Sind wir schon im Zeitalter der Pandemien?
Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim
«Viren sind unsere einzigen und echten Rivalen um die Herrschaft über den Planeten. Wir müssen auf Draht sein, um mit ihnen Schritt zu halten», bekennt Medizinnobelpreisträger Joshua Lederberg.
Wissenschaftler sind sich einig. Sars-CoV-2 wird nicht der letzte Pandemieerreger sein. Bevor die jetzige Pandemie beleuchtet wird, lohnt sich ein Blick zurück. Es gibt nämlich Parallelen zur Spanischen Grippe. Hoffentlich lernen wir aus den damaligen Fehlern und Erkenntnissen, es heute besser zu machen.
Spanische Grippe
Das damalige Virus wurde vom Wildtier (Enten) auf Nutztiere und dann auf den Menschen übertragen. Entscheidend war der enge Kontakt mit den Tieren. Es gab bezüglich Ursachen einige Versionen. Laut BBC/ZDF-Filmbericht über die Pandemie war Patient „0“ ein infizierter Landarbeiter aus Kansas, der zum Militärdienst eingezogen wurde. Im März 1918 verbreitete sich die Infektion im militärischen Camp innert 3 Wochen. Es erkrankten 1100 Soldaten, 38 starben. Durch Militärtransporte wurde das Virus nach Europa verbreitet. So waren auf einem Schiff 9000 Soldaten, davon erkrankten 2000. Viele Soldaten starben in den Schützengräben. Weltweit verbreitete sich das Grippevirus innert einiger Monate. Insgesamt forderte die Mutter der Pandemie mindestens 50 Millionen Tote. Damals gab es drei Wellen. Nach der ersten Welle (Frühjahr und Sommer 1918) glaubten die Menschen, die Pandemie wäre vorbei, dann kamen die 2. Welle („Herbstwelle“ 1918) und die 3. Welle (lokale Welle 1919/1920). Besonders in den USA gab es folgende Gegenmassnahmen: Quarantäne sämtlicher Schiffe mit Erkrankten, Vermeidung von Massenansammlungen, Reinigung von Mund, Haut, Kleidung, das Öffnen von Fenstern, einige Städte ordneten das Tragen von Mundschutz und Schulschliessungen an. In New York wurde das Spucken auf die Straße unter Strafe gestellt. Auch Ärzte und Pflegekräfte trugen Masken. Da es damals keinen Impfstoff gab, konnten die Ärzte nur die Symptome der Krankheit lindern. Eine Besonderheit war, dass 20- bis 40-Jährige der Krankheit erlagen.
Die Bezeichnung „Spanische Grippe“ wurde gewählt, weil das neutrale Spanien im Ersten Weltkrieg zuerst über die Pandemie berichtete. Andere Länder unterdrückten das Ausmass der Pandemie.
https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/spanische-grippe-das-geheimnis-des-killer-virus-102.html
Zeitalter der Pandemien
Der international renommierter Prof. Dr. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung zeigt in seinem hervorragenden Buch „Die Triple Krise“, wie Pandemien, Artensterben und Klimawandel in einer grossen globalen Krise zusammenhängen. Sein dringender Aufruf: Nur wenn wir die Natur schützen, schützen wir uns selbst! „Das ist mein Appell: Helfen Sie mit, den blauen Planeten zu bewahren – bevor der letzte Schmetterling stirbt!“
Prof. Settele erwähnt, dass 70 % der Erreger, die dem Menschen schaden können, von Insekten und Wirbeltieren stammen. So sind die oft tödlichen Krankheiten Malaria, Aids, Ebola, MERS-CoV, SARS, Influenza wie die Schweinegrippe H1N1 und die Vogelgrippe H5N1 von Tieren übertragen worden. So wurde zum Beispiel Ebola in Westafrika 2014 durch den Kontakt zwischen spielenden Kindern und einer Angola-Bulldoggfledermaus ausgelöst. Heute geht man davon aus, dass in Wuhan die Covid-19-Erkrankung durch einen Virus von einer Fledermaus ausging. Über einen Zwischenwirt (anderes Säugetier) wurde das Virus auf die Menschen, die auf Märkten einkauften, übertragen. Auf solchen Märkten werden unter fragwürdigen hygienischen Bedingungen Flughunde, Schuppentiere und Affen angeboten. Wildtiere sind in Asien eine Delikatesse.
Man soll nicht nur auf Wuhan zeigen, auch die westliche Welt hat Brutstätten für Zoonosen (Infektionskrankheiten, die von Tier zu Mensch oder von Mensch zu Tier übertragen werden). Auf Grund der Massentierhaltung, bei der viele Tiere unnatürlich gedrängt im Stall stehen, können Virenerkrankungen ausgelöst werden.
Artensterben, Klimawandel
Das Artensterben und der Klimawandel begünstigen die Entstehung von Pandemien. Prof. Settele ist überzeugt, dass in Dschungel noch viele Viren warten. Durch Abholzungen der Regenwälder und Brandrodungen kommen immer mehr Tiere in Städte und Dörfer. Durch Kontakt mit dem Menschen entstehen neue Zoonosen und auch Pandemien. Beispiel: Nach Abholzungen und Brandrodungen in Brasilien zogen verschiedene Nagetiere (z.B. Ratten) in die Wohnsiedlungen und übertrugen Hantaviren auf den Menschen. Zu Infektionen kam es durch direkten Kontakt mit Fäkalien, Speichel oder Urin infizierter Tiere. Auch das Einatmen von Exkrementenstaub verursachte das Hantafieber.
Viele Tier- und Pflanzenarten sind schon ausgestorben oder vom Aussterben bedroht. Was passiert? Es kommen zu uns sogenannte Neophyten (gebietsfremde Pflanzen) und Neozoen (gebietsfremde Tiere) zu uns, die sich bei wärmeren Temperaturen hier wohlfühlen. Die Neophyten verdrängen einheimische Pflanzen, während Neozoen Krankheitserreger mitbringen. Früher war es so, dass gebietsfremde Insekten und andere Tiere die kalte Jahreszeit nicht überlebten. Durch die milden Winter bedingt, siedeln sich Neozoen an. Hier einige Beispiele: Stechmücken übertragen Malaria, Gelbfieber, Denguefieber. Als bestes Beispiel der Anpassung ist die Asiatische Tigermücke. Sie kann Dengue-, Zika-Fieber übertragen. 2019 wurden durch Mücken verursachte West-Nil-Virus-Infektionen in Deutschland und Frankreich nachgewiesen. Die Asiatische oder Japanische Buschmücke ist mittlerweile in ganz Österreich vorhanden. Eingewandert ist auch die Koreanische Buschmücke. Nach Übertragung des Erregers beobachtet man eine Gehirnentzündung und das Chikunguny-Fieber. „Auch die Sorge, dass in Europa wieder ein Malaria-Problem bekommen könnte, ist berechtigt“, so Prof. Settele.
Erst kürzlich wurde der Japan-Käfer in einer Pheromonfalle am Freiburger Güterbahnhof und erstmalig in Basel nachgewiesen. Der Japankäfer ist ein gefürchteter Schädling. Er macht sich an Bäumen, Sträuchern, Obstbäumen und Weinreben ran. Er ist ein gefräßiger Krabbler.
Prof. Mettenleiter über Zoonosen
Prof. Dr. Thomas Mettenleiter erwähnt unter www.leopoldina.org, dies: „Das Risiko für neue Zoonosen ist durch unsere modernen Lebensverhältnisse gestiegen. Faktoren wie Naturzerstörung, Mobilität, weltweiter Warenaustausch oder Bevölkerungswachstum begünstigen die Entstehung und Ausbreitung von Zoonosen. Der Mensch dringt in Ökosysteme ein und in Gegenden mit schlechten sozioökonomischen Verhältnissen leben Mensch und Tier oft armutsbedingt sehr eng zusammen. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Erreger auf den Menschen überspringen und diesen befallen. Durch globale Vernetzung, internationale Transportwege und Reisen verbreiten sich die Erreger dann sehr schnell.“
Was meint Greenpeace?
Fachleute von Greenpeace betonen eindrücklich, dass man die Abholzung der Regenwälder stoppen, die Artenvielfalt schützen, den Wildtierhandel einschränken und die Massentierhaltung beenden soll.
Schlussbemerkung
Wir sind bereits im Zeitalter der Pandemien. Haben wir von der Spanischen Grippe was gelernt? Das wird bezweifelt. Wir haben die Impfung, aber es gibt oft verschiedene Aussagen über das Virus, den Mutationen und den Impfstoffen von Virologen und Politikern. Auch fehlte die klare Darstellung von Pro und Kontra über die Medien. Viele Menschen waren verunsichert und so mancher fiel auf Fake-Nachrichten und Verschwörungstheorien herein. Diese Menschen bezweifelten sogar die Existenz des Erregers und waren mit diversen Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie nicht einverstanden. Auch während der Spanischen Grippe gab es Andersdenkende. So verhinderten einige Schuldirektoren die Schliessung ihrer Schulen. Als die 1. Welle vorbei war, wurde man nachlässig. Dann kamen die weiteren Wellen mit aller Wucht. Heute können wir jedoch vieles tun, um künftige Pandemien hoffentlich einzudämmen oder zu verhindern. Eine Leserin schrieb mir, sie könne sich nicht vorstellen, dass in Zukunft eine Pandemie verhindert werden kann. - Auf jeden Fall gibt es sehr gute Empfehlungen zur Verhinderung von Pandemien. Ich gebe die Hoffnung nicht auf.
Zum Schluss ein Zitat vom Waldexperten Christian Thies von Greenpeace, das wir uns zu Herzen nehmen sollten:
„Konsequenter Naturschutz ist eine Lebensversicherung für Mensch und Tier.“
Internet
www.leopoldina.org
www.nabu.de
www.netdoktor.de
https://gpn.greenpeace.de/ausgabe/03-20/todliche-viren/
Literatur
Settele, Josef: „Die Triple Krise“ (Artensterben, Klimawandel, Pandemien. Warum wir dringend handeln müssen), 3. Auflage, Edel Verlag, Hamburg 2021.
Fux, Christiane: „Das Zeitalter der Pandemien“, NetDoktor, 19. Oktober 2021.
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