Eine Minderheitsregierung in Deutschland? Ja, bitte!
Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Deutschland
In Deutschland hat die Wahl Ergebnisse gebracht, die zur Regierungsbildung eine Koalition erfordern. Die ersten Koalitionsverhandlungen zwischen den Parteien CDU/CSU, den Grünen und der FDP sind gescheitert, die wenigen Gemeinsamkeiten können zu keiner stabilen Regierung führen. Die bisherige Koalition zwischen der CDU/CSU und den Sozialdemokraten vor der Wahl sollten nach Forderungen vor allem aus der SPD nicht erneuert werden. Jetzt könnte es wieder dazu kommen, wenn sich nicht die Parteibasis vehement dagegen ausspricht. Grosse Koalitionen führen dazu, dass das Profil der nicht die Kanzlerschaft bildende Partei geschwächt wird.
Es ist noch nicht entschieden, wie die Verhandlungen ausgehen. Die Parteileitung der SPD will die alte Koalition erneuern, also Regierungsverantwortung (mit) übernehmen. Zwei andere Alternativen bieten sich an: Neuwahlen oder eine Minderheitsregierung. Ob Neuwahlen eine andere Konstellation hervorbringen, ist keineswegs sicher. Aber wie sieht das mit einer Minderheitsregierung aus?
In Deutschland gab es sie bisher nur selten, unter Richard von Weizäcker 1981-1983, bei Länderparlamenten, wie z.B. in NRW. Aber es gibt Erfahrungen dazu aus Belgien und vor allem aus Skandinavien. Gerade lese ich über Norwegen, dass dort wieder einmal eine Minderheitsregierung aktuell gebildet worden ist.
Eine Minderheitsregierung kann nicht selbst Gesetze verabschieden, denn dazu benötigt sie eine Mehrheit der Abgeordneten, die ihnen zustimmen. Die Befürworter müssen dann aus verschiedenen Parteien kommen. Laut Grundgesetz ist jeder Abgeordnete nur seinem Gewissen verpflichtet, dementsprechend ist ein Fraktionszwang, der die Abgeordneten einer Partei zwingt, sich der Parteimeinung anzuschliessen, grundgesetzwidrig.
Eine Minderheitsregierung würde den Fraktionszwang aushebeln. Um ein Gesetz zu verabschieden, ist dann Überzeugungsarbeit der Minderheitsregierung erforderlich.
Für das deutsche parlamentarische System könnte das eine Chance bedeuten. Natürlich widerstrebt das der Partei, die die meisten Wählerstimmen erlangt hat. Es würde immer wieder ein zähes Ringen um eine Einigung werden, die vermehrt Kompromissfähigkeit erfordert.
Die Befürworter und Kritiker eines Gesetzesantrags müssen ihre Überzeugung und die Gründe für das Gesetz genau darlegen. Die Medien können dann ausführlich darüber berichten. Parteien würden feststellen, wo es gegenseitige Übereinstimmungen gibt und wo nicht, und das nicht im grossen Rahmen, wie zurzeit bei den Koalitionsgesprächen, sondern im Detail.
Das Motto: Wenn du nicht für mich bist, dann bist du mein Gegner, würde nicht mehr ziehen.
Die Online-Zeitung der Freitag bringt es auf den Punkt:
Nur Minderheitenregierungen sind demokratisch!
Überzeugungsarbeit und Sachentscheidungen, das wäre das Wagnis wert!
Man stelle sich vor, was gewesen wäre, wenn es sie in den letzten Jahren schon gegeben hätte!
Quelle
https://www.freitag.de/autoren/joerg-gastmann-economy4mankind/minderheitsregierung-statt-jamaika
*
* *
Hinweis auf weitere Blogs von Bernardy Richard Gerd
Schreibblockade und Krankheit
Greise, deren Einfluss und der Lauf der Zeit
Wenn der bockige Bock einen Bock schiesst
Sommerhitze
Das Priamel, ein Vierzeiler, den man auch noch heute kreieren kann
Kinderfragen - W-Fragen
Grübeleien eines Insassen in einer deutschen Strafanstalt
Karl Marx und die Globalisierung
Sicherheit und Risiko
Folgen des Konsums
Verbrechen, Ängste, Drang und Fatalismus
Andere Kulturen, andere Denkweisen
Gehört zur deutschen Sprache eine einfache Aussprache?
Gedanken zum Frühling