Textatelier
BLOG vom: 19.06.2019

„Paradiesäpfel“ für Übergewichtige und Magenkranke

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D

 


Grüne und reife Tomaten (Foto Elisabeth Faber)
 

„Die Tomate ist weder eine Frucht, wie man uns sagt, noch ein Gemüse, wie man uns glauben machen will. Der betörende Reiz ihres Geschmacks liegt ganz und gar in dieser verstörenden Ambivalenz von saurem Salz und bitterem Zucker begründet, der im Mund explodiert, wenn man hineinbeisst.“
Pierre Desproges (1939-1988)

„Des Schweizers liebste Beere“, so bezeichnete Barbara Hofmann die Tomate in der Schweizer Zeitschrift „Natürlich“. Die Tomate hat sich zum begehrtesten Gemüse nicht nur in der Schweiz, sondern auch in anderen europäischen Ländern gemausert. Streng botanisch gesehen ist sie eigentlich eine Beerenfrucht.

Man kann es kaum glauben: 300 Jahre wurde die Tomate von Nord- und Mitteleuropäern regelrecht verschmäht. Sie galt als giftig und kam deshalb nur als Zierpflanze zu Ehren.

Es waren spanische und portugiesische Seefahrer, die im 16. Jahrhundert die Tomate, die Kartoffel und den Tabak aus der Neuen Welt nach Europa brachten. Die für europäische Augen  sehr sonderbare Tomate fand zuerst bei den Italienern und Spaniern Liebhaber. 1551 bereits wurden in Italien die ersten Tomaten angebaut (40 Jahre später folgte die Kartoffel).

Die roten Früchtchen wurden übrigens schon zu jener Zeit „Paradiesäpfel“ und „Liebesäpfel“ genannt.

Erst im 19. Jahrhundert eroberte die Tomate allmählich die ganze Welt. Fast überall auf der Welt wird die Tomate angebaut. Sogar in kalten Gebieten gedeiht sie prächtig in Gewächshäusern.

1990 schrieb ich im „Natürlich“-Artikel, dass die jährliche Weltproduktion auf 50 Millionen Tonnen angestiegen ist. Heute liegt die weltweite Produktion bei 130 Millionen Tonnen. China ist mit 40 Millionen Tonnen der grösste Erzeuger (Europa: 16 Millionen Tonnen).

Die Frucht ist deshalb so populär, weil sie wohlschmeckend und universell in der Küche einsetzbar ist. Aber auch der gesundheitliche Wert ist nicht zu unterschätzen. Die kalorienarme Frucht wirkt mild abführend, entwässernd und appetitanregend.

Reichlich Carotin
Welche Inhaltsstoffe hat uns die Tomate zu bieten? Die wichtigsten und interessantesten sind folgende: Zitronensäue, Apfelsäure, Frucht- und Traubenzucker, Aminosäuren, Saponine, Aromastoffe, die Mineralstoffe Kalium (240 mg/100 g), Magnesium, Calcium, Eisen, Zink, Phosphor, B-Vitamine, Vitamin E und Vitamin C (19 mg/100 g) und Carotinoide. Die Carotinoide verleihen der Tomate die rote Farbe. Das wohl bekannteste Carotinoid ist das Beta-Carotin (Provitamin A). Dieses wird in der Darmschleimhaut in Vitamin A umgewandelt.

 


Tomatenblüte (Foto Elisabeth Faber)
 

Zähigkeit und gute Nerven
„Die Italiener, die vielleicht am meisten Tomaten essen, verdanken ihr eine gute Konstitution. Das hohe Alter der Bulgaren, ihre guten Nerven und körperliche Zähigkeit werden ebenfalls auf die regelmässige Ernährung mit Tomaten, Knoblauch und Zwiebeln zurückgeführt“, meint Hugo Hertwig in seinem Kräuterbuch.  Maurice Mességué empfahl Tomatensaft allen Gicht- und Rheumakranken (täglich ein grosses Glas). Tomatensaft ist ein ideales, wohlschmeckendes, sättigendes und kalorienarmes (17 kcal = 74 kJ pro 100 g) Getränk für Übergewichtige. Auch bei Magenbeschwerden und Bluthochdruck leistet der Saft Gutes.

Auch für die Haut gut
Fruchtfleischmasken sind zu empfehlen bei welker, schlaffer und müder Haut. Die Tomate, innerlich und äusserlich angewendet, wirkt sich also äusserst günstig auf das Hautbild aus. Man hat festgestellt, dass ein Carotinoid (Lycopin) sich in der Haut anreichert. Dieser Stoff macht die durch UV-Strahlung ausgelösten freien Radikale unschädlich. Somit wird die Hautalterung verzögert und das Risiko für ein Melanom verringert.

Tomaten: ein rotes Tuch für den Krebs
Prof. Dr. med. Richard Béliveau und Dr. med. Denis Gingras weisen in ihrem Buch „Krebszellen mögen keine Himbeeren“ auf das besonders in Tomaten vorkommende Lycopin hin. Es weist ein krebshemmendes Potential auf. Die krebshemmende Wirkung des Lycopins (ein Carotinoid) ist am effektivsten, wenn die Tomate zusammen mit Fett (am besten Olivenöl) gekocht wird. Am meisten Lycopin sind in Tomatenmark, Tomatensaft, Ketchup und Tomatensosse vorhanden. Durch das Aufkochen werden die Zellstrukturen aufgebrochen und das Lycopin freigesetzt. Auch Fette erhöhen die Verfügbarkeit von Lycopin. Bei Ketchup muss man beachten, dass dieser aus einem Drittel aus Zucker besteht. Also lieber Tomaten passieren, aufkochen oder Tomatensosse verwenden. Wir haben uns für die italienische Tomatensosse in Glasflaschen oder ganze Tomaten in Dosen entschieden. Da wird garantiert, dass die Tomaten sonnengereift sind.

Untersuchungen ergaben, dass es zu einer Senkung des Krebsrisikos durch Tomaten kommen kann. Hier die Ergebnisse: Senkung des Krebsrisikos der Niere ca. 40 %, der Prostata 35 % und der Brust um ca. 24 %. Die meisten Untersuchungen liegen beim Prostatakrebs vor.

Man weiss heute noch nicht, welcher Mechanismus das Risiko eines Prostatakrebs verringern kann. Lycopin könnte Enzyme hemmen, die am Wachstum der Krebszellen verantwortlich sind.

Anmerkung: Elisabeth Faber, eine exzellente Hobbyfotografin, hat für das Textatelier die Tomate von der Blüte bis zur Frucht abgelichtet.

Literatur
Béliveaur, Richard; Gingras, Denis: „Krebszellen mögen keine Himbeeren“, Goldmann Verlag, München 2018.
Busse, Wolfgang; Scholz, Heinz: „Das ABC der Vitalstoffe“, Haug Verlag, Heidelberg 2001.
Hofmann, Barbara: „Des Schweizers liebste Beere: die Tomate“, „Natürlich“, Nr. 8/1990.
Krieger, Verena: „Verliebt in Liebesäpfel“ (Rezepte), „Natürlich“, Nr. 8/1990.
Scholz, Heinz: „Paradiesäpfel für Magenkranke und Übergewichtige“, „Natürlich“, Nr. 8/1990.

 


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