Textatelier
BLOG vom: 08.05.2008

Aufschüttungen: Landschaften unter Druck und Dreck (3)

Autor: Heiner Keller, Ökologe, Oberzeihen AG (ANL AG, Aarau)
 
Offenbar möchten alle gern eine schöne Landschaft haben. Ganz besonders im dünn besiedelten Jura habe ich noch nie von einem Politiker gehört, er wolle eine wüste Landschaft, oder er nehme auch nur eine solche in Kauf. Gerade in heutigen Zeiten wird Landschaft wieder als Naturpark „verkauft“ (Neue Fricktaler Zeitung, 06.05.2008): „Im Jurapark geht es um die Zukunft.“ Es wird behauptet: „Der geplante Jurapark bietet vor allem kleineren Gemeinden im Fricktal eine Chance, sich zu entwickeln und zusätzliche Einnahmen zu generieren. Der Park hat ein Wertschöpfungspotenzial von 8 bis 12 Millionen Franken im Jahr.“ Damit die Natur als Wirtschaftsfaktor zum Tragen kommt, muss man nur noch an die Bundesgelder von jährlich rund 10 Millionen Franken (ab 2012) herankommen. 10 bis 12 regionale Naturparks „sollen in ländlichen Regionen entstehen, wo die nachhaltig betriebene Wirtschaft gestärkt und die natürlichen, landschaftlichen und kulturellen Qualitäten in Wert gesetzt werden“. Gemäss Bundesamt für Umwelt (BAFU) lautet die Zielsetzung: „Ziel ist ein harmonisches Gleichgewicht zwischen Erhaltung und Entwicklung.“ Für einige Leute und Organisationen im Fricktal ist heute schon so gut wie sicher, dass die Region Dreiklang zu den auserwählten Projekten gehören wird.
 
In diesen wunderbaren Frühlingstagen mag sich ja wohl niemand an Veränderungen der Landschaft aufhalten. Zu schön sind die Löwenzahn-/Hahnenfussflächen, das satte Grün des Buchenwalds und das Weiss der Wolken vor dem blauen Himmel. Wen stört es da, dass die Lerche, der Baumpieper, der Gartenrotschwanz und der Kuckuck wohl endgültig verstummt sind? Immer noch gibt es die Exkursionen in die Natur. Man reist halt etwas weiter, behilft sich mit Bildern und ist landschaftlich zufrieden mit dem, was man noch hat. Weil sich niemand am vogelmässig immer stummer werdenden Frühling stört, wird auch niemand dafür verantwortlich gemacht. Schliesslich haben wir die Landschaft in einer aufwändigen Planung ja in Nutz- und Schutzgebiete zur Erhaltung der Besonderheit und Eigenart eingeteilt. Organisationen und Grossverteiler haben Labels kreiert. Politik und Verwaltung verteilen Millionen für spezielle Förderprogramme und Landbewirtschaftungen. Wir haben gemacht, was man kann, wir geben uns Mühe. Nur die Mühe einer Erfolgskontrolle, die diesen Namen auch verdient, die machen wir uns nicht.
 
Damit die planerischen Einschränkungen nicht allzu fest wehtun, hat man die Kategorie der Landschaftsschutzgebiete geschaffen. Das tönt gut. Man muss sich den Begriff richtig auf der Zunge vergehen lassen: Landschaftsschutz. Da ist ja wirklich alles geschützt, meint man. Stutzig machen muss einen, dass Landschaftsschutzgebiete überhaupt mit einer kommunalen Mehrheit des Volks ausgeschieden werden können. Nun, Landschaftsschutzgebiete müssen sein, weil sonst der Kanton die Planung nicht akzeptiert. Und Landschaftsschutzgebiete gehen ja sowieso rasch wieder vergessen: Wer weiss schon in ein paar Jahren noch, was wo in der Landschaft geschützt wurde? Was ist überhaupt geschützt in einer Landschaftsschutzzone? Im Prinzip die Wolken, das Landschaftsbild und sonst nichts. Verboten sind lediglich Bauten und so ein wenig die Terrainveränderungen, wie sie in der Juralandschaft gang und gäbe sind.
 
Seit meinem 1. Blog über Aufschüttungen (27.11.2007) ist jetzt fast ein halbes Jahr vergangen. Fein säuberlich, wie sie abgelagert wurden, ruhten die 5 Aufschüttungen an meinem Arbeitsweg von Oberzeihen über den Sulzbann nach Densbüren AG, da wo sich die Füchse und Hasen gute Nacht sagen, am Wegrand und in den Wiesen. Nach meiner polizeilichen Einvernahme (Blog 15.01.2008) und einem neuerlichen Presseartikel zog der Frühling ins Land. Die Bauern verteilten die Gülle halt eben um die Erdhaufen herum. Ein Bauer riss den mächtigen alten Bohnapfelbaum, den letzten auf der Fläche, aus und verholzte ihn am Waldrand. Forstunternehmer wüteten mit grossen Maschinen entlang der Strasse. Sie entfernten Bäume und Sträucher, schleppten sie unter Hinterlassung breiter Fahrspuren durch den Acker und schichteten sie zu grossen Haufen auf. Der Bauer öffnete 2 tiefe Gräben durch den Acker, legte Röhren bis zum nächsten Bach und deckte die Gräben wieder zu. Den Panzergraben, das militärische Hindernis aus dem letzten Weltkrieg, wird nach und nach aufgefüllt.
 
Bei all diesen massiven Veränderungen spielt es sicher keine Rolle mehr, dass der Gemeinderat von Densbüren die getätigten Aufschüttungen nachträglich mit einer Baubewilligung sanktionierte: Die Entfernung des abgelagerten Materials an der Strasse nach Oberzeihen hätte angeblich mehr Schaden verursacht als das Liegenlassen. So haben alle, was sie wollen: Der Unternehmer und der Bauer die sanktionierte Aufschüttung, der Gemeinderat das gute Gewissen. Nur die Landschaft hat gelitten. Zuerst durch die Aufschüttung und in der Folge durch alle andern Tätigkeiten, die sich ja aufdrängen, wenn man schon irgendwo am Verbessern und Holzen ist.
 
Die andern 3 Aufschüttungen auf dem Sulzbann hielten sich hartnäckiger. Obwohl 2 von ihnen unzweifelhaft in Landschaftsschutzgebieten liegen, wurden sie trotz gemeinderätlichen Verfügungen nicht umgehend entfernt. Die Bauern verteilten die Gülle halt um die Haufen herum. Sie mähten das Gras. Bis vorgestern Abend (07.05.2008) ein Trax am Wegrand steht. Und am anderen Morgen, als ich mich auf dem Arbeitsweg befinde, winkt mir der Seniorchef der Firma, die das meiste Aufschüttungsmaterial geliefert hat (Blog vom 15.01.2008) fröhlich aus der Traxkabine zu. Weil ich einen Termin habe, kann ich ihm nicht länger zusehen. Immerhin stelle ich fest, dass er mindestens einen Teil des Materials wieder in eine Mulde lädt. Am Nachmittag sind alle 3 Aufschüttungen planiert, und der Boden ist gelockert. Wie viel Material abtransportiert wurde, kann ich nicht beurteilen. Sicher ist, dass ein Teil des Materials liegen blieb – man kann mit Maschinen (Trax) ja gar nicht mehr alles wegnehmen. Sicher aber auch ist, dass ein Teil des Materials abtransportiert wurde.
 
Wer hat hier gewonnen? Wäre ohne meine Anzeige etwas anderes passiert? Wahrscheinlich wäre noch mehr Material gekommen und alles in der Landschaft verteilt worden. Wobei ich nicht weiss, ob das abtransportierte Material einfach ein paar Hügel weiter wieder irgendwo angelegt wurde. Leider erfährt man als Anzeiger genauso wenig wie die Öffentlichkeit, was die Behörde beschlossen hat und ob jemand eine Busse (wohl eher ein Büsslein) für das rechtswidrige Tun bezahlen musste. Man ist auf Gerüchte angewiesen. Und so lernen wohl die Täter aus dem Fall am meisten: Keine Aufschüttungen in Landschaftsschutzgebieten entlang dem Arbeitsweg von H. Keller.
 
Die Auffüllungen von Vertiefungen und Unebenheiten in der Landschaft dienen der rationelleren Bewirtschaftung. Immer mehr Fläche kann gleichmässig gegüllt und rasend schnell befahren und abgeerntet werden. Die Frühlingsschlüsselblumen, die Herbstzeitlosen und die Erdkröten verschwinden immer mehr aus der Juralandschaft. Die Juralandschaft wird nicht nur stumm, sondern auch arm. Traurig arm sogar. Daran ändert auch die Masse der „2 Millionen potenziellen Besucher“ des hypothetischen Juraparks nichts, weil sie sich vom Grün, dem Papier und den Prospekten verführen lassen. Die Realität und der wirkungsvolle Einsatz für die Erhaltung einer artenreichen Landschaft interessiert niemanden, weil es weh tut. Leben und leben lassen lautet die Devise. Die Auswirkungen werden zweifellos in weiteren Studien dargestellt.
 
Hinweis auf die vorangegangenen Blogs zu den Aufschüttungen im Sulzbann
 
Hinweis auf weitere Blogs zum Landschaftsschutz von Heiner Keller
Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
Auf Pilzpirsch: Essbare von giftigen Pilzen erkennen
Ein bärenstarkes Museum in Gersbach
Barfuss über die Alpen
Foto-Blog: Auf geht`s zur Hohen Möhr
Foto-Blog: Vom Kleinen Rhein zum Altrhein
Fotoblog über den Schönauer Philosophenweg
Rote Bete (Rande), eines der gesündesten Gemüse
Hermann-Löns-Grab im Wacholderhain
Lüneburger Heide: Salzsau und Heidschnucken
Kutschenmuseum in Wiechs ist ein Schmuckstück
Canna verleihen einen Hauch karibisches Flair
Artenreiche Streuobstwiesen stark gefährdet
Liebe zu den Kräutern in die Wiege gelegt
Eine Hütte mit Fleischsuppe im Namen
Rätsel um die Russenbänke in Präg gelöst