Textatelier
BLOG vom: 07.06.2024

Fasten bis zum Tode – ein heikles Thema, der Reflexion würdig

 

Autor: Pirmin Meier, Historiker und Schriftsteller, Aesch/LU

 

Auf einer katholischen Website https://www.swiss-cath.ch/ wurde, eine dort sicher angemessene Fragestellung, über die aktive Sterbehilfe kontrovers diskutiert. Ein Teilnehmer verwies auf die kritische Situation in Pflegeheimen und bei Pflegeberufen, auch dass er es ein für allemal für sich nicht wünschen würde, wie dort üblich behandelt zu werden einschliesslich zweimal täglich Windeln wechseln usw. Unten meine Antwort, wobei ein weiterer Blogteilnehmer fragte, was ich über Heilige wisse, die angeblich verhungert seien. Die Ausführungen dazu dürften auch die Leserschaft des Textateliers interessieren, zumal dessen Gründer Walter Hess sich intensiv mit Grenzfragen der Gesundheit auseinandergesetzt hat, sich für unbefangene kritische Überlegungen offen zeigte, abgesehen von seiner religionskritischen Einstellung. In Sachen Beschäftigung mit Heiligen habe ich als Autor von einschlägigen Biographien es regelmässig allen Seiten «nicht recht» gemacht. Ich schloss das Ausserordentliche nicht aus, unter Betonung von Goethe und Paracelsus: «Geheimnisse sind keine Wunder.».   

Ich wäre eigentlich mit allem, was der Kritiker der Verweigerung von Sterbehilfe anbringe, einverstanden, antwortete ich ihm, nur schlösse ich für mich einen Abgang unter Bedingungen heutiger herkömmlicher Heime aus. Zumal möchte ich vor der staatlichen Übernahme dieser elementarsten Aufgabe der Lebensbewältigung warnen. Es gibt hier Kompetenzen, von denen mit Sicherheit feststeht, dass sie missbraucht werden, und sei es auch nur, weil man dieser Aufgabe auch geistig-moralisch nicht gewachsen ist unterhalb des Niveaus sagen wir mal von Mutter Teresa. Es redet ihnen übrigens auch heute schon niemand rein bei solchen Entscheidungen, etwa, wenn Sie darauf verzichten wollten, Nahrung zu sich zu nehmen, eine Sterbemethode von nachweisbar mehreren Heiligen, die man auch in gesunden Tagen trainieren kann. Dies nur ein Beispiel.

Abgesehen von Pater Maximilian Kolbe wissen wir, dass die heilige. Katharina von Siena im Alter von 33 Jahren die Nahrungsaufnahme eingestellt hat, was bei ihr tödliche Folgen hatte, dasselbe bei der Niederländerin Lidwina von Schiedam, auch die gute Beth von Reute, seliggesprochene Heilige des Konzils von Konstanz, scheint verhungert zu sein, ein Spezialfall von heiliger Anorexie ist und bleibt Bruder Klaus, worüber sich auch C.G. Jung interessant geäussert hat; schrieb selber ca. 100 Seiten zum Thema in meiner bekannten noch erhältlichen Biographie, hinter der wie meine heutige Arbeit lebenslange Beschäftigung seit meiner Zeit im Kollegium Sarnen steckt, habe diesbezüglich auch den Zusatzband zu Durrer meines Lehrers P. Rupert Amschwand beraten. Dabei mit dem bestqualifizierten deutschen Fastenarzt, Leiter einer Fastenklinik, mich damals ausgetauscht.

Die Nahrungslosigkeit von Bruder Klaus (1417 – 1487) wurde schon von den Bischöfen von Konstanz im Sinne des Hexenhammers verdächtigt, galt auch nie als Argument für Selig- und Heiligsprechung. Für mich ist sie ein zeichenhaftes Geheimnis, kein Wunder, so wie der Heilige in jeder Art Beanspruchung, besonders der politischen, wohl nicht ganz verstanden bleibt. Davon abgesehen, in keiner Weise Bruder Klaus nachahmen wollend, machte ich schon mehrfach Fastenexperimente, setzte mich auch mit Anorektikern und Anorektikerinnen auseinander. U.a. scheint Kafka verhungert zu sein jenseits seiner Krankheit.

Wenn Sie mal 30kg und mehr abgenommen haben in einer strengen Fastendiät, müssen Sie sich überwinden, wieder normal zu essen. Der Hungertod durch Hungerstreik wäre meines Erachtens absolut schaffbar, dabei klar und eindeutig das Meditieren und sogar bis zu einem gewissen Grade die geistige Klarheit begünstigend. Wie es freilich in der finalsten Phase wäre, kann ich nicht beurteilen. Der Beichtvater von Bruder Klaus erlaubte diesem das Fasten nur, so weit es nicht zum Tode führe. Das Nichtessen von Theresia von Konnersreuth, bei der versteckte Wurstwaren gefunden wurden und die beim Fasten noch zugenommen hat, gehört eindeutig in die Richtung Schizophrenie. Dies schliesse ich bei Bruder Klaus aus.

Das Thema spielt eine weitere Rolle in meinem Lebensprojekt über die Mystik in der Schweiz und im oberschwäbischen Raum. Vor 12 Jahren starb eine sehr edle mir bekannte Frau an den Folgen von Anorexie, die aber in der Endphase in einen gefährlichen Wahn ausartete. Das Thema heilige Anorexie wurde von verschiedenen Forschungskollegen mitbehandelt, u.a. Prof. Dinzelbacher, Salzburg. Er würde es verdienen, vom Vatikan als Experte für Wunder beigezogen werden. Jeremias Gotthelf, der sich weniger mit Bruder Klaus befasst hat als ich, aber ihn genial verstand, bezeichnete sein Nichtessen wie andere auch schon als Leiden. dem er übrigens mit Ehrfurcht begegnete. Wie bekannt, teilte der reformierte Dichterpfarrer auch die damaligen Vorurteile gegen Jesuiten nicht. Wie man sich indes gegenüber allerletzten Fragen stellt, sollte man durch eine kluge, differenzierte aber verständliche Patientenverfügung regeln.

 

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