Tannenblut – Medizin für Atemwegskranke
Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim
Vor über 100 Jahren entwickelte der Häger Landpfarrer Josef Hurst und der Zeller Apotheker Dr. Eduard Hiepe den Tannenblut-Sirup. Er war ein wirksames Heilmittel für Arbeiterinnen und Arbeiter der Textilindustrie, die als Folge von Staub und Flusen unter Atemwegserkrankungen litten.
Anlässlich einer Kräuterführung in Gersbach gab Apotheker Frank Hiepe von Zell umfassend Auskunft über die Wirkung von Heilpflanzen des Schwarzwalds. Bei dieser Gelegenheit erzählte er eine interessante Geschichte über seinen Großvater Eduard Hiepe (1870-1947). Dieser entwickelte auf Veranlassung des in Häg wirkenden Landpfarrers Josef Hurst (1885-1931) 1920 ein Heilmittel für die Frauen und Männer der Textilindustrie. Hurst erlebte, wie Menschen, in der aufblühenden Textilindustrie ihr Einkommen fanden, durch Staub und Flusen unter erheblichen Atemwegserkrankungen litten. Oft kam es zu chronischen Reizungen, Husten und Bronchitis. Zu jener Zeit waren Arbeitsschutzmaßnahmen noch weitgehend unbekannt. Entsprechende Heilmittel und Ärzte gab es damals wenige, oft waren diese für den einfachen Arbeiter unerschwinglich. Es war deshalb ein besonderes Anliegen des Pfarrers, ein für die Beschäftigten ein preiswertes, gut wirksames und verträgliches Heilmittel herzustellen.
Schwarzwälder Zutaten
Pfarrer Hurst besann sich eines Rezeptes seines berühmten Amtsbruders Sebastian Kneipp aus Wörishofen für einen Bronchialsirup. Er veränderte das Rezept und versah es insbesondere mit Schwarzwälder Zutaten, wie maigrüne Tannenspitzen, spezielle Kräuter und Tannenhonig. Für die technisch-pharmazeutische Seite der Sirup-Herstellung sah sich der Pfarrer nah einem Fachmann um und fand ihn im damaligen Zeller Stadtapotheker Dr. Eduard Hiepe. Dieser wusste, wie vorzugehen ist, damit alle Inhaltsstoffe gleichmäßig verteilt sind und das Endprodukt auch haltbar ist. Die eigentliche Herstellung aber erfolgte über Jahre hinweg im Pfarrhaus in Häg. „Pfarrer Hurst´s Tannenbalsam“, später umbenannt in „Tannenblut“, war weithin bekannt und beliebt. Man kann sich gut vorstellen, welche Wohltat der Sirup für die hustende und schwer arbeitenden Menschen der damaligen Zeit brachte.
Nach Pfarrer Hurst´s Tod übernahm 1936 Anton Hübner (1901-1981) mit seiner Frau Klara Hübner in Ehrenkirchen-Kirchhofen bei Freiburg Herstellung und Vertrieb des Hustensaftes. Den Tannenblut Bronchial-Sirup gibt es heute noch. Es ist ein natürliches Mittel bei Erkältungen, Grippeerkrankungen, Heiserkeit und bei Husten. Der Sirup unterstützt die Schleimlösung in Rachen, Hals und Bronchien, wirkt schleimlösend, reinigt die Atemwege. Der Sirup enthält heute Wirkstoffe aus ätherischen Ölen junger Triebe von Nadelbäumen, Salbeiblättern, Pfefferminzblättern, Thymian, Fenchel, Anis, Primelwurzeln, Spitzwegerichkraut und Honig. Eine solche Kräuterkombination enthält u.a. viele ätherische Öle, die Reizungen in Hals, Rachen und Bronchien lindern.
Eines der ältesten Arzneimittel
Tannenblut ist eines der ältesten Arzneimittel Deutschlands und wird in viele Länder vertrieben. Inzwischen gibt es ein Tannenblut-Bad, Hustenbonbons und ein Biokräuter-Tonikum mit Honig.
Ein Enkel von Eduard Hiepe, Apotheker Frank Hiepe, war jahrelang als Kontrollleiter bei Hübner mitverantwortlich für die gleichbleibende Qualität der pflanzlichen Arzneimittel, diätetischen Lebensmittel und Körperpflegeserien.
Während einer Naturheilpflanzenwoche 2013 bei Hübner bewunderte ich einen 600 Liter fassenden kupfernen Tannenblut-Destillationskessel im Freien. Insgesamt wurden von 1955 bis 2002 Millionen Liter des Tannenblut-Bronchial-Sirups mit dieser Destille hergestellt. Ausgemustert wurde das Gerät aus arzneimittelrechtlichen Gründen. Heute stehen moderne Destillationsapparate in der Produktion.
Literatur
Kleinhans, Claudia: „Gesundheit aus dem Schwarzwald für Menschen weltweit“, „Badische Zeitung“, 12.11.2021.
Scholz, Heinz: „Preiswerte Heilung für kranke Textilarbeiter“, „Badische Zeitung“, 24.01.2023.
Siebold, Heinz: „Ehrenkircher Tannenblut für das Wohl der Welt“, „Badische Zeitung“, 03.01.2006.
Hübner: „Wie alles begann“ (kurze Unternehmensgeschichte),
Wiesentäler Textilmuseum, Zell im Wiesental: „Der Meister schnauzt“ (Arbeitsleben anno dazumal.
Internet
www.badische-zeitung.de
https://huebner-vital.com
www.wiesentaeler-textilmuseum.de
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