Bisher habe ich mich nur kurz mit einer lateinischen Sprache beschäftigt und ein wenig französisch gelernt. Unser Aufenthalt auf der Kanareninsel La Palma ist eine gute Gelegenheit, in die spanische Sprache "hineinzuschnuppern". Mehr kann es nicht sein, denn zum Erlernen einer vollkommen neuen Fremdsprache braucht es viel mehr Zeit und Energie.
ich versuche zu verstehen, was ich rings um mich herum höre, grüsse die Menschen mit "¡hola!", so wie es hier üblich ist, und nicht mit "Buenos tardes!", bedanke mich mit "muchas gratias" und äussere eine Bitte mit "por favor!"
Seit vielen Jahren unterrichte ich selbst schon Deutsch als Fremdsprache. Ich habe mich über Unterrichtsmethoden informiert und sie studiert.
Gerade beim Erlernen einer Fremdsprache streiten sich die Wissenschaftler, Didaktiker und Methodiker über die "richtige" Methode. Dabei wird auf das Sprachlernen von Kleinkindern ebenso Bezug genommen wie auf die Sprachgeschichte selbst und darüber, ob es eine universale Ursprache und Grammatik gibt, die für alle Sprachen gilt.
Inwieweit grammatische Strukturen "angeboren" sind oder nicht, ist eine spannende Frage. Kinder, die sprechen lernen, übernehmen sie "so nebenbei", natürlich ohne dass sie ihnen bewusst werden.
Gerade die Methodik und Didaktik zur Vermittlung von Fremdsprachen spielt bei der Konzeption von Sprachlehrwerken eine grosse Rolle und das Thema begleitete mich als Repräsentant eines grossen deutschen Schulmedienverlages fast mein ganzes Berufsleben hindurch.
Eine weitere Frage ist es, wie denn die neue Sprache am besten gefestigt werden kann, es geht also um das Gedächtnis und die Fähigkeiten des Gehirns. Auch hierzu gibt es viele wissenschaftliche Abhandlungen, wie denn nun das Gelernte vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis gelangt und dort gefestigt wird und auch angewendet werden kann.
Soll Fremdsprachvermittlung einsprachig erfolgen oder sind Rückbezüge auf die Muttersprache erlaubt? Darüber gibt es die unterschiedlichsten Meinungen. Eine Professorin sagte mir einmal: "Wenn der Lerner in der Fremdsprache träumt, dann hat er nach dem Europäischen Referenzrahmen (ERR) die Stufe B 1 erreicht, kann sich also im täglichen Leben verständigen und das Gesprochene verstehen."
(Da mir meine Träume nur äusserst selten bewusst werden, könnte ich auch nicht mit Bestimmtheit sagen, in welcher Sprache ich träume!)
Auf der Website von Eva Roman wird berichtet, dass sie mehr als 20 Jahre Unterrichtserfahrung habe und alle Level unterrichte, auch Intensivkurse für Urlauber. Wir buchen bei ihr 4 Unterrichtsstunden zu einem moderaten Preis.
Die erste Unterrichtsstunde begann mit: Grammatik! Sich begrüssen, bitten und bedanken lässt sie aus. Eva spricht recht gut deutsch und vergleicht spanische mit deutscher Grammatik.
Wir lernten, dass die deutschen Personalpronomen in der jeweiligen konjugierten Verbform bereits enthalten sind:
comer - como - comes - come - comemos, usw.
Das gilt für die regelmässigen Verben: essen - ich esse - du isst..
Es folgen weitere Verben, wie beber, correr und andere.
Neben Sätzen, die ich im täglichen Leben anwenden könnte, wie me gusta: es gefällt mir, lerne ich solche, die nur äusserst selten geäussert werden: te ofendo - ich beleidige dich.
Ich lerne aber auch: Me gusta el cafe.
Und die Verneinung: No me gusta fumar.
Ein Teil des durchgenommenen Stoffes werde ich wohl nie wieder gebrauchen, aber darauf kommt es Eva nicht an, sondern darauf, dass wir die Strukturen kennen lernen.
In der 2. Stunde folgten unregelmässige Verben und anschliessend das wie ein Verb gebrauchte "haben" = tener mit einem Substantiv:
Tengo hambre. - Ich habe Hunger. Tienes sed. Tiene frio.
No tengo cambio. - Ich habe kein Wechselgeld!
Viel geübt wird auch, was "ich muss": Tengo que esperar. Tengo que entrenar Espaniol.
Was ja auch stimmt: "Ich muss Spanisch trainieren!"
Dieser Ansatz, eine Sprache zu unterrichten, mag sinnvoll sein.
Der ERR beinhaltet keine Grammatikstrukturen, sondern hauptsächlich, ob und welche sprachlichen Inhalte und Redewendungen vermittelt werden. So beginnen die Lehrwerke auch damit, dass sich die Lerner in der Fremdsprache vorstellen und zu fragen, wie das Gegenüber heisst, wie man sich auf dem Flughafen, im Hotel, im Café und in der Stadt bewegt, wie man nach dem Weg fragt, usw.
Diese Inhalte werden auch in dieser Art von Sprachunterricht kommen, aber nicht gleich zu Anfang. Sprachliche Unterschiede im Deutschen und Spanischen stehen eher im Vordergrund. Man kann also Evas Vorgehensweise "kontrastive Grammatik-Vokabular-Methode" nennen.
Ich gehe anders vor. Wenn jemand eine Fremdsprache lernet will sie/er zuerst von der eigenen Person aus argumentieren lernen. Ich habe Wünsche, Anliegen, Bedürfnisse zu sprechen. Im Gedächtnis bleiben dabei Inhalte, die mich direkt bewegen und die ich sofort anwenden kann. Das Verstehen einer Fremdsprache kommt, übrigens ebenso wie beim Erlernen der Erstsprache als Kleinkind, vor dem Sprechen. Bei einer Fremdsprache denke ich zuerst in der Sprache, in der ich mich normalerweise bewege, etwa in der Muttersprache, und übersetze häufig "im Kopf", bevor ich die neue Sprache verstehe oder anwende. Ich bin also durchaus für kontrastiven Sprachunterricht. Grammatische Strukturen werden dann vermittelt, wenn sie bei der Anwendung der Fremdsprache erforderlich sind, dabei verfahre ich sehr sparsam mit grammatischen Begrifflichkeiten. Es kommt darauf an zu verstehen, wie Satzaussagen aufgebaut werden, z.B. beim Satzbau, der sich von Sprache zu Sprache unterscheidet. Das wichtigste Sprachmittel aber ist das eigene Interesse und sind die eigenen Kommunikationswünsche.
Nicht total, aber in weiten Teilen lasse ich mich von den folgenden Überlegungen leiten:
Comprehensible Input-basierte Sprachlehrmethoden
Prof. Bleyhl hält, gestützt auf die neueren Kognitions- und Neurowissenschaften, die Anerkennung folgender Grundeinsichten für unverzichtbar:
♦ Verstehen geht im Erstsprachenerwerb dem eigenen Sprechen fünf bis sieben Monate voraus. Diese Zeitspanne kann beim Zweitsprachenerwerb kürzer ausfallen, ist aber unverzichtbar.
♦ Lebende Sprache ist ein Geschehen auf mehreren Ebenen, in mehreren Dimensionen. Sie bildet ein lebendiges Ganzes. Die Isolierung von sprachlichen Einzelphänomenen im Unterricht ist fragwürdig.
♦ Bewusstmachung ist beim Erlernen einer Sprache kaum eine Hilfe, da die Verarbeitung von Sprache aufgrund der begrenzten kognitiven Leistungsfähigkeit unseres Gehirns zum Grossteil nur unbewusst erfolgen kann. Daher kann der Lerner sich auch nicht gleichzeitig bewusst auf sprachlichen Inhalt und auf die korrekte sprachliche Form konzentrieren.
♦ Das menschliche Gehirn kann für den Spracherwerb wesentlich mehr leisten, als ihm die Didaktiker zutrauen, es braucht dafür jedoch Zeit, um die erstrebten mentalen Strukturen wachsen zu lassen. Dabei beginnt der Lerner mit den Informationseinheiten, die er gerade verarbeiten kann, und lernt in seinem individuellen Tempo dazu.
♦ Der Grammatikerwerb unterliegt Gesetzmässigkeiten, die durch Unterricht nicht verändert werden können. Er erfolgt in einer festgelegten Abfolge von Phasen, in individueller Geschwindigkeit.
♦ Aus diesen Gesetzmässigkeiten lässt sich keine grammatische Progression ableiten, weil der Lerner die Leistung einer grammatischen Struktur nur im Kontrast zu parallel wahrgenommenen anderen Strukturen erfahren kann. Es ist also notwendig, ihm ein ganzheitliches, nicht banales oder triviales Sprachangebot zu machen, aus dem er sich holt, was er jeweils versteht und braucht. Das Lernen muss von inhaltlichem Interesse geleitet sein.
♦ Der Erwerb grammatischer Strukturen setzt erst ab einem Wortschatz von 400 bis 500 lexikalischen Einheiten ein.
"Damit ergibt sich, dass Sprachenlernen nicht durch das Pauken von Grammatikregeln und von Listen leerer Vokabelhülsen erreicht wird, sondern durch den Aufbau mentaler Begriffe, wie sie die jeweiligen Sprachgemeinschaften im Laufe ihrer Geschichte entwickelt haben, und in sozialen Situationen, bei denen Sprache das Verhalten der Beteiligten koordiniert."
Der aus diesen Grundannahmen resultierende Fremdsprachenunterricht muss sich zwangsläufig von dem bisherigen grundlegend unterscheiden. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wo ein progressiv aufgebautes Lehrwerk dabei Anwendung finden kann, es sei denn als "Steinbruch", bei dem also auf den persönlichen Lernstand bezogen sprachliche Informationen daraus entnommen werden. (Wie sagte in einer Lehrwerksvorstellung die Autorin einmal: "Use the book as a tool not as a tyrant!")
Die Erfahrung des Spanischunterrichts hier auf der Kanarischen Insel war trotzdem bereichernd. Mein Blick auf meinen eigenen Sprachunterricht hat sich geweitet!
Quelle:
http://www.tprs-for-germany.com/traditioneller-fremdsprache/neue-grundeinsichten.html
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