Textatelier
BLOG vom: 05.07.2010

Fussball-WM (6): Maradona fassungslos, fliegende Panzer

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Nach dem furiosen Sieg der deutschen Nationalmannschaft gegen den Geheimfavoriten Argentinien (4:0) am 03.07.2010 brach in Schopfheim D, meinem Wohnort, wieder das Lärmen mit Vuvuzelas und den Hupen der herumfahrenden Autos los. Es waren in der Tat WM-Jubelfahrten, die über 2 Stunden andauerten.
 
Als ich kurz nach dem Spiel mit dem Fahrrad zu meiner Tochter fuhr, um ihr etwas vorbeizubringen, zirkulierten die Autos wild umher. An einem Auto sah ich 5 Deutschlandfahnen, und so mancher brüllte aus dem heruntergelassenen Autofenster „Deutschland! Deutschland!“. Immer nach solchen Siegen erwacht das National- und Gemeinschaftsgefühl.
 
Nach dem Public Viewing wurde ein Deutsch-Türkischer Fan in Berlin von einem ZDF-Reporter nach seinen Eindrücken gefragt, und dieser antwortete siegestrunken: „Es war herrlich. Alle umarmten sich, nun gehe ich in meinem Trikot der deutschen Nationalmannschaft in ein Lokal und verzehre ein argentinisches Steak.“
 
Wie die Zeitung „Der Sonntag“ am 04.07.2010 berichtete, gab es bei und nach dem Public Viewing in Lörrach D keine besonderen Vorkommnisse. Es gab allerdings einzelne Faschistengrüsse und rechtslastige Jubelparolen. Aber das passiert ja immer wieder, wenn Fans im Überschwang und vielleicht auch alkoholumsäuselt sind.
 
„Götterdämmerung für den Überirdischen“
Am traurigsten war nach geschlagener Schlacht der argentinische Trainer Diego Armando Maradona, der bei den bisherigen Spielen seiner Mannschaft immer mit einem Rosenkranz an einer Hand in der Coachingzone herumlief. Er scheint ein gläubiger Mensch zu sein, denn er war sich sicher, dass Argentinien das Spiel gewinnen würde. Er hoffte auf den Beistand Gottes, wie ein Reporter erwähnte. Wahrscheinlich ist der Schöpfer kein Fussballfan; Fussbälle gehörten nicht zu seinem Repertoire. Pech gehabt.
 
Vor einiger Zeit sagte die Kultfigur Maradona, wenn seine Mannschaft Weltmeister werde, wolle er nackt um den Obelisken in Buenos Aires rennen. Er betonte dann immer wieder, dass er zu dem Versprechen stehe. Nun darf er anständig angezogen herumlaufen.
 
„Götterdämmerung für den Überirdischen“ titelte „Spiegel online“ (www.spiegel.de) und berichtete, dass sich nach dem Spiel Maradona fassungslos und weinend in die Katakomben des Green-Point-Stadions in Kapstadt flüchtete. Dort wurde er von seiner Tochter getröstet.
 
Auch das Bild in der genannten Online-Ausgabe sprach Bände: Maradona hatte eine Hand über die Stirne gelegt, die Augen waren geschlossen. Er sah aus wie ein Leidender vor der Kreuzigung, aber ohne Dornenkrone. Ich habe selten so einen leidenden Menschen gesehen. Kein Schauspieler hätte solch ein Gesicht zustande gebracht.
 
Fliegende Panzer
Hier noch einige internationale Pressestimmen zum Spiel:
 
„Deutschland hat das Maradona-Team verdroschen mit dem schnellsten Tor der WM.“ (O Globo, Brasilien).
 
„Diego verprügelt. Fabelhafte Deutsche tanzen ins Halbfinale.“ (Daily Mail, England).
 
„Deutschland ballert sie alle weg“ (Blick, Schweiz).
 
„Fliegende Panzer. Ein Sturm bläst aus Deutschland.“
( Fanatik, Türkei).
 
„Das Bild vom deutschen Panzer ist längst vergilbt. Deutschland ist jung, dynamisch, offensiv und vor allem sympathisch.“
(Sonntag, Schweiz)
 
Noch ein andere Bemerkung: Unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel war auch im Stadion. Sie fieberte mit und hatte ihre wahre Freude. Ich dachte mir, endlich sei sie einmal weg von ihren unsäglichen Koalitionären und Parteigenossen. Ein Reporter fragte sie am Ende des Spiels, ob heute ihr glücklichster Tag der Woche sei. Sie antwortete sehr diplomatisch, sie habe mehrmals freudige Stunden in dieser Woche erlebt.
 
Aber nicht in Berlin, oder?
 
In den folgenden Zeilen sind einige ungewöhnliche Geschichten rund um die Fussball-WM 2010 aufgeführt.
 
Arbeitsdienst für schlechte Fussballer
Die Presse fragte sich nach den 3 Niederlagen der nordkoreanischen Mannschaft, ob der „geliebte Führer“ Kim Jong-Il fürchterliche Rache nehmen würde. Nach der 0:7-Pleite gegen Portugal war anscheinend die Geduld des Diktators zu Ende. Der Führer gilt nämlich als grosser Fussballfan, und die Auftritte seiner Spieler betrachtet er als persönliches Anliegen. Nun gibt es Gerüchte, dass die Kicker ins Arbeitslager kommen. 1966 hatte der Vater des heutigen Diktators die Mannschaft nach Pleiten auflösen lassen. Der 1999 nach Südkorea desertierte Teammanager Yun Myong-Chan sagte aus, dass damals die WM-Spieler in Konzentrationslager geschickt wurden.
 
Die ersten beiden Spiele von Nordkorea wurden zeitversetzt übertragen. Erst das 3. Spiel, eben das mit 0:7 verlorene Match gegen Portugal, wurde live gesendet. Bereits ab dem 4. Tor schwieg der Kommentator. Er hatte wohl die Nase voll, vielleicht verschwand er auf der Toilette und musste sich übergeben. Die Übertragung wurde nach dem Spiel kommentarlos abgebrochen.
 
Der Staatspräsident von Nigeria, Goodluck Jonathan, hatte sich ebenfalls eine Strafe ausgedacht. Er möchte seine glücklosen Kicker 2 Jahre von internationalen Wettbewerben ausschliessen. Nun stellte der übermächtige Fussball-Weltverband (Fifa) ein Ultimatum. Wenn der Präsident seine Entscheidung nicht zurückzieht, wird Nigeria mit massiven Sanktionen belegt. Nigeria wird dann aus dem Weltverband ausgeschlossen, sagte Fifa-Generalsekretär Jerome Valcke. Die Fifa duldet keine politische Einflussnahme.
 
Tote und Verletzte
In Dallas (Texas, USA) kam es zu einem Streit unter 4 Männern. Einer zog seine Handfeuerwaffe und schoss wild um sich. Er traf einen 17- und 28-Jährigen, die die Schüsse nicht überlebten. Der Täter schoss sich – wohl nicht aus Begeisterung – ins Bein und wurde ins Krankenhaus eingeliefert und festgenommen.
 
Ein in Bayern stationierter 45-jähriger US-Soldat fühlte sich von dem Vuvuzela-Lärm des Nachbarn gestört. Er stürmte mit einer Axt bewaffnet zu seinem Nachbarn und wollte ihn angeblich töten. Die Tat wurde nicht ausgeführt. Der Soldat beleidigte auch eine 49-Jährige schon vor der geplanten Attacke. Die Frau blies nämlich auch kräftig in das Blasinstrument. Man muss also starke Nerven haben, um das Getöse auszuhalten. Aber die Schiesswut amerikanischer Prägung hat ja auch ihre Dezibel.
 
Wüste Keilerei nach WM-Jubel
Auch in Hausen (Kreis Lörrach D), das etwa 4 km von Schopfheim entfernt liegt, gab es nach dem Achtelfinalspiel Deutschland gegen England bei einem WM-Jubel eine wüste Keilerei. 2 Ehepaare, die seit längerem zerstritten sind, nahmen getrennt an einem Autokorso teil und kehrten in derselben Wirtschaft ein. Nach Beleidigungen und Provokationen kam es laut Polizei zu tätlichen Auseinandersetzungen. Zunächst wurde mit Bier geschüttet, dann wurde ein Tisch umgeworfen. Der Ehemann und dessen Schwager fielen bei dem Wildwest-Kampf in den Vorgarten und beschädigten einige Pflanzen. Aber damit noch nicht genug: Eine Frau wolle einem der Männer einen Dachziegel über die Rübe ziehen. Nur durch die Geistesgegenwart eines Zeugen konnte der Angriff der Wütenden verhindert werden. Der gute Mann verletzte sich dabei. Die Rauferei wurde dann durch die alarmierte Polizei beendet. Gegen 4 Personen wird zurzeit wegen verschiedener Delikte ermittelt (www.badische-zeitung.de).
 
Schleichwerbung verboten!
Die Fifa kennt kein Erbarmen bezüglich unerlaubter Schleichwerbung. Beim Spiel Niederlande gegen Dänemark feuerten 36 hübsche Niederländerinnen in orangefarbenen T-Shirts und in Miniröcken ihre Mannschaft an. Schon im Vorfeld der WM wurde Bier von Frauen in solchen Röckchen verkauft. Es handelte sich um einen Marketing-Gag der niederländerischen Bavaria-Brauerei. Daraufhin wurden die weiblichen Fans 3 Stunden lang vernommen. Festnahmen soll es nicht gegeben haben.
 
Ich finde ein solches überzogenes Vorgehen unerhört, zumal ja kein Schriftzug auf den Kleidungsstücken zu sehen war. Das sah auch die niederländische Regierung so, die scharf protestierte. Leider sah ich nach diesem Vorfall keine der attraktiven meist blond gelockten Niederländerinnen in solcher Aufmachung mehr. Sie hatten sich wohl umgezogen.
 
Bubikopf und Backenbart
Martin Halter von der „Badischen Zeitung“ karikierte die Haarpracht der heutigen Spieler. Er schrieb: „Was auf dem Kopf ist, ist manchmal interessanter als das, was im Kopf ist.“
 
Früher gab es Pferdeschwänze, Frisuren in Wischmopp-Art oder den Thorsten-Frings-Gedächtnisschnitt oder Schweinis Klobürsten-Modell 2006. Heute ist das anders. Viele tragen Glatze, zottelige Mähnen und Rastalocken in Landesfarben, die mit einem Haarband fixiert sind. Halter wörtlich: „Forlan, der Uruguayer, brilliert als Rauschgoldengel mit silbernem Haarreif. Die klassische Jesusmatte gibt es nur noch bei den Griechen, der Schnauzer ist ganz out: Dafür ist der Backenbart wieder im Kommen; selbst Brasilianer wie Robinho und Alves tragen ihn schon. Das ist schlecht für sanfte Backenstreiche, aber gut für die Friseurbranche.“
 
Niklas Arnegger von der „Badischen Zeitung“ nahm die kondomartigen Trikots der Spieler auf die Schippe. Auf der einen Seite sollen diese windschlüpfrigen Trikots die Leistung steigern, auf der anderen Seite freut sich die holde Weiblichkeit, wenn sie die abzeichnenden Muskelpakete sieht. Wie der Hersteller betonte, sind die Trikots mit „TechFit Powerweb“ ausgestattet. Es wurde bei den Trägern eine Leistungssteigerung zwischen 0,8 und 4 % erreicht. Die Trikots sind auch mit Thermo-Polyurethan-Bändern ausgestattet, die die Bewegungsenergie des Körpers speichert und dann wieder abgibt. Die Werbung ist so toll, dass die Kicker wirklich an diesen Effekt glauben.
 
Für mich wäre ein solch eng anliegendes Trikot ein Graus. Ich brauche Bewegungsfreiheit. Und was sagte einst unser Fussballkaiser Franz Beckenbauer? „Du musst die Spiele gewinnen. Sonst nützt dir das schönste Trikot nichts.“ Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
 
Fernsehen verboten!
Man kann es kaum glauben: In Somalia darf die WM nicht im Fernsehen verfolgt werden. Wer es trotzdem tut, riskiert sein Leben, wie die „Frankfurter Allgemeine“ (www.faz.net) in ihrer Online-Ausgabe berichtete. Der Grund ist der Folgende: Grosse Teile des Landes stehen unter Kontrolle von radikalen islamischen Milizen. Und die sind rigoros, sie haben auch Kinos und DVDs verboten. Sheik Mohammed Abdi Aros, Sprecher der Miliz „Hezb al Islamiya“, ist der Ansicht, das Ansehen wäre Zeitverschwendung, wenn man „verrückte Männer beim Auf- und Abspringen zusieht“. Auch die islamische „Schabaab-Miliz“ will sogar die Fernsehgucker bestrafen. Das Ansehen wäre „unislamisch“, halte vom heiligen Krieg ab und sei deshalb verboten.
 
2 Männer wurden schon erschossen und mehrere Jugendliche festgenommen. Alle sahen Spiele heimlich an.
 
Auch das Nationalteam hat so seine Schwierigkeiten. Es kann nur unter Polizeischutz trainieren. Alle internationalen Spiele finden aus Sicherheitsgründen in Nachbarstaaten statt.
 
„Fussball ist nichts anderes als Zeitverschwendung. Wissen Sie nicht, dass Allah Sie fragen wird, womit Sie Ihre Zeit verbracht haben, wenn der Tod kommt?“ Dies äusserte der Shabaab-Vertreter Sheik Mohammed Ibrahim.
 
Der Kleriker meinte noch, Allah solle man durch gute Taten ehren, und Sport mache die Jugendlichen „blind“ und halte sie von den Ehrungen ab.
 
Allah wird wohl mit den kriegerischen Exzessen auch nicht zufrieden sein.
 
Einige bemerkenswerte Zitate
„Wenn ein Deutscher hört, ich bringe dich um, dann heisst das, er ist nächste Woche tot. Bei uns in Nigeria bedeutet es, ich bin nicht glücklich mit dir.“
(Nigarias Team-Sprecher Idah Peterside, nachdem der Spieler Sani Kaita Morddrohungen erhalten hatte)
 
„Bei einer Weltmeisterschaft sollen die besten Schiedsrichter pfeifen, die auch in den grossen Ligen aktiv sind, und nicht Referees, die irgendwo am Strand pfeifen.“
(Ottmar Hitzfeld zur Leistung der Schiedsrichter bei der WM)
 
„In Argentinien, könnte man sagen, wachsen die Spieler auf den Bäumen. Wir müssen sie suchen.“
(Griechenlands Trainer Otto Rehhagel in Polokwane zum letzten Gruppengegner Argentinien)
 
Auf die Frage des „Sonntag“-Reporters Toni Nachbar, was wohl gegen Fan-Schmerz helfe, antwortete die neue Badische Weinkönigin Marion Meyer aus Kiechlinsbergen: „Dazu empfehle ich roten Spätburgunder.“
Wir sollten diesen Tipp an den leidenden und frustrierten Diego Armando Maradona weitergeben. Aber es gibt einen Trost: Jeder Weltenschmerz wird einmal vergehen.
 
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