Das Priamel, ein Vierzeiler, den man auch noch heute kreieren kann
Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/D
Was ein Priamel ist, lässt sich an einem Beispiel, das in einem Spruchbuch des 15. Jahrhunderts, das im Britisches Museum in London zu finden ist, und dem Dichter Walther von der Vogelweide zugeschrieben wird, ersehen:
Ich leb und weiß nit wie langk,
Ich stirb und waiß nit wann,
Ich far und waiß nit wahin:
Mich wundert, das ich so fröhlich pin
Das Interesse an diesem Vierzeiler hat sich über Jahrhunderte hinweg gehalten, von Konraad Bollstatter (1468/69) bis zu Martin Luther, Heinrich von Kleist und Ernst Bloch.
Auch Bertolt Brecht hat sich mehr oder weniger darauf berufen, als er das folgende Gedicht schrieb, auch wenn er die Form als Vierzeiler nicht mehr eingehalten hat:
Ich sitze am Straßenhang.
Der Fahrer wechselt das Rad.
Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.
Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.
Warum sehen ich den Radwechsel mit Ungeduld?
Besonders bekannt ist der oben dargestellte Priamelvierzeiler besonders durch die Kritik Martin Luthers daran geworden, der der Meinung war, das sei ein Reim der Gottlosen. In der Epistel des Propheten Jesaja schreibt er: ein Christ weiß wol, wo er hin feet, nemlich ynn einen vaterschos,
und hat die 2 letzten Verse des Priamels so geändert:
Ich fahr und weis, gott lob, wohin
Mich wundert, daß ich trawrig bin.
So waren die beiden Varianten des Priamels auchThema von Konversionsschriften von Personen, die vom katholischen Glauben zurück zum evangelischen wechseln wollten. Es ging um die Überzeugung der Richtigkeit der Lehre und um den Beweis der gewandelten inneren Gesinnung der Konvertiten.
Der Vierzeiler war zu vielen Zwecken zitierbar, als Argument, Kommentar, usw. auch als Sprichwort mit erzieherischem Ratschlag, etwa wie dieser:
Dan sich ein Junger zweig last biegen
Wie du wilt nach deinem begniegen
Wan er aber wachst zu eim baum
so magst du ihn nicht mehr biegen kaum.
Priamelvierzeiler sollten, so ähnlich wie die Vielzahl von Sprichwörtern und Redewendungen, als eine Variante von Kurzformen der Sprache häufiger gepflegt werden. So wie es nicht nur aus unserer Vergangenheit Redewendungen gibt, so können sie auch heute noch neu entstehen, wie etwa die Aussagen:
Mich laust der Affe!
oder etwas grob:
Mir geht der Arsch auf Grundeis!
Gefallen Ihnen die folgenden Priamelvierzeiler?
Ich geniesse, esse und trinke gerne.
Ich bin glücklich, wenn ich lerne.
Warum kann ich nicht sagen.
Ich muss mich eben ertragen!
Nach Rauschgift bin ich süchtig.
Beim Heroinspritzen bin ich tüchtig.
Das ist das einizige, was ich kann.
Mein Leben ist mein Leben, und ich hänge dran!
Wenn ich lache, dann bin ich es nicht.
Manche erkennen es an meinem Gesicht.
Ich spiele allen eine Rolle vor,
weil ich vor Jahren mich selbst verlor.
Es ist so mühselig, um zu denken.
Ich will mich auch nicht zu sehr verrenken.
Ich will in den Tag hinein leben.
Das ist mein ganzes Bestreben.
Ich lebe mein Leben in konzentrischen Kreisen.
Ich muss mich immer wieder beweisen.
Und wenn ich den äußeren Rand erreiche,
beende ich mein Leben als eine Leiche.
Ich bin sicher, Ihnen fallen weitere (bessere) Priamel ein!
Ich würde mich über Zuschriften freuen! Den nach meiner persönlichen Meinung schönsten Priamelvierzeiler belohne ich (in den nächsten 2 Monaten) mit einem Buchgeschenk! (Bitte erlauben Sie ausdrücklich die Veröffentlichung auf dieser Website!!) Sie werden sehen, es macht Spaß!
Quellen:
Jürgen Mucha, et.al. Hrsg., Konfession und Sprache in der Frühen Neuzeit, Waxmann Verlag, München, 2012, S.94ff.
Walter Haug und Burghart Wachinger, Hrsg. Kleinstformen der Literatur:hier besonders: Gerd Dicke, Mich wundert, das ich so fröhlich pin - Ein Spruch in Gebrauch, S.56ff., Max Niemeyer Verlag, Tübingen, 1994
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