Textatelier
BLOG vom: 19.06.2005

Der Fingerhut – das Stiefmütterchen in der Märchenwelt

Autor: Emil Baschnonga

Wie stolz und rank sich der Fingerhut jetzt, im Juni, im Garten erhebt und vor allem Hummeln in seine purpurnen Hüte lockt! Diese Hüte benutzen Elfen als Kopfbedeckung. Der Fingerhut ist meine „Pflanze des Monats“.

Die wild wachsende Digitalis purpurea (Roter Fingerhut) ist hoch giftig. In kleinsten Dosen jedoch beleben ihre Glykoside, besonders das Digotoxin, die Herzmuskeln und regulieren den Puls. Der englische Arzt William Withering hat den Fingerhut 1775 als Heilmittel erkannt. Aber das ist nicht mein Fachgebiet, und so schweife ich ab.

Allgemein als „Foxglove“ (= Fuchshandschuh) bekannt, tragen ihn Füchse merkwürdigerweise als Schuhe, um sich auf leisen Sohlen an die Hühner heranzupirschen. Im englischen Volksmund wird der Fingerhut auch „Witches Gloves, Dead Men’s Bells, Fairy’s Glove, Blood Fingers, Virgin’s Gloves“ genannt.

Ich hätte geglaubt, eine Fülle von Sagen und Märchen seien dem Fingerhut gewidmet. Aber ich stöbere umsonst und gebe auf. Vage erinnere ich mich an den Gedichtanfang von Conrad Ferdinand Meyer: „Liebe Kinder, wisst ihr, wo der Fingerhut zu Hause ist?“ Nein, das hat wenig mit meinem Fingerhut zu tun, ausser dass Fingerhut, der „schon in jungen Tagen muss einen Höcker tragen“, einen blauen Fingerhut an seinem Käppchen trug. So bleibt der Fingerhut eigentlich ein Stiefmütterchen in der Märchenwelt.

Ich gehe in den Garten und suche nach einer Geschichte, um ihn zu trösten. Genau ein Dutzend Fingerhüte umringen das alte Klettergestell meiner Kinder.

Einer von ihnen hat exakt dessen Höhe erreicht: 2 Meter. Andere wetteifern mit den wilden Kletterrosen beim Hag. Einige Hummeln sind intensiv beschäftigt. Schon etliche Hüte haben sie, schwer wie sie sind, zum Fallen gebracht. Doch zum Glück erneuert sich die Hutkette, oben am Stängel hochkletternd. Und aus Seitensprossen wachsen ebenfalls neue Blütenzweige nach.

***

Es rieselte, was zwar die Bienen vom Ausflug abhielt, jedoch nicht die Hummeln. „Bummel“ hiess die dickste Hummel und war froh um den Regenschutz, den ihm der Fingerhut in seinen Blüten bot. Bummel musste sich ordentlich anstrengen, um Einschlupf zu gewinnen, von Pollen schwer belastet. Sein Krabbeln im Blütenkelch ärgerte heute einen Fingerhut gewaltig. „Verschwinde“, herrschte er Bummel an, „ich schliesse jetzt den Ausschank.“

„Warum so gehässig?“ brummte Bummel.

„Ich habe noch andere Leute zu bedienen. Die Elfen haben mich um neue Hüte gebeten. Mit deinem dicken Wanst zerreisst du sie mir.“

„Du Undankbarer“, dröhnte diesmal Bummel, halb erstickt in der Blüte steckend, „du willst mich doch nicht erwürgen!“ Arg eingeengt versuchte Bummel umsonst, herauszukraxeln.

Was tun in einer solchen misslichen Lage?

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