Flora der Rheinauen: Orchideen, Diptam, Witwenblume
Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
„Die Halbtrockenrasen im Schwemmland des Altrheins entstanden auf ehemaligen Kiesbänken, den sogenannten ‚Grienen’. Der Boden hat dort nur eine dünne Humusauflage und wird wenig landwirtschaftlich genutzt. Dadurch sind die Wiesen zu einem Refugium von seltenen, wärmeliebenden Pflanzen geworden, u.a. von vielen Orchideen, Diptam, Heilpflanzen und Ackerwildkräutern.“ Dies konnte ich in einer Einladung zu einer Exkursion in der Umgebung von Bad Bellingen und Rheinweiler lesen.
Wanderfreund Toni von Lörrach, der schon frühere Exkursionen mitgemacht hatte, erhielt eine Einladung und lud mich zu dieser Exkursion am 20.05.2017 ein. Die Veranstaltung wurde von der Frosch-Apotheke in Lörrach organisiert. Die Führung übernahm Gudrun Schulze. Frau Schulze, eine ehemalige Mitarbeiterin in der Frosch-Apotheke, macht schon seit vielen Jahren botanische Exkursionen für andere Interessengruppen wie Senioren, Frauenkreise, Krankenkassen, Museen. Sie war auch im Bibelgarten in Beuggen am Aufbau beteiligt.
Apotheker Dr. Walter Taeschner begrüsste 23 Teilnehmer vor seiner Apotheke und brachte zum Ausdruck, dass die Teilnehmer eine schöne und interessante Wanderung durch die Rheinauen erleben werden. Er selbst könne leider nicht mitgehen, da er arbeiten müsse.
Danach ging es los. Wir fuhren mit privaten Autos nach Rheinweiler zum Ausgangspunkt Kapellengrün und danach nach Bad Bellingen ins Galgenloch.
Alle Teilnehmer waren überrascht von der Fülle an Pflanzen, die hier im Gebiet der Rheinauen wuchsen. Begünstigt waren die Pflanzenareale von der Unberührtheit des Naturschutzgebietes. Eine Landwirtschaft ist zum Glück wegen der kargen Böden nicht möglich.
Unter der kompetenten Führung von Gudrun Schulze lernten wir viele Orchideen, Wildkräuter und Heilpflanzen kennen. Einige der Besonderheiten sollen hier vorgestellt werden.
Klappertopf und Witwenblume
Der Klappertopf ist ein Halbschmarotzer. Jungpflanzen zapfen mit ihren Wurzeln andere Pflanzen (insbesondere Gräser) an. Bei Landwirten ist der Klappertopf nicht beliebt, weil die „angezapften“ Pflanzen in der Umgebung weniger gut gedeihen. Aus diesem Grunde wurde die Pflanze als Milchdieb und Milchschelm bezeichnet.
Ein schöner Anblick waren die Feld- oder Wiesen-Witwenblumen (die Knautia arvensis; benannt nach dem früheren Arzt und Botaniker Knaut) mit ihren rotvioletten Blütenköpfen. Im Volksmund wird die Blume auch als Nähkisschen, Donnerblume oder Gewitterblume bezeichnet.
Wir sahen Milchsterne
An einer Stelle sahen wir den Doldigen Milchstern. Er gehört wie der Spargel zur Familie der Liliaceae. Eine Besonderheit sind die 6 leicht ungleichen Blütenhüllblätter. Der Milchstern wird auch Vogelmilch, Stern von Bethlehem , Gärtnertod und Gärtnerschreck genannt.
Am Wegesrand waren viele Eichen, Berberitzebüsche und Robinien zu sehen. Die Robinie (falsche Akazie, Silberregen) ist ein sommergrüner Laubbaum. Sie kam ursprünglich aus Nordamerika, seit 300 Jahren wird sie in Gärten und Parks angepflanzt. Sie ist längst verwildert. Charakteristisch sind die traubigen Blütenstände mit Schmetterlingsblüten.
Purgier-Lein und Pimpinelle
Der Purgier-Lein (Linum catharticum) wurde früher als Heilmittel verwendet. Der Tee aus dem frischen Kraut wirkt abführend, also purgierend.
Die Pimpinella saxifraga (Bibernelle, Wiesenknopf) gehört zu den Doldengewächsen. Unsere Kursteilnehmerin zeigte uns den Kleinen Wiesenknopf (Sanguisorba minor).
Er gehört zu den Rosengewächsen. Leider wird diese Pflanze häufig verwechselt, ist aber nicht mit der Bibernelle verwandt.
Gudrun Schulte: „Die jungen Blätter der beiden Pflanzen können im Salat verwendet werden, wobei die Bibernelle sicher schmackhafter ist.“
Als eine Teilnehmerin Pimpinelle hörte, gab sie den folgenden Spruch zum Besten:
„Esst Pimpinelle, dann sterbt ihr nicht so schnelle.“
Adalbert Stifter (1805-1868) lässt in seiner Geschichte „Granit“ ein Vögelchen von der Föhre singen:
„Esst Enzian und Pimpinell
steht auf, sterbt nicht so schnell.“
Baldrian zieht Katzen an
Gudrun Schulze zog eine noch nicht blühende Baldrianpflanze heraus und liess die Teilnehmler an der Wurzel riechen. Der typische Baldrianduft stieg in unsere Näschen. Eine Teilnehmerin nahm dann die ausgerissene Pflanze mit nach Hause, um sie in ihrem Garten einzupflanzen.
Baldrian ist eine altbewährte Heilpflanze bei Nervosität, Reizbarkeit, Angst- und Erregungszuständen, Einschlafstörungen, nervös bedingten krampfartigen Schmerzen im Magen- und Darmbereich.
Eine Teilnehmerin äusserte, Baldrian ziehe doch Katzen an. Das stimmt. Da fiel mir die folgende Geschichte ein: Kommt ein Katzenfeind in eine südbadische Apotheke und verlangt nach Baldrian. „Sie wissen doch sicherlich, Baldrian vertreibt keine Katzen, er zieht sie an“, meinte der Apotheker. „Das weiss ich“, entgegnete der Kunde und fuhr fort: „die Baldriantropfen sind für des Nachbars Garten.“ Durch diesen Trick blieb von nun an
der eigene Garten katzenfrei.
Es kursiert in unserer Gegend folgende Geschichte. Als ein von Durchfall geplagter Zeitgenosse in eine Apotheke kam und ein probates Mittel verlangte, bekam er von einem Auszubildenden aus Versehen Baldrian-Tropfen. Als der Apotheker von der Verwechslung erfuhr, war er natürlich ausser sich. Zum Glück kam der Kunde in den nächsten Tagen wieder in die Apotheke. Der Apotheker wollte gerne wissen, wie das Mittel denn bei ihm angeschlagen hat. Darauf antwortete der Geplagte: „Sehr gut, nun rege ich mich wegen des Durchfalls nicht mehr auf.“
Der „brennende Busch“
Aschwurz oder Brennender Busch wird der Diptam genannt. Er ist ein Rautengewächs und steht unter Naturschutz. Zur Reifezeit geben die Drüsen der Fruchtstände viel ätherisches Öl ab. An extrem heissen Tagen können sich die Dämpfe selbst entzünden. Beim „brennenden Dornbusch“ der Bibel handelt es sich jedoch nicht um Diptam, da dieser keine Dornen oder Stacheln hat. Die Pflanze enthält phototoxisch wirkende Furanocumarine. Nach Berührung und anschliessender Sonnenbestrahlung zeigen sich sonnenbrandähnliche Hautreizungen.
Wir erfreuten uns an der sehr dekorativ blühenden Pflanze, die vereinzelt in den Rheinauen und besonders üppig in einem eingezäunten Areal im Galgenloch wuchs.
Orchideen: Eine riecht nach Ziegenbock
Höhepunkt der Exkursion war das Aufstöbern diverser Orchideen. Wir entdeckten die Brand-Orchis (Brand-Knabenkraut, Angebranntes Knabenkraut), das Helmknabenkraut, die Hummel-Ragwurz, die Pyramiden-Orchis und die Bocks-Riemenzunge.
Die Bocks-Riemenzunge ist reichblütig. Die grossen Exemplare können bis über 100 Blüten haben. Die Blüten riechen stark nach Ziegenbock. Die Bestäuber, es sind überwiegend Wildbienen, stören sich nicht an diesem Geruch.
Die Brand-Orchis entdeckten wir später im Galgenloch. Diese Art hat winzige rosa Blüten. Die Perigonblätter an der Spitze bilden einen kleinen kugeligen Helm, der aussen dunkelpurpur ist. Der Helm sieht wie verbrannt aus.
Eine Augenweide waren auch einige Exemplare des Helmknabenkrauts. Die Blüten sind purpurn bis rosarot und fein rot punktiert. Durch das Zusammenneigen der 3 oberen Blütenblätter entsteht eine Helmform.
Die Hummel-Ragwurz hat eine Lippe ohne Sporn, ist samtig behaart und ähnelt dem Hinterleib einer Hummel.
Bei der Pyramiden-Orchis ist der Blütenstand kegel- bis eiförmig. Die Blüten können dunkelrot, lila, rosa und weisslich sein.
Sämtliche Orchideen stehen unter Naturschutz. Sie dürfen nicht ausgegraben werden. In den Naturschutzgebieten dürfen Wege nicht verlassen werden. Gudrun Schulze wies die anwesenden Naturfotografen darauf hin, dass man im Umfeld der Orchideen sehr sorgfältig mit der Natur umgehen sollte. Zum Glück wuchsen die Orchideen oft in der Nähe der schmalen Pfade heran.
Nach der 3-stündigen Exkursion kehrten die meisten Teilnehmer in der Weinschenke Zimmermann bei Schliengen ein.
Ein Fazit
Es war für uns Teilnehmer eine sehr interessante und informative Wanderung durch die Rheinauen. Alle waren vom profunden Wissen der Exkursionsleiterin angenehm überrascht. Sie kannte jede noch so kleine Pflanze auf und neben den Wegen.
Internet
www.gartentipps.com
Literatur
Aichele, Dietmar: „Was blüht denn da?“, Franckh´sche Verlagshandlung, Stuttgart 1991.
Baumann/Künkele: „Die Orchideen Europas“, Franckh´sche Verlagshandlung, Stuttgart 1988.
Fagner, Annabelle; Schlegel, Martina: „Ein Garten voller Duftkräuter“, Thorbecke Verlag, Ostfildern 2008.
Scholz, Heinz; Hiepe, Frank: „Arnika und Frauenwohl“, Ipa-Verlag, Vaihingen/Mühlhausen 2013.
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