Löwenzahn Delikatesse, gratis und im Überfluss
Delikat und gratis zu haben : Junger Löwenzahn
Es gibt niemanden, der einem Löwen zwischen die Zähne kommen möchte. Laut den Kino-Monumentalschinken, welche von Zuständen im alten Rom erzählen, wehrten sich auch die Gladiatoren gegen den Zugriff der Löwenzähne. Demgegenüber gibt es viele Feinschmecker, die junge, frische Löwenzähne schätzen, diese als Gesundbrunnen betrachten und sie besonders im Frühjahr gern zwischen die Zähne nehmen. Die besonders günstige Mischung verschiedener Bitter- und Gerbstoffe macht den Löwenzahn zu einem exzellenten Blutreiniger.
Der Löwenzahn (Taraxacum officinale) ist eine Delikatesse und Heilpflanze in einem. Die jungen, zarten Triebe verwendet man im Frühjahr am besten als Salat oder auch als Gemüse, die gelben Korbblüten für Süssigkeiten und Tee und die Pfahlwurzeln als Arznei zur Erfrischung von Leber, Galle und Nieren [1], zur Blutreinigung und zur Belebung der Verdauung. Der berühmte Naturheiler Maurice Mességué schrieb voller Enthusiasmus in seinem „Heilkräuter-Lexikon“: „Essen Sie soviel Löwenzahnsalat wie Sie nur wollen, und Sie werden sich wunderbar fühlen. Aber vergessen Sie nicht, dass die gesamte Pflanze heilkräftig ist, besonders ihre Wurzel. Man kann sie rösten wie die Wurzel der Zichorie und erhält dann ein Ersatzmittel für Kaffee. Die jungen Knospen der Pflanze ersetzen, wie Kapern zubereitet, diese vollauf (…). Die Wirkung des Löwenzahns ist vielfältig und vollkommen auf die Gesamtheit der Organe abgestimmt.“ Mességué zeigt dann auf, wie der Löwenzahn die Sekretion der Leber, der Bauchspeicheldrüse und des Darms anregt, und er empfiehlt diese Pflanze besonders jenen Menschen, die an einer unreinen Haut, Ekzemen, Flechten usf. leiden, sogar den Zuckerkranken. Und für die Wickelfreunde [2] hält er ebenfalls ein Rezept bereit: Breiumschläge aus gehackten Löwenzahnblättern und -blüten wirken gegen Geschwüre und Hautkrankheiten.
Besonders delikat schmecken die jungen Löwenzahnblätter im Frühjahr. Es genügt, sie mit einer klassischen Vinaigrette aus Öl, Essig und wenig Senf als Emulgator zu beträufeln. Wer den bitteren Geschmack noch etwas in den Hintergrund drängen möchte, kann etwas Chicorée, gehacktes Ei oder zur Versüssung Apfelscheibchen und Orangenfilets dazufügen.
Unsere überdüngten Fettwiesen scheinen oft nur noch aus Löwenzahn zu bestehen, so dass man auch als Naturschützer beherzt zugreifen kann. Auch rund ums Haus schiesst Löwenzahn überall empor. Er liebt stickstoffreiche, sonnige Böden, und davon gibt es ja mehr als genug. Die flugtauglichen Samen mit dem Schirmchen (Pappus = Haarkranz oder Fallschirm), die jahrelang keimfähig bleiben, werden durch den Wind weit verbreitet.
Was es im Überfluss gibt, ist nichts wert. Würden alle Berge aus reinem Gold bestehen, würde sich niemand für dieses Metall interessieren. Und so geht es auch mit dem Gold des Löwenzahns. Wir betrachten ihn als „Unkraut“, drücken unsere Verachtung aus, benutzen die Sprache als Waffe, ähnlich wie gegenüber dem „Ungeziefer“ – in unserer Familie sind stattdessen ausschliesslich die Wörter Kraut und Geziefer üblich. Wie kann man etwas gering schätzen, das Leber- und Gallenfunktionen belebt und damit dort für den Frühlingsputz sorgt, wo dieser am wichtigsten ist: in unserem Organismus!
Die goldenen Zeiten sind in jedem Frühjahr da.
Walter Hess
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[1] In der französischen Sprache heisst Löwenzahn Pissenlit = piss' ins Bett.
[2] Eine Wickelapotheke kann bestellt werden bei der EGK-Gesundheitskasse, Brislachstrasse 2, CH-4242 Laufen, Tel. 061 765 51 11, Fax o61 765 51 12
oder bei:
GfM AG, Untere Steingrubenstrasse 3, CH-4501 Solothurn, Tel. 032 623 36 31, Fax 032 623 36 69
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