Textatelier
BLOG vom: 06.02.2009

Zum Lob der Flausen: Wegweiser zu Lebensinhalten

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
An trüben Wintertagen striegle ich am liebsten Gedanken, die mich erlaben, es sei denn, ich sei anderweitig beschäftigt. Solche Gedanken erquicken mich, wenn sie mit meinem Naturell einhergehen. Mit ihnen ziehe ich in den Frühling und bin dem Kalender weit voraus.
 
„Keine Zeit für Flausen.“ Das wurde mir schon in jungen Jahren eingetrichtert. Stattdessen solle ich mich um die Schulaufgaben kümmern, wurde mir ernsthaft angeraten. Sonst würden mir die „Flausen ausgetrieben“, wurde mir gedroht. Das konnten mir die Grossen wohl eintrichtern, doch mein Trichter endete nicht im Gefäss des blinden Gehorsams, widerborstig oder eigenwillig wie ich sein konnte.
 
Flausen sind keine Läuse. Ich hege und pflege weiterhin meine Flausen, weil sie mich besser unterhalten als ein Fernsehprogramm. Weitaus besser. Was als Flause begann, kann sich zur Kunst durchmausern oder zumindest den Kunstsinn oder die Wissbegier erwecken und fördern. Flausen sind die ersten Haltegriffe des Kinds in seiner Vorstellung. Daraus lässt sich stückweise ein Weltbild zimmern, das nicht einbricht. Dass ich nicht wankelmütig geworden bin, das verdanke ich u. a. meinem Deutschlehrer und Zeichenlehrer – und nicht zuletzt meinem angeborenen Starrsinn.
 
Mit Flausen habe ich genussvoll viel Zeit verjubelt. Die aus Stein gehauenen Brunnenfiguren in der Altstadt beeindruckten mich sehr, besonders die grotesken, die Wasserspeier. So beschloss ich, Bildhauer zu werden. Auf der Geröllhalde sammelte ich zum Behauen geeignete Steine. Im Werkzeugkasten meines Vaters fand ich Meissel und Hammer. Schlug ich zu hart zu, spaltete ich den Stein. So lernte ich, meinen Tatendrang zu zügeln. Gut, dass ich mich an Grotesken gehalten habe. Denn meine Ergebnisse waren wirklich grotesk und brachten mir wenig Lob ein. Von dieser Periode sind mir nur Erinnerungen haften geblieben.
 
Musikinstrumente und die Laute, die sie von sich geben, fesselten mich während der 2. Flausen-Periode. Sie begann mit Flöten, aus ausgehöhlten Stecken geschnitzt. Dabei nahm ich mir die Abbildung einer Blockflöte zum Vorbild. Viele Versuche scheiterten. Aber zuletzt hatte ich meine Flöte, die grauenhafte Töne von sich gab. Ich konnte ihr beim besten Willen keine Melodie entlocken. Mein Unterfangen mit Zupfinstrumenten zeitigte ebenfalls schauderhafte Laute, die selbst mir auf die Nerven gingen. Die Erlösung kam, als mir meine Mutter eine echte Blockflöte schenkte – mitsamt einem Leitfaden. Stundenlang hockte ich auf dem Küchentisch und erlernte die Tongriffe. Diese Flöte erschloss mir die Welt der Melodie, beginnend mit „Lustig ist das Zigeunerleben“, „Hoch auf dem gelben Wagen“. Mein Durchbruch gelang, als ich einige Gavotten, Menuette, Märsche, Polonaisen und Rondeaus aus Anna Magdalena Bachs Notenbüchlein spielen konnte. Damit erntete ich endlich Lob. Aber erst als ich 12-jährig war, begann meine Liebesaffäre mit der Geige. Das war keine Flause mehr.
 
Eine Zwischenflause war das hartnäckige Sammeln von Fossilien. Auf einem Schulausflug wies uns der Lehrer zu einer Böschung mit dem Hinweis: „Dort findet ihr Versteinerungen.“ Die Sammellust meiner Klassenkameraden versiegte bald. Nur mit Mühe kriegte mich der Lehrer von der Böschung weg. Doch ich hatte mir die Sammelstelle gemerkt. Oft bin ich auf dem Velo zu meiner Fundgrube geradelt, um nach neuen Fossilien zu graben! Die Sammellust hat sich seither erweitert. Ich begann, Bücher zu horten und in jeder freien Stunde zu lesen. Und gab es nicht genug freie Stunden, so beschaffte ich sie mir. Heute noch zweige ich Zeit zum Sammeln von Objekten aller Art auf Ramschmärkten ab. Auch das ist längst keine Flause mehr, denn ich erweitere damit fortzu meine Kenntnisse der Sammelgebiete und bilde mir ein, dass ich in gewissen Bereichen mehr weiss als die so genannten Experten.
 
Ich bin mir bewusst, dass ich das Wort Flausen eigenwillig für mich definiert habe. Flausen haben mich zu Lebensinhalten geführt, abseits der brotberuflichen Verpflichtungen. Zum Lob der Flausen kann auch dies gesagt werden: Wer sich mit ihnen abgibt, langweilt sich nicht. Dank ihnen macht man auch keine andere Dummheiten, oder wenigstens weniger …
 
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