Über die Duldung oder die Duldsamkeit und über Migration
Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Deutschland
Das Langenscheidt Taschenwörterbuch übersetzt das Wort Duldung in die englische Sprachemit toleration, permission.
Umgekehrt findet man toleration im englischen Teil des Wörterbuches nicht. Toleration ist etwas anderes als Tolerance.
Die Enzyklopädie Britannica gibt folgende Definition:
Toleration, a refusal to impose punitive sanctions for dissident from prevailing norms or policies or a deliberate choice not to interfere with behaviour of which one disapproves.
Übersetzt lautet die Definition etwa:Toleranz, eine Weigerung, strafende Sanktionen für Dissidenten aus vorherrschenden Normen oder Politiken oder einer absichtlichen Wahl zu verhängen, um nicht das Verhalten zu beeinträchtigen, dasjemand missbilligt.
Besonders der letzte Teil der englischen Definition: of which one disapproves lässt sich im Zusammenhang nur schwer ins Deutsche übersetzen.
Kürzer wäre diese Definition:
Toleration is: the practice of toleration something, in particular differences of opinion and behaviour. Allerdings krankt diese Definition daran, dass das zu definierende Wort in der Definition benutzt wird!
Ich komme wieder auf die deutschen Wörter Duldung und Duldsamkeit zurück.
Im WAHRIG Grosswörterbuch Deutsch als Fremdsprache heisst es bei Duldung:
Zulassen, schweigendes Hinnehmen von etwas, was man nicht billigt.
Es stellt sich die Frage: Wer lässt zu, wer nimmt etwas schweigend hin?
Der Spiegel online schreibt am 04.09.2017 unter dem Titel
Flüchtlingspolitik in Zahlen - Die Messlatte:
Abschiebungen und freiwillige Rückkehrer
Zum 30. Juni 2017 waren rund 111.000 abgelehnte Asylbewerber ausreisepflichtig, davon besassen jedoch 70 Prozent eine Duldung - etwa aufgrund fehlender Dokumente, aus medizinischen Gründen oder auch weil einzelne Bundesländer nicht nach Afghanistan abschieben. Rund 32.000 abgelehnte Asylbewerber haben keine Duldung und sind unmittelbar ausreisepflichtig.
Diesem Bericht zufolge können abgelehnte Asylbewerber eine Duldung besitzen! Laufen diese Personen jetzt mit einer Duldermiene umher?
Lt. WAHRIG ist das scherzhaft ein mitleidsfordernder Gesichtsausdruck, leiden sie also still, oder erdulden sie ihren Status, die Duldung?
Der frühere Bundespräsident Deutschlands, Theodor Heuss, hat einmal gesagt:
Duldung ist nicht ein schwächliches Gesäusel, sondern ein männliches Verstehen des anderen.
Und Gustav Radbruch (Reichsminister der Justiz in der Weimarer Zeit):
Zu lieben und zu hassen sind wir zuständig, aber nicht, uns in Lob oder Tadel über andere zu erheben. Strenge gegen sich selbst, Duldsamkeit gegen andere ist die Konsequenz der Freiheitslehre.
(aus: Ernst R. Hauschka, Handbuch moderner Literatur im Zitat)
Über den Ausdruck männliches kann man geteilter Meinung sein, aber nicht bei den Aussagen Verstehen und gegen andere.
Die Flüchtlingspolitik insgesamt und die Duldung von abgelehnten Asylbewerbern als ein Teil davon war eines der Gründe für das Wahlergebnis der Partei AfD (Alternative für Deutschland), aber auch für das schwache Abschneiden der bisherigen Regierungsparteien.
Die AfD will sich dafür einsetzen, so wenige Einwanderer insgesamt ins Land zu lassen wie möglich, und eine Duldung nicht zu dulden.
Momentan haben die Ausländerbehörden noch einen gewissen Spielraum:
Droht die Abschiebung oder muss/kann eine Duldung erteilt werden?
Eine Abschiebung droht Ihnen dann, wenn die Durchführung der Abschiebung tatsächlich möglich und sie auch nicht aus rechtlichen Gründen verboten ist:
Wenn Sie aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben werden können, haben Sie wegen dieser tatsächlichen oder rechtlichen Abschiebungshindernisse einen Anspruch auf die Erteilung einer Duldung. Die Ausländerbehörde kann in vielen Fällen jahrelang darauf warten, dass eine Abschiebung wieder möglich ist. Während dieser Zeit muss die Behörde Ihre Duldung immer wieder verlängern. Für die Geltungsdauer der Duldung nennt das Aufenthaltsgesetz keine bestimmte Frist. Üblicherweise erfolgen Verlängerungen aber um einen, drei oder sechs Monate. Wenn Sie eine Duldung besitzen, die jeweils nur für wenige Tage verlängert wird, sollten Sie mit einer Beratungsstelle sprechen. Unter bestimmten Voraussetzungen können Sie auch eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erhalten.
Wenn Sie eine mindestens zweijährige Ausbildung beginnen, haben Sie einen Anspruch auf die Erteilung einer Ausbildungsduldung. Unabhängig davon kann Ihnen die Ausländerbehörde unter bestimmten Voraussetzungen eine Duldung auf dem Ermessenswege erteilen.
Die Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 2 AufenthG, wenn eine Abschiebung unmöglich ist. Was sind tatsächliche Abschiebungshindernisse?
Das bedeutet, dass Ihre Abschiebung aus den verschiedensten praktischen Gründen zumindest im Moment nicht durchgeführt werden kann:
Manche Flüchtlinge können nicht abgeschoben werden, weil keine Flugverbindungen ins Herkunftsland bestehen. Auch wenn kein gültiger Pass oder ein Passersatzpapier vorhanden ist, kann die Abschiebung oft nicht stattfinden. Wenn Abschiebungspapiere fehlen, wird die Ausländerbehörde versuchen, Passersatzpapiere bei der Botschaft zu besorgen. Sie sind dabei zur Mitwirkung verpflichtet.Tun Sie dies nicht, haben Sie unter Umständen gravierende Nachteile zu befürchten, zum Beispiel Arbeitsverbot oder Kürzung der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. (Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.)
Also: Es wird nicht schweigend hingenommen, obwohl es nicht gebilligt wird. Die Ausländerämter fassen sich in Geduld, der Status der Personen ist und bleibt unsicher.
Das ist kein Phänomen nur in Deutschland, sondern in vielen anderen Staaten der Erde, in denen Flüchtlinge oder Menschen ohne behördliche Genehmigung leben, oft schon seit Jahrzehnten. Je länger sie im Land bleiben, je mehr sie das Städtebild prägen, desto grösser wird die Angst der Ureinwohner, von ihnen eines Tages dominiert zu werden. Das gilt besonders dann, wenn die Einwanderer durch eine fremde Religionszugehörigkeit sozialisiert sind. Obwohl das in der menschlichen Historie keine Ungewöhnlichkeit ist. Oft werden auch Verbindungen und Heiraten unter verschiedenen Kulturen von denen, die sich davor fürchten, abgelehnt.
Manchmal wäre es angebracht, Menschlichkeit und Gastfreundschaft über eine nicht erteilte, über eine besitzende oder gewährte oder nur vorläufige Duldung zu stellen. Geduld ist eine hohe Tugend. Nachsicht ebenso. Es wäre gut, beides zu praktizieren. Sich vorzustellen, in der gleichen Lage zu sein wie die zu uns Gekommenen, und die Gründe dafür versuchen zu verstehen, warum sie ihr Heimatland verlassen haben, hilft sehr, die Menschen zu akzeptieren. Sie verdienen unseren Respekt ohne Ressentiment. Seien wir duldsam (=tolerant)!
In den meisten Fällen sind Träger anderer Kulturen nicht nur Belastung, sondern bereichern auch das Dasein, sind bewusstseinserweiternd für Menschen in dem Land, in das sie gewechselt sind. Wie sähe Deutschland ganz ohne Menschen mit Migrationshintergrund aus? An allen Ecken und Enden würden Menschen fehlen, sei es in der Medizin und in der Altenpflege, sei es im Service, sei es in vielen Wirtschaftszweigen, sei es in solchen Berufen, die besonders schwer und schmutzig sind. Der Lebensstandard in Deutschland wäre gewiss nicht so hoch wie zur Zeit. Viele Lebensmittel und Produkte, die aus dem Ausland zu uns gekommen sind, würden wir nie geniessen und kennen lernen können. Viele liebenswerte Freunde würden sich nie gefunden haben. Das Leben insgesamt wäre ärmer!
Ich möchte konkret werden.
Unsere Familie ist mit einer aus Indien stammenden Familie mit 3 Kindern befreundet. Wir kennen die Eltern, seit sie in Deutschland sind, die Kinder waren damals noch gar nicht geboren. Beide Elternteile sind berufstätig, im Hospiz und in der Krankenpflege. Alle 3 Kinder studieren, einer Flugzeugbau, der andere Junge Medizin und das Mädchen Jura. Sie sprechen alle gut Deutsch, sie sind voll integriert. Viele indische Freunde von ihnen sind Mediziner oder in der Krankenpflege tätig. Durch unsere Freunde bin ich angeregt worden, Indien zu bereisen. Das habe ich ausführlich getan, zuletzt habe ich dort sogar 4 Monate lang in Bangalore unterrichtet. - Hätte ich die Familie nie kennen gelernt, wären mir viele Eindrücke, viele Begegnungen, eine andere Kultur entgangen. Ich bin dankbar dafür, dass ich sie getroffen habe! Die Kinder nennen mich Onkel und meine Frau Tante. Wir gehören quasi zur Familie!
Ich pflege gute Kontakte mit Menschen mit Migrationshintergrund, z.B. aus der Türkei. Es sind Moslems. Gegenseitige Vorurteile gibt es nicht, wir verstehen uns, wissen von Problemen, die sie in Deutschland haben, wissen von dem Wunsch, in die Heimat zurück zu kehren, aber auch von den Bedenken, denn ihre Kinder sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Eine Familie betreibt eine Dönerbude, das Essen schmeckt hervorragend! Der Ehemann der anderen Familie betreibt eine Waschanlage, meines Erachtens die beste im Ort.
Warum sollte ich wollen, dass sie wieder aus meinem Leben verschwinden? Es gibt keinen einzigen Grund dafür!
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