Textatelier
BLOG vom: 27.06.2005

Wachau-Urlaub (I): Barocke Pracht und eine Venus

Autor: Heinz Scholz

Im Juni 2005 verbrachten meine Frau Paula und ich eine Woche Urlaub in der Wachau (Niederösterreich). Die Wachau reicht von Melk bis Krems und steht seit dem Jahre 2000 auf der UNESCO-Weltkulturerben-Liste. Dieser herrliche Landstrich an der Donau ist auf Grund des besonders milden Klimas prädestiniert für den Weinbau. In der Wachau, die zu den schönsten Landschaften Österreichs gehört, gedeihen auch die berühmten Wachauer Marillen (Aprikosen). Die malerische Landschaft wurde übrigens auch mit dem Europadiplom als schützenswert ausgezeichnet. Hier findet man eine gute Kombination aus Natur- und Kulturlandschaft. 

In Melk – laut Prospekt das Tor zur Wachau, Freizeitparadies und Kulturidylle – logierten wir in der Hotel-Pension Wachau. Von Melk aus unternahmen wir Fahrten mit dem Auto am Ufer der Donau entlang – hier reiht sich ein idyllischer Weinort an den nächsten. Wir reisten ins Hinterland und entdeckten so manche Kleinode, stille Winkel, blitzsaubere Orte mit schön renovierten Bürgerhäusern, Klöstern, Wallfahrtsorten, Stiften, Burgruinen und Schlössern. Wir trauten unseren Augen nicht, als wir durch Orte mit Namen wie „Am Schuss“, „Obermaumau“ und „Vießling“ fuhren. Beim zuletzt genannten Ort dachte ich mir, man könnte doch an einen Fiesling aus Vießling eine Ansichtskarte senden. Und das ohne Kommentar.

Auf jeden Fall ist die Wachau eine Bilderbuchlandschaft, die einem unvergessen bleibt.

Im Folgenden sind einige interessante Reiseerlebnisse dokumentiert. Viel Vergnügen beim Lesen! 

Melk: Sparsarg und 100 000 Bücher

Nicoletta, unsere Führerin durch die barocke Prachtanlage des Benediktinerstifts, machte uns mit den riesigen Ausmassen dieser Anlage bekannt. Das Stift hat 500 Räume und 1363 Fenster und wurde u. a. aus 9 Millionen Ziegelsteinen erbaut. Zurzeit leben hier noch 33 Mönche. Als ich die Angabe der Anzahl Fenster hörte, konnte ich mich nicht zurückhalten und sagte scherzhaft zu Nicoletta: „Da müssen wohl die Mönche lange arbeiten, um die Fenster auf Hochglanz zu polieren.“ Lächelnd entgegnete die wortgewandte Führerin: „Das tun sie bestimmt nicht, sie müssen unterrichten (im Stift ist ein Gymnasium untergebracht) und beten.“ 

Beeindruckend ist der 196 Meter lange Kaisergang. An den Wänden sah ich Bilder der österreichischen Herrscher von den Babenbergern bis zu den Habsburgern. 

In einem Ausstellungsraum waren einfache Messkleider aus Leder und ein Sparsarg ausgestellt. Der Sparsarg funktionierte so: Die Leiche wurde durch den mit einer Bodenklappe versehenen einfachen Holzsarg gelegt. Dann wurde über dem offenen Grab die Klappe geöffnet und die Leiche sauste in die Tiefe. Der Sarg wurde mehrmals benutzt. Der Sarg und die Messkleider sind Symbolgegenstände aus der Zeit des Josephinismus (1780–1790). Diese Zeit wurde nach dem Sohn Maria Theresias, Joseph II., benannt. Die Reformer kämpften gegen die übertriebene und aufwändige Frömmigkeit. Bald darauf wurden die einfachen Symbolgegenstände wieder durch prachtvollere ersetzt. „Kein Mensch wollte seine Angehörigen in einen Sarg legen, der schon einmal benutzt wurde“, erklärte Nicoletta. Und kein Priester wollte in einem bescheidenen Ledermesskleid herumlaufen, dachte ich. 

Unglaublich schön sind der Marmorsaal und die Bibliothek mit ihren berühmten Fresken. In den 12 Bibliotheken befinden sich 100 000 Bücher (die ältesten sind 400 Jahre alt), 1200 Handschriften vom 9. bis 15. Jahrhundert, 600 Handschriften aus dem 17. und 18. Jahrhundert und 750 Inkunabeln (Wiegendrucke). Im Prunkraum sind noch 2 alte Globen aus dem 17. Jahrhundert zu bewundern. 

Meine Frau wurde regelrecht von der Pracht in den Räumen und der Stiftskirche „erschlagen“, so dass sie in den nächsten Tagen keine Kirche mehr von innen sehen wollte.

Noch ein Nachtrag zum Stift Melk. Hier soll Umberto Eco die Inspiration zu seinem Buch „Der Name der Rose“ laut „ORF-Nachlese“ (2005-6) gehabt haben. 

Beichtglocke und ungewöhnliche Opferstöcke

In „Maria Taferl“, dem zweitgrössten Marienwallfahrtsort in Österreich, entdeckte ich in der Kirche eine Beichtglocke. Darunter stand Folgendes: „Pater kommt! (Priester kommt aus dem Vorhof, bitte einige Minuten Geduld.)“ Da dachte ich mir: Wenn einer seine Sünden schnell los werden wollte, brauchte er nur die Klingel zu drücken, auf den Pfarrer zu warten, ihm sein Herz ausschütten, und nach einigen Vaterunsern als Busse war er sündenfrei. Welch einfache und effektive Einrichtung der katholischen Kirche! 

In der Nähe der Klingel stand ein grösserer Opferstock. Darauf lag ein Holzstab mit der Inschrift: „Papiergeld mit diesem Holz nachstossen.“ Eine bemerkenswerte Aufforderung, möglichst Papiergeld zu spenden! 

In Dürrnstein besuchten wir die barocke Pracht des 600 Jahre alten Stifts. Im Gotteshaus entdeckte ich ein vielleicht 500 Liter grosses Weinfass. Wer nun denkt, aus diesem Fass werde der Messwein für einen trinkfesten Pfarrer abgezapft oder an durstige Kirchenbesucher verteilt, irrt sich. Es war ein umfunktionierter Opferstock. In das Spundloch konnte man Spenden für die Renovierung der Stiftskirche einwerfen. Der Opferstock war deshalb so überproportioniert, weil 3,5 Millionen Euro für die Renovierung benötigt werden. Wir warfen nichts hinein, da die Eintrittskarte in Höhe von 2,40 Euro pro Person als Baustein galt. 

Die Venus von Willendorf

Als ich meiner Frau sagte, ich möchte gerne die Venus von Willendorf ansehen, hatte sie überraschenderweise nichts dagegen. Sie wusste wohl, um welche Frauengestalt es sich hier handelt. Es ist nämlich keine Frau mit einem wohlgeformten Körper unserer Zeit, sondern eine höchst korpulente, 11 cm hohe Kultfigur. Sie hat ein stolzes Alter von zirka 20 000 bis 30 000 Jahren und wurde 1908 bei Ausgrabungen entdeckt. In Willendorf, dem Fundort, ist nur eine Nachbildung zu sehen. Das Original befindet sich im Naturhistorischen Museum der Stadt Wien. 

Eine andere berühmte Frauengestalt ist die „Venus vom Galgenberg“. Sie soll etwa 5000 Jahre älter sein als diejenige von Willendorf. Sie ist wahrscheinlich die älteste steinerne Frauenskulptur. 

Wahl zwischen Hungertod oder Sprung in die Tiefe

Auf der Ruine Aggstein, hoch über dem herrlichen Donautal, wurden im Mittelalter Gefangene vor die Wahl gestellt, die schöne Aussicht bis zum Hungertod zu „geniessen“ oder in die Tiefe zu springen. Nach Überlieferungen haben sich Überlebende dann fürchterlich an ihren Peinigern gerächt. 

Heute braucht man solche Strafen nicht mehr zu befürchten. Der Tourist kann die Aussicht von allen Punkten der Burg aus geniessen. Als wir die Burg verliessen, kam ein Rentner mit seiner Frau an die Kasse. Als er den Eintrittspreis auf einer Tafel sah, rief er erstaunt: „Was, 4,50 Euro soll die Besichtigung kosten? Und es gibt nicht mal einen Rabatt für Pensionäre! Unglaublich.“ Dann verliess er mit hochrotem Kopf die Anlage. Die Moral von der Geschichte: Er hatte wohl Euros gespart, aber eine missmutig dreinschauende Ehefrau gewonnen. Ich dachte mir, der Geizige werde sich noch wundern, wenn er die Eintritte in den anderen Schlössern, Stiften und Burgen sieht. Dort werden Eintrittsgelder von 7 bis 9 Euro verlangt. Als „Gefangener“ der Burg hätte der Rentner nichts bezahlen brauchen. In Wien wäre der Sparsame wohl umgefallen, wenn er die Preise für Fiakerfahrten erfahren hätte. Eine einstündige Fahrt mit dem 4-sitzigen Fiaker kostet stolze 95 Euro. Eine Fahrt von 20 Minuten Dauer wird mit 40 Euro berechnet. 

Märchenschloss und Schicksalsschläge

Abseits der Wachau liegt inmitten eines schönen Gartens das bezaubernde Schloss Artstetten. Es bietet – laut Prospekt – eine „märchenhafte Kulisse für die Erlebbarkeit schicksalhafter Jahre der österreichisch-ungarischen Monarchie“. Das im 16. und 17. Jahrhundert erbaute Schloss beinhaltet heute das Erzherzog-Ferdinand-Museum (www.schloss-artstetten.at). Hier fand nach dem Attentat von Sarajewo (1914) das österreichische Thronfolgerehepaar seine letzte Ruhe. Eindrucksvoll und beklemmend war für mich die detailgenaue Darstellung des Attentats in Wort und Bild (insgesamt 7Attentäter lauerten dem Paar an verschiedenen Strassen der Stadt auf). Das Attentat war schicksalhaft für viele Menschen. Ohne dieses Attentat hätte es die beiden Weltkriege mit ihren Millionen Toten wohl nicht gegeben. 

Auf Österreichs Strassen

Am Anfang wunderte ich mich, dass die Österreicher sehr diszipliniert fahren. Erst einige Tage später kam ich dahinter, warum das so war. In ganz Österreich wurden nämlich Radarkontrollen durchgeführt. Laut „Kronenzeitung“ wurden in der 1. Woche über 70 000 Verkehrsdelikte gezählt. Die meisten Delikte waren Geschwindigkeitsüberschreitungen. So wurde zum Beispiel ein Taxifahrer im Bereich einer Baustelle mit 140 km/h geblitzt. Erlaubt waren 60 km/h. 

Einige vorbildliche Einrichtungen, die von anderen Staaten übernommen werden sollten, waren Folgende: In Kurven gute Ausschilderungen von Warnbaken mit kräftigen grüngelben Leuchtfarben, das Blinken der grünen Ampel vor der Umschaltung. In Nebelgebieten befanden sich am rechten Fahrbahnrand aufgemalte Punkte. Sind 2 Punkte sichtbar, dann darf man 60 km/h und bei einem Punkt nur 40 km/h fahren. Und noch eine Besonderheit: Neben der Fahrbahn an langen Autobahnbaustellen taucht immer ein Strichmännchenkopf auf, darunter ist die jeweilige Kilometerzahl bis zum Baustellenende angebracht. Am Anfang einer Baustelle befindet sich ein zerknittertes Gesicht, dann folgt ein immer freundlicheres. Kurz vor Ende der Baustelle ist ein lachendes Gesicht zu sehen. Nun kann auch der Autofahrer lachen und sich auf eine baldige freie Fahrt einstellen. 

Was mir nicht so gut gefiel, waren die vielen Hinweisschilder an Wegkreuzungen oder bei Strasseneinmündungen im Ortsbereich. Da wurde man durch den Schilderwald ganz leicht wirr im Kopf. Erhöhte Vorsicht ist auch geboten bei unbeschrankten Bahnübergängen. Auf Nebenstrecken kann es schon einmal vorkommen, dass kurz vor den Schienen ein Andreaskreuz auftaucht, manche sind zusätzlich mit einer Ampel oder einem Stopp-Schild „gesichert“. Verwirrend ist auch, dass bei Durchgangsstrassen, die an Orten entlang der Donau vorbeiführen, einmal 70 km/h, das andere Mal nur 50 km/h erlaubt ist. Am Anfang passierte es mir schon mal, dass ich mich dem allgemeinen Verkehrsstrom anpasste und schneller fuhr. Erst später kam ich dahinter, warum das so ist: Taucht kurz vor dem Ortsschild ein Schild mit der Aufschrift 70 km/h auf, dann darf man mit dieser Geschwindigkeit durchrauschen. Fehlt dieses Schild, dann sind nur 50 km/h erlaubt. Besser wäre eine einheitliche Regelung in allen Ortschaften. 

Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Vielleicht gibt es einmal einheitliche Regelungen in ganz Europa. 

Fortsetzung folgt: „Sisi“, Helden und Japaner in Wien

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