Manche Heilpflanzen sind im Bestand gefährdet
Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim
Der Weltnaturschutzverein (IUCN) schätzt, dass 20 % der 400 000 Pflanzenarten weltweit bedroht sind. 70 000 werden medizinisch genutzt. Dann wären 14 000 Heilpflanzenarten in ihrem Bestand gefährdet. Es sind dabei auch solche aufgeführt, die einen geringen Gefährdungsgrad aufweisen.
Bestimmte Heilpflanzen sind hier sehr beliebt und sehr gefragt. Viele der Pflanzen werden aus der Natur entnommen, so stammen 60 bis 90 % aus Wildsammlung. Die Naturbestände werden durch den Klimawandel, die intensiven Landwirtschaft, Abholzung von Wäldern oder durch Besiedlung knapp. Um den Bedarf zu gewährleisten, werden bestimmte Pflanzen in Kulturen angebaut. Dr. Uwe Schippman, früher für den Artenschutz am Bundesamt für Naturschutz tätig, erklärte in der „Apotheken Umschau“ (02/20), dass zahleiche Arten sich nicht für den Anbau eignen oder wirtschaftlich ein Anbau nicht möglich ist. „Dies ist der Fall, wenn zum Beispiel nur sehr kleine Mengen gebraucht werden, die sehr spezielle Standortbedingungen benötigen oder sehr anfällig für Schädlingsbefall sind.“
Heilpflanzenexperte Bruno Vonarburg aus Teufen schrieb mir, dass die Düngung von Alpwiesen ständig zunimmt und Strassen bis weit in die Höhen ausgebaut werden. „Dies führt dazu, dass die Weiden immer mehr gedüngt und bestellt werden. Empfindliche Pflanzen wie Arnika und Wiesenschlüsselblumen sterben immer mehr ab. Auch beim Enzian gibt es Rückgänge. Der Mäusedorn in der Südschweiz behält die üblichen Standorte in den Buchen-Edelkastanienwäldern.“
Apotheker Frank Hiepe von Zell im Wiesental, sieht die Ursache des Rückgangs bestimmter Heilpflanzen zum Teil in der künstlichen Düngung und der Anwendung von Ungeziefervertilgungsmitteln.
Einige der gefährdeten Arten werde ich in diesem Blog näher beschreiben.
Arnika
Wirkung/Anwendung: Arnika wirkt entzündungshemmend, durchblutungsfördernd, schmerzlindernd und antiarthritisch. Äusserliche Anwendung: Tinktur, Salbe, Frischpflanzen-Gel (z.B. das A. Vogel Rheuma-Gel) bei Rheuma, Arthritis, Kniegelenksarthrose, Hexenschuss, Gicht, Muskelschmerzen, Verstauchungen, Quetschungen, Blutergüsse, Prellungen, Schleimbeutel-, Sehnenscheiden- und Venenentzündung. Der jährliche Bedarf in Deutschland wird auf 50 000 Kilogramm geschätzt.
Gefährdung des Bestands: In manchen Gegenden des Schwarzwaldes gibt es noch ausreichend Bestände. Marlies Müller teilte mir mit, dass es im letzten Jahr massenhaft Arnika in Ibach gab.
2009 sahen wir auf einigen grossen Wiesen bei Herrenschwand Tausende von Arnikablüten. Die Landwirte hatten die Arnikawiesen nicht gedüngt und in Ruhe gelassen. Gedüngte Wiesen mag sie gar nicht. Die Bestände gingen aufgrund der intensiven Viehwirtschaft in vielen Gebieten zurück (einige Jahre später sahen wir an denselben Stellen kaum noch Pflanzen). Vor über 100 Jahren wuchs die Pflanze noch in Tieflagen von 100 m (Rheinebene bei Schwetzingen), heute reichen die Vorkommen kaum unter 500 m herab. Der höchste Fundort in unserer Gegend liegt bei 1420 Höhenmeter am Feldberg (Schwarzwald).
Die Arnika ist jedoch fast überall in Europa bedroht, besonders dort, wo intensive landwirtschaftliche Nutzung erfolgt.
Anbauleiter Andreas Ryser von der A. Vogel AG, Roggwil TG, weist darauf hin, dass der Anbau in Deutschland und der Schweiz erfolgreich durchgeführt wurde. In meinem Buch „A.Vogel – Aktiv gegen Rheuma“ beschreibe ich ausführlich, wie der Anbau von Bergarnika möglich wurde. Übrigens wird die Wildsammlung aus Rumänien überwacht und ist nachhaltig.
Ginseng
Wirkung/Anwendung: Die Inhaltsstoffe der Wurzel steigern die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit bei Schwäche- und Erschöpfungszuständen. Die Widerstandskraft ganz allgemein und die Anpassung des Organismus bei Stress kann durch die Wurzel günstig beeinflusst werden. Offenbar sind auch die Ginsenoside befähigt, die Konzentration verschiedener Botenstoffe (Serotonin, Dopamin, Noradrenalin) in der Hirnrinde zu erhöhen.
Gefährdung des Bestands: Vor 60 Jahren gingen noch regelmässig 30 000 Menschen in den Wald, um nach der Wildwurzel zu graben. Heute steht Ginseng (Panax ginseng) kurz vor der Ausrottung. Wildvorkommen gibt es noch im Osten von Russland. Ginseng wird heute angebaut in beiden Teilen Koreas, in China, Vietnam, der Ukraine und Japan. Anbauversuche in der Schweiz und Deutschland waren erfolgreich. Infolge des Klimawandels und durch Übernutzung des Amerikanischen Ginsengs könnte er mit einer Wahrscheinlichkeit von 65 % in den nächsten 70 Jahren aussterben.
Gelber Enzian
Wirkung/Anwendung: Die Wurzel ist hilfreich bei Magenschwäche und mangelhafter Magensaftbildung, Appetitmangel, Blähungen, Krampf- und Erschlaffungszustände von Magen und Darm.
Gefährdung des Bestands: Der geschätzte Weltbedarf der Rohdroge liegt bei etwa 6000 Tonnen frische Wurzel. In manchen Gegenden von Deutschland ist der Bestand stark zurückgegangen. In Portugal ist der Gelbe Enzian ausgestorben, in Bulgarien, Albanien, Italien, Sardinien, Sizilien, Slowenien, Bosnien-Herzegowina, Rumänien ist der Bestand gefährdet. In manchen Gegenden wurde der Enzian erfolgreich ausgesät.
Schlüsselblume
Wirkung/Anwendung: Die Inhaltstoffe entfalten eine schleimlösende, entzündungshemmende und auswurffördernde Wirkung. Tee und Tinktur werden bei Erkrankungen der Atemwege, bei Husten und chronischer Bronchitis eingesetzt.
Gefährdung des Bestands: Der hohe Bedarf wird durch Wildsammlung gedeckt. Ein großer deutscher Händler importiert 10 000 Kilogramm Schlüsselblumen, was etwa 30 Millionen Blüten entspricht.
Die Pflanze ist bereits selten oder vor dem Aussterben bedroht. In 6 deutschen Bundesländern ist die Pflanze potenziell gefährdet bis stark gefährdet und in Weissrussland ist sie vom Aussterben bedroht, in Schweden gefährdet.
Echte Bärentraube
Wirkung/Anwendung: Die Echte Bärentraube ist in Präparaten gegen entzündliche Erkrankungen der Harnwege enthalten. In der Schweiz gibt ein pflanzliches Arzneimittel (Tropfen) aus frischen Bärentraubenblättern und -Triebspitzen mit dem blühenden Kraut von Sonnenhut (Cystoforce®).
Gefährdung des Bestands: In Teilen Europas ist die Art stark gefährdet (Deutschland, Holland) oder vom Aussterben bedroht (Kroatien, Albanien). In Deutschland ist die Pflanze besonders geschützt.
Stechender Mäusedorn
Wirkung/Anwendung: Die Inhaltsstoffe wirken entwässernd, gefässverengend und entzündungshemmend. Die Heilpflanze wird bei Durchblutungsstörungen und Hämorrhoiden eingesetzt.
Gefährdung des Bestands: In Bosnien-Herzegowina vom Aussterben bedroht, in Türkei und Russland stark gefährdet und in Ungarn gefährdet.
Teufelskralle
Wirkung/Anwendung: Inhaltsstoff wirken entzündungshemmend, schmerzlindernd und knorpelschützend. Präparate (z.B. A. Vogel Rheuma-Tabletten) eignen sich zur unterstützenden Behandlung von Schmerzen bei Verschleisserkrankungen des Bewegungsapparates, z. B. bei Arthrosen, verschleissbedingten Gelenkbeschwerden und chronischen Rückenschmerzen.
Gefährdung des Bestands: Die Teufelskralle gedeiht in sandigen Steppenregionen in Namibia, Botswana, Südafrika, Angola. Nur die Knollen der sekundären Speicherwurzeln sind medizinisch nutzbar, die Knollen reichen bis in anderthalb Meter Tiefe.Es gibt Sammler, die die Speicherwurzeln abschneiden und den Rest achtlos wegwerfen. Da die Teufelskralle auf der ganzen Welt bei Rheuma und Gelenkbeschwerden sehr gefragt ist, kommen hemmungslose Plünderungen vor. Der Bestand ist gefährdet.
Die Firma A. Vogel baut in Südafrika und auch in Namibia die Teufelskralle in Kulturen an, um die Wildbestände zu schonen.
Internet
www.avogel.ch
www.gesundheits-nachrichten.ch
www.wwf.ch/de
Literatur
Adam, Aglaja: „Natürlich, gesund – und bedroht“, „Apotheken-Umschau“, 02/20.
Scholz, Heinz: „A.Vogel – Aktiv gegen Rheuma“, Verlag A. Vogel, Teufen, 2. Auflage 2006.
Scholz, Heinz; Hiepe, Frank: „Arnika und Frauenwohl“, Ipa-Verlag, Mühlacker/Mühlhausen, 2. Auflage 2013.
WWF: Einzeldarstellungen der bedrohten Arten, Autoren: Ernst Meier, Jürgen Matijevic, Sten Porse.
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