Textatelier
BLOG vom: 11.06.2015

Klarheit für Verbraucher: Die Verpackung darf nicht lügen

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Eine ältere Frau, die ich in einem Supermarkt antraf, beäugte eine Packung Früchtetee aufmerksam. Sie las nicht die Zutaten, die sich irgendwo auf der 25er-Packung Teebeutel in kleiner Schrift befinden, sondern betrachtete die schönen Abbildungen von Früchten auf der attraktiv gestalteten Vorderseite. Sie war sicher der Meinung, dass dort, wo Früchte oder Beeren abgebildet sind, solche auch in den Produkten vorhanden sein würden. Falsch gedacht, wie wir später sehen werden.
 
Solche Beobachtungen mache ich immer wieder. Gerade ältere Kunden sehen nicht mehr so gut, um die Zutatenlisten, die oft in kleiner Schrift gehalten sind, zu studieren. Man bräuchte eine Lupe. Als empfehlenswert betrachte ich die Lupe, die an jedem Einkaufswagen des Frischmarkts Hieber von Schopfheim D angebracht ist.
 
Wer die Zutatenliste studiert, wird oft sein blaues Wunder erleben. Beispiel: Eine Packung derselben Teesorte, die auch die Frau in Händen hatte, nahm ich später näher unter die Lupe. In der Teemischung waren zwar natürliche Aromen drin. „Natürlich ist immer gut. Das wird gekauft“, war wohl die Devise der Frau. Wie ich mir vorstellen kann, beruhigt der Begriff manch einen Käufer. Natürliche Aromastoffe oder „Aroma“ sind auch in Früchtejoghurts, Puddingpulver, Schokoladen, Speiseeis und vielen anderen Produkten vorhanden.
 
In meinem Buch „Richtig gut einkaufen“ (Verlag Textatelier.com, Biberstein 2005) klärte ich über die verschiedenen Aromen auf. Hier die Aufstellung:
 
„Natürliche Aromastoffe: Oft nicht aus der Frucht gewonnen, sondern mittels Schimmelpilz- und Bakterienkulturen produziert.
 
Naturidentische Aromastoffe: In der Natur vorkommende Aromastoffe, die im Labor synthetisiert werden (z. B. Vanillin).
 
Künstliche Aromen: Chemische Verbindungen, die in der Natur nicht vorkommen.“
 
Alsdann nahm ch weitere Produkte unter die Lupe. So wird ein Vanille-Sossenpulver mit „Vanille Geschmack“ von Dr. Oetker angepriesen. Zutaten: Stärke, Farbstoff (Carotin), Aroma, Salz.
 
Bei Puddingpulver gibt es Unterschiede. Im Original Puddingpulver Schokolade von Dr. Oetker sind folgende Inhaltsstoffe vorhanden: Maisstärke, 23 % fettarmes Kakaopulver, Salz, Aroma Vanillin.
 
Das Puddingpulver „Gala“ („Feiner Bourbon-Vanille-Pudding“) von Dr. Oetker enthält Stärke, natürliches Bourbon-Vanille-Aroma, Salz, Farbstoffe (Carotin, Riboflavin), gemahlene extrahierte Vanilleschoten, natürliches Aroma.
 
Es geht auch anders: In Tees, zum Beispiel in einer Kräuterteemischung „Entspannung“ von Teekanne sind nur Kräuter drin (Melisse, Zimt, Zitronenmyrte, Süssholz, süsse Brombeerblätter, Lindenblüten Hopfen, Pfingstrosenblüten). Auf der Verpackung ist eine Pfingstrose abgebildet. In Pfefferminztee von Messmer sind Blätter der Pflanze auf der Verpackung abgebildet und nur Pfefferminzblätter in den Doppelkammerbeuteln. Das ist so in Ordnung.
 
In anderen Teesorten ist schon mal „Aroma“ oder ein „natürliches Orangenaroma“ drin. Man muss also genau hinschauen, was man kauft.
 
Vorsicht vor Farbstoffen!
Viele aufgepeppte Lebensmittel enthalten Farbstoffe. Vorsicht ist angebracht, da etliche Farbstoffe Allergien oder pseudoallergische Reaktionen hervorrufen können. Insbesondere stehen die Azofarbstoffe in Verdacht. Die Hersteller setzen immer mehr natürliche oder naturidentische Farbstoffe ein, wohl nur, weil der Verbraucher den künstlichen Stoffen kritisch gegenübersteht. Hier die Farbstoffe in der Lebensmittelverarbeitung:
 
Natürliche Farbstoffe: Kurkumin, Riboflavin (Vitamin B2), Cochenille (roter Farbstoff weiblicher Schildläuse), Chlorophylle, Zuckercouleur, Carotinoide und Carotine, Betenrot (roter Farbstoff der Roten Bete bzw. Rande), Paprikaextrakt.
 
Naturidentische Farbstoffe: In der Natur vorkommend, chemisch nachgebaute Farbstoffe.
 
Synthetische Farbstoffe: Tartrazin, Gelborange S, Azorubin, Amaranth, Cochenillerot A, Brillantschwarz, Rubinpigment.
 
Da ist keine Kirsche drin
Schon früher wurde in diversen Medien über die Uninformiertheit von Verbrauchern berichtet. Eine Ernährungsberaterin von einer Verbraucherzentrale schulte eine Gruppe von Singles in einem Supermarkt. Gezielt griff die Frau ins Joghurtregal und förderte einen Kirschjoghurt der billigen Sorte zu Tage. „Dieser Joghurt hat nie eine Kirsche gesehen, da ist nur Kirscharoma drin“, bemerkte die Fachfrau.
 
Es gibt allerdings Joghurts, die zwar Kirschen oder andere Früchte enthalten, aber zusätzlich auch Aroma- und Farbstoffe. Denn sonst würde der „geschmacksgeile“ Verbraucher, der hier hinters Licht geführt wird, die Produkte nicht kaufen. Der Verkaufsleiter einer deutsch-schweizerischen Früchteverarbeitungs-Firma in Konstanz erklärte sogar: „Wenn da kein Aroma hineinkommt, dann schmeckt das wie eingeschlafene Füsse.“
 
Die Verpackung darf nicht lügen
Europäische Richter rügten kürzlich die Etikettierung eines Kinderfrüchtetees. Auf der Vorderseite waren schöne Abbildungen der Vanille und Himbeere abgebildet. Der Text lautete: „Früchtetee mit natürlichen Aromen“. Im Tee waren jedoch keine Vanille und Früchte drin. Das war in den Augen der Verbraucherzentralen eine Irreführung.
 
Geklagt hatte der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) gegen die Teekanne GmbH & Co. KG. Der Hersteller argumentierte, die Zutatenliste für den Tee „Felix Himbeer-Vanille-Abenteuer“ auf der Verpackung reiche aus. So wurden auf der Rückseite die folgende Bestandteile aufgeführt: Tee aus Hibiskus, Apfel, Brombeere, Erdbeere, Heidelbeere und Holunderbeeren. Für das Geschmackserlebnis sorgten natürliche Aromen mit Himbeer- und Vanillegeschmack.
 
Das Urteil lautete, dass abgebildete und genannte Zutaten auch im Lebensmittel sein müssen. Im konkreten Fall also Vanilleschoten und Himbeeren.
 
Der Bundesgerichtshof (BGH) muss jetzt entscheiden, wie die Verpackung zu bewerten ist. Es ist ziemlich sicher, dass er eine Irreführung sieht. Ein Verbraucher schrieb an die Lebensmittelklarheit: „Ich wette um eine Kanne Tee, dass auch der BGH dem VZBV Recht geben wird.“
 
Der Tee ist jetzt nicht mehr auf dem Markt.
 
Es ist ein Meilenstein für den Verbraucherschutz und ein klares Signal an die Lebensmittelwirtschaft: Schluss mit Ersatzstoffen für angepriesene Zutaten“, erklärten die Verbraucherschützer. Dem stimme ich zu. Die Verbraucher, die schon des Öfteren von der Nahrungsmittelindustrie hinters Licht geführt wurden, können etwas aufatmen. Vorsicht ist immer noch nötig. Das genaue Studieren der Inhaltsangaben ist wichtig. Von besonderer Bedeutung sind gute Kenntnisse über die Zusatz- und Inhaltstoffe.
 
Wer ganz sicher sein möchte, sollte Naturjoghurt mit frischen Früchten mischen oder sich einen Tee mit den gewünschten Teepflanzen herstellen. So weiss man dann, was man hat.
 
 
Anhang
Laut einer repräsentativen Studie der Agrifood Consulting GmbH und der Uni Göttingen verstehen 71 % der Verbraucher bei einer Teeverpackung mit naturgetreuen Abbildungen von Früchten so, dass auch das entsprechende Fruchtaroma enthalten ist. 68 % gehen sogar davon aus, dass die Früchte als tatsächliche Zutat enthalten sind.
 
Unter der Adresse www.lebensmittelklarheit.de kann jeder Verbraucher die Produkte mitteilen, bei denen er sich getäuscht fühlt. Die Beschwerde wird geprüft, der Anbieter angehört, und anschliessend erfolgt eine Publikation auf dem Portal.
 
Auf diesem Portal ist ein aktuelles Beispiel. So will ein Leser wissen, ob das im Earl Grey Tee enthaltene Aroma (Bergamotte, Orange) natürlich ist.
 
Antwort: Es handelt sich nicht um Aroma, das (vollständig) aus Orangen oder von Bergamotte gewonnen wird. „Denn wenn ergänzend zur Angabe ‚Aroma’ eine Frucht oder ein anderes Lebensmittel genannt wird, so sagt das lediglich aus, wonach das Aroma schmeckt und riecht.
 
Weder ‚natürliches Aroma’ noch ‚Orangenaroma’ wurde aus der Orange gewonnen, nur das ‚natürliche Orangenaroma’.
 
‚Natürliches Orangenaroma’ wird zu mindestens 95 % aus der Orange hergestellt.
 
Auch aus unserer Sicht sind diese Begriffe wenig verbraucherfreundlich. Sie können leicht zu Verwechslungen führen.“
 
 
Internet
 
Literatur
EuGH: „Europäischer Gerichtshof zeigt falschen Früchten die rote Karte.“ Pressemitteilung von der Verbraucherzentrale Bundesverband vom 04.06.2015.
Köster, Gudrun: „Mehr Klarheit und Wahrheit bei Lebensmitteln“, Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein.
Rath, Christian, DPA: „Die Verpackung darf nicht lügen“. „Badische Zeitung“ vom 05.06.2015.
Scholz, Heinz: „Richtig gut einkaufen“ (Die moderne Lebensmittelkunde für den Alltag), Verlag Textatelier. com, Biberstein (Schweiz) 2005.
 
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